Tausend und ein Abenteuer

Tausend und ein Abenteuer – Kurt Faber

In diesem Band erzählt der deutsche Reiseschriftsteller von Abenteuern, die er rund um den Globus erlebt hat.

Tausend und ein Abenteuer

Tausend und ein Abenteuer.

Format: eBook.

Tausend und ein Abenteuer.

ISBN: 9783849653019

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Der Anfang war vielversprechend. Ein nasser, kalter, unfreundlicher Tag. Die Nässe spiegelte sich im Asphaltpflaster und dicke Nordseenebel hingen um die hohen Häuser. Ab und zu kam eine Regenschauer auf Flügeln des eiskalten Windes, der pfeifend um die Ecke fegte. – Wahrlich ein Wetter, in dem man keinen Hund auf die Straße schicken mochte.

Noch einmal in Antwerpen! Zum letztenmal – wann war es doch? – vor vielen, vielen Jahren, so ungefähr Anno 1913, da fuhren wir nach langer Reise mit dem Segelschiff die Scheide hinauf in richtigem seemännischem Stil. Damals – da kamen die Herren Heuerbaase schon in Vlissingen mit der Schnapspulle an Bord und klopften jedem väterlich wohlwollend auf die Schulter und verkauften uns echt englische Anzüge, die nachher auch danach waren, und die beutelüsternen Gastwirte an der Lange Straat luden einen mit freundlichen Worten ein, und man war der Held in jeder Hafenkneipe, selbst ein Stück des Lebens, das da durch die Gassen flutete, so wild und lärmend wie die Brandung, die gegen die Hafenmole tobte.

Damals –

Aber welche Welt lag dazwischen! Und wieviel Weltgeschichte gerade hier! Zwar ist noch immer alles so, wie es war. Noch sind es dieselben Straßen, dieselben hohen Häuser, deren Stockwerke sich wunderlich übereinandertürmen, die dürren, wetterharten Gestalten mit den breiten Schirmmützen und den großen Halstüchern, ohne die man sich eine europäische Hafenstadt nicht recht vorstellen kann. Man verliert sich in den engen Gassen, wo es nach Motten und alten Kleidern riecht, wo aus dunklen Läden eine vielgestaltige Herrlichkeit bis in die Straße überquillt und man alles zum Verkauf ausbietet, von einem getragenen Überzieher bis zu der eigenen Seele. Ja, und da sind noch immer dieselben fahrenden Händler, um deren Buden ein süßer Duft von pommes frites und Brüsseler Waffeln schwebt. Die feinen Nebel ziehen zwischen den Schiffsmasten auf der Schelde, von überall kommt das Schnauben der Krane und der geschäftige Lärm der Docks. – So heimlich die Namen der Wirtshäuser, die am Wege stehen! »In ‘t Antje«, »de Scheldevriend«.

Ein schöner, alter Platz mit buckligem Pflaster kam mir besonders bekannt vor, trotz der vielen Jahre. Stand es da noch immer über der Tür des alten Hauses: »In ‘t Mientje«. Das war doch »die Olle mit die vier Meisjes«, die täglich mit ihren Karten nach dem Segelschiffhafen zu kommen pflegte. Die mußte ich mit meiner Kundschaft beehren, grade nur um der alten Zeiten willen. – Es war wirklich noch alles so wie einst. Der Laden noch so sauber geputzt und die Tische noch so blank gescheuert. Und rote Vorhänge an den Fenstern und auf der Theke ein mächtiger flandrischer Käse, der unter einer Glasglocke träumte. Und die Katze schnurrte vor dem Kachelofen ganz so wie damals, als ob nicht Generationen von Katzen seither gekommen und gegangen wären. – Ah, aber die Menschen waren anders! Das Meisje setzte das Weinglas grob auf den Tisch. Es war wohl schon das Meisje des Meisjes von damals, und das keifende Weib, das da im Hintergrund schimpfte – wer weiß? Es wurde einem übel, wenn man nur daran dachte! Aber da kamen von draußen ein paar Matrosen herein, und das Meisje blickte auf einmal wieder so freundlich und liebreizend wie das vor beinahe fünfzehn Jahren, und die dicke Madame lächelte so freundlich, wie das nur möglich war bei ihren Jahren, derweilen der Wirt ein Geldstück in den Musikkasten warf, der lärmend loslegte.

Inzwischen fing es an dunkel zu werden. Die Nacht kroch aus allen Ecken. Da und dort blitzten die Lichter in den fallenden Schatten. Nur der Turm der Kathedrale ragte noch stolz hinein in ein Meer von Licht. Die Glocken schlugen wirr durcheinander, genau so, wie sie es damals taten. –

Am anderen Morgen regnete es noch immer. Der ganze Himmel weinte, und das war gut so, denn so gab es wenigstens doch etwas in Antwerpen, das Rührung zeigte über meine Abreise. Im übrigen war es höchste Zeit, als ich mit meinen Siebensachen vor dem Dampfer »Toledo« ankam. »Man tau«, sagte der Mann, der sich eben anschickte das Fallreep hochzuziehen, »et ward all Tid!« Und schon warfen sie die Leinen los. Schon arbeiteten die Maschinen. –

Und wenn man es tausendmal gesehen und miterlebt hat, so erfaßt einen doch immer wieder dasselbe seltsame Gefühl bei der Abreise eines Dampfers. Freilich ist die Welt nicht mehr so wie zu Kolumbus’ Zeiten. Schiffe kommen und gehen alle Tage zwischen Ländern und Meeren, ohne daß ein Hahn danach kräht, ohne daß auch nur eine mitfühlende Musik ein »Muß i denn, muß i denn zum Städtele naus« spielt. Es geht alles so sang- und klanglos, so empörend nüchtern und geschäftsmäßig zu, und doch ist das Abschiednehmen noch um kein Jota leichter geworden für die, die da am Kai noch ein letztes Wort, einen letzten Blick zu erhaschen suchen, ein wenig mitrennen mit dem davongleitenden Schiff, bis die winkenden Taschentücher sich im Grau des Herbsttages verlieren. So viel Betrieb, so viel gemachte Lustigkeit, so viel krampfhaftes » keep smiling«, das nicht echt ist! Nirgendwo wird jahraus, jahrein so viel und so gut Theater gespielt wie an den Kais der Dampferlinien. –

 

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