Da habt ihr euren Krieg

Da habt ihr euren Krieg – Ernie Pyle.

Eine wunderbare, 1944 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Hommage an die amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg ist dieser Bericht über den Feldzug der Soldaten in Nordafrika. Mit unvergleichlicher Menschlichkeit und Einfühlungsvermögen erzählt Pyle, wie Menschen aus allen Teilen Amerikas lernten, einen Krieg zu führen, den keiner wollte. Der Feldzug der Alliierten und der endgültige Sieg in Nordafrika war eine Mischung aus mutigen Taten, Opfern und unnötigen Verlusten, exotischen Aussichten, Ausdauer, Heimweh und dem unverwechselbaren amerikanischen Sinn für Humor. Pyle berichtet über die spannende Landung in Oran, die täglichen Risiken der Jagd- und Bomberpiloten, die erbittertenKämpfe in der Wüste und in den Bergen Tunesiens, eine grausame Panzerschlacht, die für die unerfahrenen Amerikaner mit einer Niederlage endete, und den endgültigen Sieg in Tunis. Oder, wie Präsidentengattin Eleanor Roosevelt es ausdrückte: “Jedem, der noch nie an einer Front gedient hat, vermittelt dieses Werk ein lebhaftes Bild vom Krieg.”

Da habt ihr euren Krieg

Da habt ihr euren Krieg.

Format: Taschenbuch/eBook

Da habt ihr euren Krieg.

ISBN Taschenbuch: 9783849664381

ISBN eBook: 9783849663506

 

Auszug aus dem Text:

 

KAPITEL 1. DER KONVOI NACH AFRIKA

Eine Reise mit einem Truppenkonvoi ist eine bemerkenswerte Erfahrung. Jedenfalls für mich, denn ich bin auf diese Weise nach Afrika gekommen.

Es gibt drei Arten von Konvois: langsame Verbände, die aus Nachschub transportierenden Frachtern bestehen, mittelschnelle Truppentransporte, die mit schwerem Marinegeleit fahren; und kleine Konvois aus schnellen Ozeandampfern, die große Mengen Soldaten und Material transportieren und deren Sicherheit hauptsächlich von ihrer Geschwindigkeit abhängt. Unser Konvoi von England nach Afrika gehörte zum zweiten Typ. Wir waren ziemlich schnell unterwegs, hatten eine enorme Anzahl von Truppen an Bord und verfügten über eine starke Eskorte –– aber egal, wie viele Begleitschiffe es gibt, es scheinen nie genug zu sein. Die Schiffe, aus denen unser Konvoi bestand, waren sowohl britische als auch amerikanische, aber die militärische Eskorte bestand ausschließlich aus Kriegsschiffen der Royal Navy.

An einem Tag spät im Oktober erhielt ich gegen Mittag die Nachricht, dass wir London in der kommenden Nacht verlassen würden. Es gab noch eine Menge Dinge, die in letzter Minute erledigt werden mussten. So hatte ich erst am Morgen meine Wäsche weggeschickt, und es bestand keine Hoffnung, diese pünktlich zurückzubekommen. Also musste ich in aller Eile zusätzliche Socken und Unterwäsche kaufen. Die Armee wollte um 14:00 Uhr meinen Schlafsack abholen, um ihn für die äußerst geheimnisvollen Konvoi-Etikettierungen irgendwohin zu bringen.

Alles andere musste ich in eine Segeltuchtasche und meinen Proviantbeutel packen. Vier Freunde kamen vorbei und aßen ein letztes Mal mit mir zu Abend. Beim Abschied zog ich zum ersten Mal meine Armeeuniform an und verabschiedete mich für Gott weiß wie lange von der Zivilkleidung. Mein alter brauner Anzug, mein schmutziger Hut, meine Briefe –– all die kleinen persönlichen Dinge kamen in einen Koffer, der in London bleiben würde. Vermutlich würde ich sie nie wieder sehen. In der Uniform fühlte ich mich verlegen, lächerlich und alt.

Dann wurde es Nacht. Ich nahm ein Taxi zum vereinbarten Treffpunkt, wo andere Reporter bereits warteten. Militärangehörige kassierten unsere britischen Papiere ein, damit diese sicher aufbewahrt werden konnten. Anschließend wurden wir aufgefordert, unsere Pressearmbänder abzunehmen, denn diese könnten lauernden Spionen, falls es welche gab, preisgeben, dass wir Teil eines Konvois waren. Dann holte uns ein Armeefahrzeug ab und fuhr uns quer durch das verdunkelte London. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo wir waren. Schließlich hielten wir an einem wenig genutzten Vorortbahnhof, wo man uns mitteilte, dass wir zwei Stunden warten müssten, bis der Truppenzug käme. Also liefen wir auf dem Bahnsteig umher und versuchten, uns warm zu halten. Es war sehr dunkel, und irgendwann dachte ich, der Zug würde nie mehr kommen. Als es aber dann doch so weit war, drängten wir uns in zwei Abteile, wo ich sofort einschlief.

Wir saßen die ganze Nacht im Zug und schliefen hin und wieder –– aber nicht viel, weil es zu kalt war. Wir hatten keine Ahnung, in welchen Hafen wir fahren würden, aber unterwegs verriet uns jemand das Ziel unserer Fahrt. Wir waren alle überrascht, und einige der Jungs hatten noch nie von diesem Ort gehört.

Kurz nach Tagesanbruch hielt unser Zug neben einem riesigen Schiff. Wir meldeten uns in einem kleinen Militärbüro im Pierschuppen, nahmen dort unser Gepäck auf und begaben uns an Bord. Wir wirkten schmuddelig, uns war kalt, aber wir waren alle sehr neugierig. Unsere Gruppe bekam zwei Kabinen zugewiesen, in denen jeweils vier Männer untergebracht wurden. Die Unterkünfte waren schön, besser als jeder von uns erwartet hatte, und sahen fast aus wie in Friedenszeiten –– abgesehen von einer zusätzlichen Koje über jedem Bett. Viele Offiziere bewohnten Kabinen, die weitaus beengter waren als unsere.

Wir hatten alle erwartet, dass wir kurz nach der Einschiffung in See stechen würden, hatten bei dieser Überlegung aber vergessen, dass das Schiff erst beladen werden musste. In Wirklichkeit fuhren wir erst achtundvierzig Stunden später los. Während dieser Zeit hielten immer wieder lange Truppenzüge neben dem Schiff und entluden ihre menschliche Fracht. Die Zeit verging quälend langsam. Wir standen an der Reling und sahen zu, wie die Soldaten an Bord marschierten. Sie liefen schwer beladen durch den Regen, mit Stahlhelmen auf dem Kopf, in schweren Mänteln und mit Gewehren und riesigen Rucksäcken auf dem Rücken. Es war ein aufregender und in gewisser Weise auch ein trauriger Anblick, sie in endloser Zahl die steile Gangway hinauf marschieren zu sehen, um von dem großen Dampfer verschluckt zu werden.

Die meisten schritten schweigend dahin. Hin und wieder erblickte jemand einen Bekannten an der Reling und es gab einen kurzen Aufschrei. Für Männer, die in den Krieg zogen, trugen die Soldaten seltsame Dinge an Bord. Einige hatten Bücher in der Hand, andere waren mit Geigen- oder Banjokoffern beladen. Ein Mann führte einen großen schwarzen Hund. Und einer, so fand ich später heraus, hatte zwei Welpen unter seinem Hemd versteckt. Wie der spartanische Junge in der Geschichte wurde er fast zu Tode gekratzt, aber er hatte 32 Dollar für die Tiere bezahlt und liebte sie über alles.

Die Briten (unser Schiff war ein britisches) sind pingelig, wenn es um die Mitnahme von Hunden auf Truppentransporten geht. Die Offiziere befahlen, alle Hunde abzugeben, sagten, man würde sie an Land bringen, und versprachen, dass man ein gutes Zuhause für sie finden würde. Irgendwie aber verschwanden die Tiere und wurden von den Offizieren nie gefunden. Erst an dem Morgen, an dem wir in Nordafrika das Schiff verließen und den langen Marsch zu unseren Quartieren antraten, spazierten ein schwarzer Hund und zwei englische Welpen mit uns die seltsame afrikanische Straße hinauf.

Nachdem wir zwei Tage lang amerikanische Soldaten an Bord unseres Schiffes verladen und Tausende von Schlaf- und Seesäcken an Bord gehievt hatten, stachen wir endlich in See. Es war ein lausiger englischer Tag, kalt und mit strömendem Regen –– zu lausig, um an Deck zu sein und zuzusehen, wie die Pier weggleitet. Die meisten Männer lagen einfach in ihren Kojen. Ihnen war der traditionelle letzte Blick auf das Land ziemlich egal. Jetzt waren sie in Gottes Hand –– und in der der britischen Marine.

An Bord unseres Schiffes befanden sich Tausende von Offizieren und Soldaten sowie einige Krankenschwestern der Armee. Ich fühlte mich sogar ein wenig vertraut mit unserem Schiff, hatte ich es doch zwei Jahre zuvor in Panama liegen sehen. Damals hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages darauf nach Afrika fahren würde.

Die Offiziere und Krankenschwestern waren in den Kabinen untergebracht, die in Friedenszeiten von normalen Passagieren benutzt wurden. Die Soldaten waren unter Deck in den Laderäumen untergebracht. Das Schiff war früher ein Kühlschiff gewesen, aber man hatte die riesigen Vorratsräume, in denen einst Lebensmittel gelagert wurden, ausgeräumt und Soldaten dort hineineingepfercht. Jedes Abteil war mit langen Holztischen mit Bänken an jeder Seite ausgestattet. An diesen Tischen aßen die Männer, während sie nachts in weißen Hängematten aus Segeltuch schliefen, die an Haken direkt über ihnen hingen.

Alles schien furchtbar überfüllt zu sein, und einige der Männer beschwerten sich bitterlich über das Essen und aßen tagelang nichts. Viele der Jungen behaupteten jedoch, dass es im Vergleich zu dem, was sie auf der Fahrt von Amerika nach England “genießen” mussten, großartig war. Manchmal aß ich mit den Soldaten unter Deck, und ich muss sagen, dass ihr Essen genauso gut war wie unseres, das aus der Offiziersmesse stammte und ausgezeichnet schmeckte. Auf jedem Truppentransporter ist eine gewisse Überfüllung unvermeidlich. Natürlich ist das nervend für die Soldaten, aber ich wüsste nicht, wie sonst genügend Männer schnell genug irgendwohin transportiert werden könnten.

Das größte Problem an Bord war der Mangel an heißem Wasser. Das Wasser zum Geschirrspülen kam nur lauwarm aus den Leitungen, und es gab kein Spülmittel. Infolgedessen wurde das Geschirr fettig und einige Soldaten bekamen davon eine leichte Dysenterie. In unseren Kabinen hatten wir nur zweimal am Tag Wasser –– morgens von 7:00 bis 9:00 Uhr und abends von 17:30 bis 18:30 Uhr. Es war allerdings nicht aufgeheizt, sodass wir uns mit kaltem Wasser rasierten. Die Soldaten duschten auf Befehl der Armee alle drei Tage mit lauwarmem Salzwasser.

Die Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere durften sich an Deck frei bewegen, mit Ausnahme eines kleinen Teils, der für Offiziere reserviert war. Theoretisch war es auch den Offizieren nicht gestattet, das Deck der Mannschaften zu betreten, aber diese Regelung wurde bald außer Kraft gesetzt. Wir Reporter konnten gehen, wohin immer wir wollten –– schließlich waren wir begnadete und auserwählte Persönlichkeiten.

Irgendwann wurden Anweisungen für “Gefechtsstationen” im Falle eines Angriffs erteilt. Alle Offiziere sollten in ihren Kabinen bleiben, die Soldaten unter Deck. Nur die Männer auf den beiden untersten Decks, praktisch direkt an der Wasserlinie, mussten sich auf die beiden nächsthöheren Decks begeben. Ausschließlich uns Reportern war es während eines Angriffs erlaubt, an Deck zu gehen. Weil wir so begnadet wie nutzlos waren, wurde uns somit das göttliche Recht eingeräumt, uns erschießen zu lassen, so wir das wollten.

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