Die Leute von Seldwyla

Die Leute von Seldwyla.

“Die Leute von Seldwyla” ist ein Novellenzyklus des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Die zehn “Lebensbilder”, wie sie Keller selbst genannt hat, spielen allesamt im erfundenen Schweizer Dörfchen Seldwyla und sind – mit der Ausnahme von “Romeo und Julia auf dem Dorfe” – komödiantisch angehaucht. Das Werk gehört zu den Klassikern der eidgenössischen Literatur.

Die Leute von Seldwyla

Die Leute von Seldwyla

Format: Taschenbuch.

Die Leute von Seldwyla.

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Literaturgeschichtliches zu Die Leute von Seldwyla (aus Wikipedia):

Seldwyla, auf den Bergnebel gemalt, gehört mit Nephelokokkygia und Laputa zu den Städten zwischen Himmel und Erde. Eine „civitas dei helvetica“ nannte es Walter Benjamin, wohl weil es Ziel heftiger Sehnsucht ist, ungeachtet der mangelnden Gottseligkeit seiner Bewohner. Deren bedenkliche Eigenschaften hindern indessen nicht, dass die Stadt im Wechsel der Zeiten und des Verkehrs fortbesteht, als walte darin jene unsichtbare Hand, welche die Lebenskraft eines Gemeinwesens aus der moralischen Unzulänglichkeit seiner Bürger erwachsen lässt. Georg Lukács fühlte sich durch Seldwyla an den Gegenentwurf zum tugendreichen Utopia erinnert, Mandevilles paradoxen Bienenstaat aus der Frühzeit der liberalen Gesellschaftstheorie.

Mit Abdera, Schilda etc. gehört Seldwyla auch zu den Narrenstädten. In jeder der zehn Novellen attackiert der Erzähler eine oder mehrere Narrheiten, meist durch satirische Zeichnung oder ironischen Kommentar, selten lehrhaft-moralisch. Der Zyklus stellt sich somit als später Nachfahre der Narrenliteratur dar. Zugleich beansprucht er einen Platz in der Geschichte der erotischen Literatur: Alle Seldwylergeschichten sind Liebesgeschichten oder enthalten solche im Kern. Dass beide Gattungen zusammenhängen, belegt seit dem Mittelalter die Vielzahl von Facetien, Schwänken und Fastnachtsspielen. Auch im Decamerone und im Don Quijote – Kellers Lieblingsbuch – gehen Narrheit und Verliebtheit Hand in Hand.

Dank Kellers ausgedehnten Lektürestreifzügen in die Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts standen viele Werke dieser Epoche bei der Entstehung der Leute von Seldwyla Pate. Im Zeitalter der Aufklärung und der beginnenden Romantik hatte sich – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Narrenfiguren Cervantes’ und Shakespeares – das Bild des Narren gründlich gewandelt. Die barocke, derb-witzige Narrenschelte in der Art eines Abraham a Santa Clara war aus der Mode gekommen und mit ihr die grobschlächtige, an den Katalog der Todsünden angelehnte Einteilung der Narrheiten. Der Narr als Phantast, der die Möglichkeiten der Welt tiefer erkennt, indem er ihre Wirklichkeit scheinbar verkennt, beanspruchte philosophisches Interesse. Die Gesellschaftskritiker des 18. Jahrhunderts, Erben der humanistischen Moralistik, entdeckten die phantastische Erzählung als Mittel der Satire. Mit Vorliebe schlüpften sie in das Gewand von Reisenden (wie Gulliver), erkundeten darin imaginäre Länder und absurde Städte (wie Laputa), um von solchermaßen ver-rückten Standorten aus die Sitten und Einrichtungen ihrer Heimat zu beleuchten. Die Schärfe ihrer Kritik richtete sich nun gegen die scheinbar Klugen und Gerechten, die ihre Wohlangepasstheit an vernunftwidrige Verhältnisse mit Heuchelei und Bigotterie, d. h. mit dem Opfer von Verstand und Menschenwürde erkaufen.

In diesem Geiste, dem Swifts und Molières, schuf Keller die drei gerechten Kammmacher, die Jungfer Bünzlin (ein weibliches Pendant zum Tartuffe), den Hexenmeister Pineiß, den Erbschleicher Kabys, den Möchtegern-Patrizier Litumley, den schriftstellernden Erznarren Störteler – Keller war „ein Literatursatiriker von hohen Graden“ – die Ruechensteiner Finsterlinge und den intellektuell unredlichen Reformgeistlichen im „Verlornen Lachen“. Mehrere dieser Figuren erinnern auch ans Muster der romantischen Satire auf den Philister. Der höfliche Kater Spiegel dagegen, als Anti-Philister stilisiert, trägt Züge eines „honnête homme“ im Sinne des aufklärerischen Persönlichkeitsideals.

Wieder eine andere, oft übersehene Richtung aufklärerischer Gesellschaftskritik, die Wirtschaftssatire, kommt zum Zuge, wo sich der Erzähler über den Schlendrian der Seldwyler lustig macht. Indem er ihrem faulen Kreditverkehr den auf wirkliche Produktion gegründeten Erwerb Frau Amrains gegenüberstellt, folgte er einem von Pestalozzi und Gotthelf angesponnenen Faden. Über das politische Treiben der Seldwyler fällt sein Spott in Teil I vergleichsweise milde aus – 1856 ist Keller mit den „vaterländischen Zuständen“ im Großen und Ganzen noch zufrieden. Umso freier lässt er ihm in der Schlussnovelle des Zyklus, 1874 unter gewandelten Verhältnissen, die Zügel schießen.

Nicht alles, was in den Leuten von Seldwyla als Narrheit gegeißelt wird, ist zum Lachen. Während der Erzähler mit törichten Verliebten meist glimpflich verfährt, kennt er der Besitzwut gegenüber keine Nachsicht. Dies gilt besonders für „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, der einzigen Geschichte mit tragischem Ausgang. Hier figurieren die Väter als Narren, jedoch – im Sinne des mittelalterlichen Narrenbildes – als ruchlose Narren, deren Handeln, so lächerlich es ist, angesichts seiner absehbaren Folgen jede Heiterkeit im Keim erstickt.

Umgekehrt ist nicht alles, was in den Leuten von Selwyla Heiterkeit erregt, närrisches oder auch nur unkluges Verhalten. Über den kleinen Amrain, wenn er den zudringlichen Werkmeister in die Flucht schlägt, lacht man, aber man lacht ihn nicht aus. Man erfreut sich an der Schelmerei Vrenchens, wenn es einer Bauersfrau vorschwindelt, Sali sei sein Bräutigam und habe das große Los gewonnen, oder an der Koketterie von Gritlis attraktiver Freundin, wenn sie Wilhelm auf die Feuerprobe stellt. Geradezu chaplinesk wirkt Wenzel Strapinski, wenn er der Goldacher Hautevolee ein nicht ganz stubenreines Liedchen vorträgt, dessen polnische Worte er selber nicht versteht. Über dieser Art von Komik, frei von aggressivem Spott, wird oft die andere, maliziöse Seite des Kellerschen Humors übersehen; was eine Klärung nötig macht.

 

(Der Text des letzten Abschnitts wurde der deutschen Wikipedia entnommen und ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar.)

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