Karin von Schweden

Karin von Schweden – Wilhelm Jensen

Jensens historischer Roman behandelt die Geschichte der Katharina Stenbock, die als Gemahlin von König Gustav Wasa und als Karin von Schweden in die Geschichte einging.

Karin von Schweden

Karin von Schweden.

Format: Print/eBook

Karin von Schweden.

ISBN Taschenbuch: 9783849669560

ISBN eBook: 9783849656034.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Das sind die Fälle von Trollhätta. – Sie rauschen seit tausend, tausend Jahren, ehe ein Ohr da war, sie zu vernehmen.

Weit über die Felsen sprühen sie ihren silbernen Staub, darauf die Sonnenlichter in freudigen Farben glänzen und gleißen. Drunten aber unter dem blendenden majestätischen Schleier wogen und wallen die stürzenden, stürmischen Wasser.

Das sind die Fälle von Trollhätta. Sie überrauschen Tage und Jahrhunderte. Der Knabe, der an ihnen spielt, wird zum Manne und sein Haar bleicht. Und wenn er zum letzten Male am Stabe zu ihnen hinaus wankt, sind sie wie am Tage, da er sie zum ersten Male sah, von Blumen umrandet wie der Frühling, und silberweiß wie der Winter. –

Es ist gut sitzen am Rande des Trollhätta für den, der etwas vergessen will, das die fallenden Wasser überhallen. Sie kommen daher wie die Schicksale der Menschen, friedlich, durchsichtig, und küssen die nickenden Gräser, die sich auf sie herabneigen. Dann ein kleiner Wirbel und ein schnelleres Rauschen, unmerklich, ahnungslos – doch die Stille, die Klarheit sind dahin und kehren nicht wieder. Geschwinder schießen sie fort – immer hastiger getrieben, unaufhaltsamer und unabwendbarer, dann plötzlich stürzen sie tosend in die verschlingende Tiefe hinab.

Als die ersten menschlichen Gestalten, mit der Feuerstein-Lanze das Rennthier verfolgend, durch die Wälder des Südens daher kamen, plattgesichtig mit weit vorspringenden Backenknochen, gelbbraunes Haar über der fahlen Stirn, den dünnen Bart am Kinn wie welkes Herbstgras niederhängend, und ein zottiges Fellstück um die Hüften – da begrüßte sie das Rauschen des Trollhätta. Waren es Jahre, waren es Jahrtausende, daß sie an seinen Wassern saßen? Sie schrieben keine Bücher, die Kunde davon geben, nur die Wellen des Trollhätta murmelten ihre Geschichte. Sie färbten sich roth von ihrem Blut, das die weißgesichtigen Eroberer vergossen, die auf plumpen Schiffen die Ostsee daher trug. Unaufhaltsam, fortwirbelnd drängten sich die Völker Europas wie die fallenden Wasser des Trollhätta. Da tönten die Lobgesänge Odin’s an ihren Ufern, und seine Nachkommen, die auf die Erde herabgestiegen, herrschten über den Völkern der Gothen und der Schweden. Ynglinger hießen sie und nannten sich Könige von Upsala – Jahrhunderte kamen und gingen – wer ihre Kunde aus grauen Tagen vernehmen will, wie sie hinabgestürzt auf Nimmerwiederkehr in die Alles verschlingende Tiefe der Zeit, dem rauschen es die Wasser von Trollhätta.

Und wieder gebar der Süden eine neue, welterschütternde Bewegung aus seinem Schooß, und die Ostsee trug sie herüber. Bis in die Felsenöden des Schneehättan flog die Botschaft des Christenthums, und ein mächtiges Geschlecht, Folkungen genannt, stieg auf den schwedischen Thron. Weit dehnten sich die Grenzen des Reichs, doch mit ihnen wuchs das Begehren, die Habgier und die Herrschsucht, und die am höchsten gestiegen, stürzten zermalmt in die Tiefe hinab, wie die tosenden Wasser von Trollhätta.

Dann kamen sie zum ersten Mal über den schmalen Arm, der Schweden von Seeland scheidet, die Nachkommen der alten Normannen, die auf meerumspülten Inseln ihr Vikingerreich gegründet. Eine feste Hand hatte das kleine dänische Volk zusammengefaßt, daß es den Mächtigsten kühn entgegentrat, und das von Parteihader entnervte Schweden ward ihm zur leichten Beute. Wenige Meilen von den Fällen des Trollhätta fiel es bei Falköping in die Hand eines Weibes, und auf das Haupt der Enkelkinder Odin’s legte Margaretha von Dänemark die übermüthige Siegerhand.

Dumpf und zornig rauschten die Wasser von Trollhätta. Wer an den grollenden Wogen saß, mußte es vernehmen, in brausendem Fall aus der Höhe rauschten sie den Uebermuth der Sieger: dumpfrollend hinabgestürzt in die Tiefe murrten sie die Schmach der Besiegten.

Hatte Karl Knutson ihnen gelauscht, als er das Schwert ergriff und die dänischen Eisenketten zerhieb?

Er vielleicht, doch die ihm folgten, nicht mehr. Eifersüchtig auf die Macht eines Einzelnen, duldeten die Großen des Landes den Königsnamen nicht mehr über sich. Wohl fiel in Wahrheit die Oberherrschaft an Sten Sture und ging über auf seinen Sohn und seinen Enkel, doch der eigenwillige Adel erkannte sie nur als »Reichsverweser« an und benutzte jeden Anlaß, die wirkliche Kraft derselben zu beeinträchtigen. Traurig rauschten die Wasser von Trollhätta, denn der Ruhm und die Größe Schwedens war Schein und Trug – über ihm lag der Schatten jener kalmarischen Union, die seine erste Besiegerin, Margaretha, erzwungen, kraft welcher die Könige von Dänemark zu Recht auch die Krone von Schweden und Norwegen trugen. Daß keiner ihrer Nachkommen stark genug gewesen, sich dieselbe in Wahrheit aufs Haupt zu drücken, mochte die kurzsichtigen Augen der schwedischen Großen betrügen – die Wasser des Trollhätta rauschten warnender, unheilverkündend, sie ließen sich nicht täuschen und wälzten mit donnerndem Mahnruf sich dem Enkel Margaretha’s entgegen, als er mit dem Schwerte in der Hand an die Küste sprang, mit Gewalt die Krone der kalmarischen Union zu verwirklichen. Wohl jauchzten sie noch einmal auf, als Christiern der Zweite nach blutigem Kampfe bei Brännkyrka vor Sten Sture zurückfloh; doch er kehrte wieder und Sten Sture fiel; die feste, wohlthätige Hand, die zum Heile des Landes den widerspenstigen Willen seiner Großen gezügelt, lag blutlos im Staube, und lachend griff Christiern der Zweite nach der Krone, die der schwedische Adel ihm williger entgegentrug, als wenn einer aus seiner eigenen Mitte nach dem goldenen Reife gestrebt. In der Kirche zu Stockholm setzte er sich die Krone aufs Haupt; er nahm das Abendmahl auf den heiligen Eid, die Verfassung Schwedens zu wahren und keine Rache wegen des Vergangenen zu üben. Drei Novembertage lang herrschte festlicher Jubel in den Gassen von Stockholm; die Nacht ward zum Tage, denn auf dem königlichen Schlosse erloschen die Kerzen nicht, ehe die Sonne kam. Dort klangen die Becher des gesammten schwedischen Adels zum Preise des leutseligsten aller Könige, und lächelnd schritt Christiern der Zweite durch die freudetrunkene und weintaumelnde Menge, umarmte die Bischöfe, küßte die Reichsräthe und drückte dem Bürgermeister von Stockholm derb-treufest die Hand. Und dann schlug der König selbst fröhlich die Hände zusammen und sang ein lustiges Lied zu Ehren seiner lallenden Gäste. Nur die Wasser von Trollhätta rauschten düster, geheimnißvoll, und rissen das braune Laub, das der Herbstwind über sie rüttelte, wirbelnd in die Tiefe.

Viertehalb Jahrhunderte sind seit jenem Novembertag vergangen. – – –

Schön und lieblich war jener Novembertag des Jahres 1520. Die untergehende Sonne vergoldete die rothen Dächer des nordischen Neapels und spiegelte sich tiefroth auf der stillen Fläche des Mälarsees. Herbstfrieden des Nordens lag für den fernen Beschauer über Schwedens Hauptstadt; Herbststille auch, die seltsam gegen den lärmenden Jubel, der kurz zuvor noch auf Markt und Gassen geherrscht hatte, abstach.

Auch die mittleren Gegenden Schwedens sind noch heute für ihre räumliche Ausdehnung ein karg bevölkertes Land, doch bewohnt die fünffache Menschenzahl sie gegen damals. Die großen Seen und die Felsen sind geblieben; zwischen ihnen aber erstrecken sich jetzt viele Meilen fruchtbaren Ackerlandes, die in jener Zeit weite Oeden bildeten. Drei unabsehbare Wasserspiegel, der Mälar-, der Hjelmar- und der Wener-See, dehnen sich in gerader Richtung von Osten gegen Westen fast durch die ganze Breite des Reiches, zu denen etwas südlich sich die gewaltige Länge des Wettersees gesellt. Zwischen ihnen wechseln Thäler und Steinkuppen, melancholische Tannengebirge und freundliche Buchenwälder in der Tiefe. Und auf Allem, wie über den Dächern der Hauptstadt, lag die abendliche Novembersonne mild und friedlich, als künde sie den Mai, den Lenzmonat des Nordens, an, statt des Decembers. Auf den schweigsamen Wassern des Hjelmar-Sees, wie auf den geräuschlosen, langgestreckten Wellen des Mälar, die leise an die hohen Steintreppen des Schlosses zu Stockholm hinanspülten. Auf spitzen Dorf-Kirchthürmen und den burgartigen Zinnen einsam gelegener Schlösser des schwedischen Adels, die zwischen den glänzenden Wasserspiegeln aus herbstbraunem Laub aufragten. Weiter gen Westen auf der meeresweiten Fläche des Wenersees mit seinen unzähligen Inseln, aus dessen südlicher Spitze die breite Göta-Elf dem Kattegat zuströmt.

Dann kommen die Fälle von Trollhätta.

Auf dem Wenersee vernimmt der Schiffer in stiller Luft ihren warnenden Laut. In meilenweiter Ferne hört ihn der Hirt auf dem Felde; scheu schweift in hoher Luft der Zugvogel vor seinem Getöse seitab, das sich mit jedem Schritte, der näher hinanführt, verstärkt. Dann ist das Ohr betäubt und nur das Auge überschweift schauernd die weißschäumende Masse, die sich über jähen Felsbruch donnernd in die grausige Tiefe hinabwälzt. Nackte, steile Granitufer empfangen sie drunten, senkrecht aufsteigend, Mauern wie von Riesenhand errichtet, um die wilden, zügellosen Wasser in ihr Bett zurückzuzwingen. Nur hier und da wurzelt in den Steinplatten ein einzelner Baum und wiegt seine gen Westen geneigte Krone im Abendwind, dem Boten der scheidenden Sonne.

Ueber den Wenersee kam er in langsamen Intervallen, er strich über das braune Moos der Felsen zu Häupten des Katarakts, und wie er vorüberzog, der schwindenden Sonne nach, streifte er leise mit unsichtbarer Hand die letzten Blätter aus den Baumkronen und trug sie in spielendem Flug über den schrägen Abhang an den Rand des Absturzes hinab. Lustig flatterten sie über den einfarbigen Boden fort, eine Sekunde noch, und der feuchte Sprühregen des Trollhätta hatte sie gefaßt und schlang sie wirbelnd hinunter.

Eins nach dem andern, immer das nämliche Abendspiel, an dem die schwermüthige Natur sich in ihrer Einsamkeit zu belustigen schien, unbekümmert, ob Menschenaugen es beachteten oder nicht.

Da greift eine Hand nach einem der Blätter, das den andern nach vorüberfliegt. Es sind doch Menschenaugen da, die Alles sehen; zwei große, stille Augen.

Felsiger Grund, mit Moos und Haidekraut sparsam überzogen, dehnte sich aufwärts vom Rande des Trollhätta, hundert Fuß vielleicht bis zur kahlen Höhe, auf der drei von jenen Bäumen standen, die ihre laublosen Zweige gegen den blauen Horizont bewegten. Hin und wieder ragte ein Felsvorsprung wie eine Tischplatte oder wie ein künstlicher Gigantensitz aus dem Grund, und von einem derselben, unweit dem mittleren der Bäume, streckte sich die Hand in die Luft.

Die Hand war so schmal und ihre Finger so durchsichtig und fein, wie nur die Hände Freya’s zu sein vermochten, wenn sie mit silbernem Zügel die goldmähnigen Rosse lenkten. Nun stach, wie aus weichem Marmor gestattet, der runde, erhobene Arm gleich den Bäumen vom Horizonte ab und strahlte weißes, freudiges Licht zurück.

War es Freya, die, herabgestiegen, um Odur zu suchen, auf dem alten Odinsteine saß? Die Dichter sangen von ihr, ihr Auge sei ewiger Frühling, Licht ihr Nacken und ihre Wangen. Und Licht war Alles, was von ihr ausging.

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