Der See

Der See – Jürgen Beck

Viele Generationen nach uns hat die Menschheit den einzigen Planeten zerstört, der ihr als Lebensraum dient. Eine Naturkatastrophe, deren Entstehung und Verlauf noch nicht einmal den wenigen übrig gebliebenen Gelehrten gänzlich bekannt ist, hat nicht nur für Zerstörung gesorgt, sondern auch dafür, dass sich die Natur die Fläche zurückerobern konnte, die der Mensch ihr genommen hat. Riesige Wälder sind entstanden, domestizierte Tiere haben sich mit den wilden Artgenossen gepaart und neue Rassen geschaffen und der Rest des Menschheit hat einen Rückfall in die Barbarei erlebt. In Norddeutschland hat sich ein riesiger See gebildet, der von der Elbmündung bis an den Fläming reicht. In der Entstehung des Sees ist Hamburg untergegangen und dank der dort verbliebenen industriellen Überbleibsel nur noch ein giftiger, stinkender und gefährlicher Sumpf. Den See nutzen nord- und osteuropäische Völker, um die dort entstandenen Siedlungen zu plündern und brandzuschatzen. In dieser Welt lebt Felix von Aschenbach, der im Gegensatz zu seinem Bruder Oliver kein Krieger, sondern ein belesener und erfinderischer Feingeist ist. Er hat keinen Rang unter seinesgleichen, will aber seine Angebetete Aurora von Theissenberg für sich gewinnen und beschließt, sie mit einer Reise um den See zu beeindrucken. Mit seinem selbstgebauten Kanu sticht er in See und begibt sich damit nicht nur auf eine Reise in unbekannte Gefahren, sondern es eröffnen sich ihm auch vollkommen neue Welten. Reisen Sie mit Felix und werden Sie Teil seiner unglaublichen Erlebnisse ….

Der See

Format: Taschenbuch/eBook

Der See.

ISBN: 9783849653675 (eBook)

ISBN: 9783849669324 (Taschenbuch)

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Die alten Männer erzählen oft davon, wie ihnen ihre Väter von der ersten Veränderung berichteten, die sichtbar wurde, kurz nachdem die Felder sich selbst überlassen worden waren. Im ersten Frühjahr, nach dem Untergang Hamburgs, wurde es überall grün, so dass das Land einheitlich gleich aussah.

Die Wiesen waren grün, ebenso wie der wachsende Weizen, der ausgesät worden war, aber weder weitere Pflege erfahren hatte, noch diese jemals erhalten würde. Ackerflächen, auf denen die letzten Stoppeln umgepflügt, aber kein Saatgut ausgebracht worden war, wurden von der Quecke überwuchert, und dort, wo die kurzen Stoppeln noch standen, bedeckte das Unkraut sie. Es gab keinen Ort, der nicht mehr oder weniger grün war; die Wege waren die grünsten von allen, denn so ist nun mal die Natur des Grases, wenn es einmal irgendwo angewachsen war; und nach und nach, als der Sommer kam, waren alle ehemaligen Straßen dünn mit dem Gras bedeckt, das sich vom Rand her ausgebreitet hatte.

Im Herbst, als die Wiesen nicht gemäht wurden, verwelkte das hohe Gras, und die Halme legten sich in die Richtung, in die der Wind gerade blies; die Samen fielen, die Nelkenwurze wurden grau-weiß, oder, wo der Ampfer und der Sauerklee wuchsen, bräunlich-rot. Der Weizen, nachdem er reif und niemand da war, der ihn ernten konnte, blieb ebenfalls stehen und wurde von Unmengen von Sperlingen, Saatkrähen und Tauben gefressen, die sich ungestört über ihn hermachten und nach Belieben speisten. Als der Winter anbrach, wurde das Getreide von den Stürmen umgeknickt, von Regen durchtränkt und von Tierherden niedergetrampelt.

Im nächsten Sommer wurde das Stroh des Vorjahres durch den jungen, grünen Weizen und die Gerste verdeckt, die aus den Saatkörnern entstanden waren, die die Ähren fallen gelassen hatten; ebenso durch Unmengen von Ampfer, Disteln, Wiesen-Margeriten und ähnlichen Pflanzen. Diese verfilzte Masse wuchs durch das gebleichte Stroh hindurch. Auch der Ackersenf versteckte die verrottenden Wurzeln auf den Feldern unter einem Meer leuchtend gelber Blüten. Das junge Frühlingswiesengras konnte sich kaum durch das lange tote Gras und die Nelkenwurze des Vorjahres nach oben schieben, während Ampfer, Disteln, Sauerklee, Wildkarotten und Brennnesseln solche Schwierigkeiten nicht hatten.

Im zweiten Jahr waren auch die Wege ganz verschwunden; Straßen konnte man noch erkennen, wenn sie auch so grün waren wie der Rasen, und auf ihnen konnte man immer noch am besten vorwärtskommen In dem miteinander verwobenen Weizen und Unkraut, sowie dem langen Gras auf den Wiesen, verfingen sich die Füße derer, die versuchten, hindurch zu gehen. Jahr für Jahr behaupteten die ursprünglichen Saaten von Weizen, Gerste, Hafer und Bohnen ihre Präsenz und schossen hoch, wenn auch mit allmählich abnehmender Kraft, da sich Brennnesseln und gröbere Pflanzen, wie wilde Pastinaken, aus den Gräben auf die Felder ausbreiteten und sie erstickten.

Wassergräser aus den Furchen und kleineren Bachläufen erstreckten sich auf die Wiesen und schafften es in Verbindung mit den Binsen, die Kräuter zu zerstören oder zu ersetzen. Unterdessen hatten die Brombeersträucher, die sehr schnell wuchsen, ihre stacheligen Ausläufer immer weiter aus den Hecken herausgeschoben, bis sie nun zehn oder fünfzehn Meter Länge erreicht hatten. Die Dornsträucher taten es ihnen gleich, und die Hecken wuchsen auf das Dreifache oder Vierfache ihrer ursprünglichen Breite an, womit sie die Felder entsprechend einengten. Selbst auf den größten Feldern trafen sich im Laufe von zwanzig Jahren diese Brombeer- und Dornsträucher, die von allen Seiten in die Mitte wuchsen.

Unter ihnen sprangen Weißdornsträucher auf, durch die Dornen geschützt vor grasenden Tieren, und die Schösslinge der Ulmen blühten auf. Eschen, Eichen, Bergahorn und Rosskastanien erhoben ihre Köpfe. Früher hätten die Rinder die Jungpflanzen mit dem Gras gefressen, sobald diese dem Boden entwachsen waren, aber jetzt schlugen die meisten Eicheln, die von Vögeln fallen gelassen wurden, und die Sämlinge, die der Wind her geweht hatte, Wurzeln und wurden zu Bäumen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Dornen und Brombeeren auch die ehemaligen Straßen, die so unpassierbar waren wie die Felder, verstopft und blockiert.

Es waren keine Felder mehr übrig, denn wo der Boden trocken war, füllten die bereits erwähnten Brombeeren, Dornsträucher und Schösslinge den Raum, und dieses Dickicht und die jungen Bäume hatten den größten Teil des Landes in einen riesigen Wald verwandelt. Wo der Boden von Natur aus feucht und die Abflüsse mit Weidenwurzeln verstopft waren, die aussahen wie ein Fuchsschwanz, wenn sie in Kanälen eingeengt wurden, bedeckten ihn Seggen, Schwertlilien und Binsen. Auch Dornsträucher wuchsen dort, aber bei Weitem nicht so hoch; sie waren mit Flechten bedeckt. Neben den Lilien und dem Schilf erhoben sich Unmengen von Herkulesstauden, die fast zwei Meter hoch wurden, und das Weidenkraut mit seinem kräftigen Stiel, fast so holzig wie ein Strauch, füllte jede Lücke aus.

Im dreißigsten Jahr gab es keinen einzigen offenen Ort mehr, die Hügel ausgenommen, wo ein Mensch gehen konnte – es sei denn, er folgte den Spuren wilder Kreaturen oder bahnte sich einen Weg. Die Gräben waren schon längst voll mit Blättern und toten Ästen, so dass das Wasser, das durch sie abfließen sollte, stehenblieb und sich bald in die Hohlräume und über die Ecken der vormaligen Felder ausbreitete und Sumpfgebiete bildete, in denen die Schachtelhalme, Binsen und Seggen das Wasser bedeckten.

Da sich niemand um die Bäche kümmerte, verrotteten die Wehre allmählich, und die kräftigen Winterregen schwemmten die schwachen Hölzer weg und überschwemmten die umliegenden Flächen, die zu Sümpfen größeren Ausmaßes wurden. Die Dämme wurden von Wasserratten unterhöhlt, und die durchströmenden Bäche vergrößerten langsam die Größe dieser Tunnels, bis die Struktur aufplatzte, die Strömung weiterfloss und die Überschwemmungen nur noch größer machte. Die mächtigeren Bauwerke in den Flüssen standen etwas länger, aber als die Teiche verschlammten, floss der Strom um sie herum und sogar durch die Bauwerke hindurch, die nach und nach verrotteten und in einigen Fällen unterspült wurden, bis sie einstürzten.

Überall waren die an die Bäche und Flüsse angrenzenden, tieferen Landstriche zu Sümpfen geworden, von denen sich einige kilometerweit in gewundener Linie erstreckten und sich gelegentlich bis zu zwei Kilometern Breite ausweiteten. Dies war insbesondere der Fall, wo kleinere Bäche und Flüsse sich in die Ströme ergossen, deren Lauf ebenfalls blockiert und versperrt wurde, und die überquellenden Ströme das Land bedeckten; denn die einströmenden Flüsse führten Bäume und Äste, vom Ufer abgebrochene Hölzer und alle möglichen ähnlichen Materialien mit sich, die in den Untiefen auf Grund gingen oder sich in den Stromschnellen verfingen, und dort riesige Stapel bildeten, wo vorher Wehre gewesen waren.

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