Was der Tag mir zuträgt

Was der Tag mir zuträgt – Peter Altenberg

Eine Sammlung der schönsten Prosa des österreichischen Autors Peter Altenberg, dessen eigentlicher Name Richard Engländer war. Er verstarb 1919 in Wien.

Was der Tag mir zuträgt

Was der Tag mir zuträgt.

Format: eBook/Taschenbuch.

Was der Tag mir zuträgt.

ISBN eBook: 9783849654689

ISBN Taschenbuch: 9783849669881

 

Auszug aus “Aus dem Tagebuche der edlen Miss Madrilene”

Ein Dezember-Abend

Der Winter ist draussen, in der Landschaft, in der Ebene, auf den Hügeln.

Der Schnee schreit, ächzt, quietscht unter dem Tritte, wie neues unschmiegsames Leder, und wunderbare weisse Wellen sind überall.

Die Lunge freut sich über das Eis, welches sie in sich hineinsaugt, aber die Hände und die Ohren trauern.

Der Winter ist draussen, in der Ebene und die Stadtbrunnen haben Holz-Verkleidung.

Aber in meinem Zimmer ist es Sommer, Sommer!

Ein Petroleum-Öfchen aus Messing mit einem eisernen Reservoire für heisses summendes Wasser ist vorhanden.

Dann ein Gewand aus seidenweichem weissem Flanelle und weisse Woll-Stutzelchen für die armen Handgelenke.

Immer muss heisses, sanft murmelndes Wasser vorhanden sein, um sogleich lichten Thee zu bereiten; und Citronen und Orangen sammt Holz-Pressen für heisse Limonade.

Es ist angenehm und freundlich, sich Sommerhitze zu verschaffen von aussen und innen, während der Winter in der Landschaft wüthet und die Ebene bedrängt.

Gehe hinaus aus Deinem süssen Sommer-Raume wie in ein ersehntes Schwimmbad, tauche in die Eises-Lüfte, lasse den Wind wie kalte Brause wirken, die den Athem verschlüge!

Aber geniesse es wie ein Sommer-Bad, herein, heraus, ehe Du bebst und plärren möchtest!

Und rasch zurück in Deinen Zimmer-Sommer.

Schon duftet der liebliche Thee und das Öfchen brennt lautlos und meine blonde Freundin sitzt nachdenklich, wie Menschen auf Garten-Bänken an lauen Sommer-Abenden.

Ich, Madrilene, sitze bei ihr.

Dann sage ich: »Maria, was ist eigentlich Ihre Meinung über diese Menschen in dem kleinen Künstler-Café?!?«

»Ich vermuthe, es wären ziemlich unentwirrbare Menschen, nicht?! Wie man ein Insekt schwer erkennen und bestimmen könnte, wenn es sich um sich selbst herumwirbelte?!?«

»Ja, Maria. Das vermuthe ich gleichfalls. Finden Sie nicht, dass die Meisten gespannte Züge besitzen?! Aber man müsste ganz glatte Züge haben wie ruhig Schlummernde oder wie schlendernde Spaziergänger! Gespannte Züge in dem Antlitz sind wie Elastik-Bänder vor dem Zerreissen, Dampfkessel vor dem Bersten, nicht?! Jedesfalls erblickt man innere Constitutionen des Stoffes, welche Geheimnis bleiben müssten! Oder: Eine Uhr, welche ihren Mechanismus plötzlich bloslegte, bliebe von selbst stehen!«

Meine Freundin sagte: »Das verstehe ich nicht. Oder doch. Jedesfalls complicieren sich diese Menschen Alles. Mehr verstehe ich nicht davon. Aber sie complicieren es sich.«

»Ja, Maria. Alles überhaupt complicieren sie sich, verstehen nichts zu durchschauen, zu entwirren, verstricken sich in sich selbst, fangen sich in ihrem eigenen Netze, verlieren die guten einfachen Möglichkeiten.«

»Man muss es sich vereinfachen« erwiderte Maria, »sonst könnte man schwer durchkommen –.«

Stille.

…..

 

 

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