Predigten – Friedrich Wilhelm Krummacher
Friedrich Wilhelm Krummacher war ein 1868 in Potsdam verstorbener Geistlicher. Sein Vater, Friedrich Adolph Krummacher, war ein bedeutender deutscher Theologe und Schriftsteller. Friedrich Wilhelm war, obwohl Pfarrer der reformierten Kirche , ein eifriger Verfechter des älteren Luthertums und erregte durch seine Verurteilung der Rationalisten großes Aufsehen. Er kam 1843 nach New York, lehnte eine theologische Professur in Mercersburg, Pennsylvania, ab, kehrte dann nach Deutschland zurück und ließ sich 1847 in Berlin nieder. Um Krummacher’s Kanzel sammelte sich bald eine überaus große Gemeinde. Selbst zu den Wochengottesdiensten strömten die Leute zusammen. Dem dringenden Wunsch der Zuhörer nachgebend, veröffentlichte er eine Reihe von Predigtsammlungen. Eine große Auswahl daraus findet sich in diesem Sammelband.
Predigten.
Format: Paperback/eBook.
ISBN: 9783849664442 (Paperback)
ISBN: 9783849663582 (eBook)
Auszug aus dem Text:
Adventspredigt
„Hosianna dem Sohne David!“ – Dies mein Gruß an euch beim Beginne des lieblichen Advents. In Echo töne es aus euern Herzen wieder: „Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Ja mit Schalle werde sie von uns begrüßt, die bedeutungsvolle Zeit, die uns einen Geistesfrühling in den Winter der Natur, ein verheißungsreiches Morgenroth in die trüben Tage des scheidenden Jahres hereinträgt. – O, ein Tag verkündendes Morgenroth kommt uns zur guten Stunde; denn es sieht dunkel auf Erden aus, und schwärzere Schatten noch grauen, sehen wir recht, in der Ferne auf und machen uns bange. Aber kommt dies, kommt das, so kommt auch Er. Die Glocken, die Sturm läuten, signalisiren auch den Anzug des Sturmbedräuers. Eilen wir Ihm huldigend entgegen! Streuen wir Ihm die Palmen unsrer Hoffnungen, unsrer Gebete auf den Weg! O Heil uns, daß wir in den Nächten des Todesthales Seiner uns getrösten dürfen! – Hosianna dem Sohne David! – Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Psalm 45, 4-5.
Gürte dein Schwert an deine Seite, du Held, und schmücke dich schön. Es müsse dir gelingen in deinem Schmuck, ziehe einher der Wahrheit zu gut, und die Elenden bei Recht zu behalten; so wird deine rechte Hand Wunder beweisen.
Das bewunderungswürdig schöne Psalmlied, dem die eben verlesenen Worte entnommen sind, ist durch und durch prophetisch und handelt von Christo, dem Könige, und seiner Braut, der Kirche.
1.
Die Ansprache habt ihr gehört; sie heißt: „Du Held“. Wohl uns, daß wir auch unter diesem Titel an den Mann unsres Herzens appelliren dürfen. Lieblich ist es uns, schon im Munde des Altvaters Jakob die Worte zu finden: „Bis daß der Held komme;“ durchaus erwünscht, Psalm 89 zu lesen: „Ich habe einen Helden erweckt, der helfen soll;“ hocherfreulich, ihn bei Jesajas nicht nur „Wunderbar“ und „Rath“, sondern auch „Kraft“ und „Held“ genannt zu hören; ausnehmend köstlich, im Munde Moses sogar dem Zeugnisse zu begegnen: „Der Herr ist der rechte Kriegsmann, Herr ist sein Name.“ Er trägt der Namen viele, und der eine ist süßer und verheißungsvoller als der andere. Wir wissen, auch Hirte heißt er, auch Tröster, auch Seligmacher, und welche Titel sonst ihn schmücken. Aber diese Bezeichnungen, wir gestehen es, treten uns seit kurzem tiefer in den Hintergrund zurück, und im Vordergrunde unserer Seele liegt sein Name „Held“, sein Name „Kriegsmann“. „Du Licht,“ würde unsre Ansprache lauten, wenn die Erde ärmer wäre an Gotteswort. „Zeuch ein, Du Friedensfürst,“ würden wir rufen, wenn wir uns versichert halten dürften, daß an Corneliusherzen und Zachäushütten in der Welt kein Mangel sei. Wir riefen, „Helfer komm,“ wenn wir die Völker unter Gerichten, die sie betroffen, um Trost und Hülfe seufzen hörten. Aber die Lage der Dinge ist andrer Art. Die obwaltenden Umstände und Verhältnisse blasen uns die zarteren Titel von der Lippe und nöthigen uns zu einem „Du Held, Du Kriegsmann!“ Schon im Blick auf unsre Gemeinden drängt sich uns bei unsern Adventsgebeten jene Ansprache von selber auf. Einen Helden erheischt ihr Zustand, wie schon der Zustand eines natürlichen Menschen überhaupt. Haben die Leute Gnade nöthig, so darf dieselbe doch nicht kommen ohne das Geleit der Allmacht; Erleuchtung, so muß die Fackel mit Gewalt geschleudert werden. Sollen sie sich bekehren, so muß ein Stärkerer über den Starken kommen; sollen sie sich beugen, so bedarf es eines Hammers, der Felsen zerschmeißet. An Zuruf, Bitte und Ermahnung ist kein Mangel; aber was hilft’s? Alles bleibt nach wie vor beim Alten. Jahr aus und ein werden die Posaunen geblasen; die Mauern Jericho’s stehen, wie aus Erz geschmiedet, und wanken nicht. Mit dem Wohl der Ewigkeit wird gelockt, mit ihrem Weh gedräut und dreingeschlagen; aber die Herzen werden verhärteter und stumpfer. Predigten, Erbauungsbücher, Traktate, Alles ist in Masse vorhanden; und doch herrscht in unübersehbaren Strecken der starre Tod, und nirgends vernimmt man ein Rauschen auf dem weiten Todtenfelde. Da stehen wir denn, unsrer menschlichen Ohnmacht in schmerzlichster Weise überführt, und gedenken an das Wort: „Ich arbeitete umsonst und verzehrte meine Kraft vergeblich!“ Was doch beginnen? – „Beten!“ – Freilich; aber wie? Komm, Freudenmeister? Erscheine, Friedensbote? Tritt her, Du Tröster? Nein, nein, ihr fühlt ja selbst: das sind die rechten Titel nicht. Ihr bedürft ja keines Trösters! Es gibt eine passendere Adresse, unter der wir unsre Adventsgebete entsenden müssen. Wir schreien: „Du Held, Du Held.“ Wir fordern den allmächtigen Kriegsmann auf den Plan.
Schauen wir weiter in die Welt hinaus, so wird uns hier vollends das „Du Held“ gewaltsam aufgenöthigt. Was ist sie anders, die heutige Welt, als ein Kriegslager wider den Herrn und seinen Gesalbten, als ein tobendes Geschwader mit gefällter Waffe gegen das Reich des Lichts aufgestellt? Gab es eine Zeit, in der die Fahne des Satans frecher von den Höhen der Erde wehte und die Hölle größere Triumphe feiern zu können glaubte, als gegenwärtig? Wurde je das Wort des Lebens allgemeiner mit Füßen getreten und der Name Immanuels in höherem Maße verunglimpft, als heute? Gedenkt an die Festungswerke, die der Fürst dieser Welt in dem neuesten Liberalismus sich aufgemauert, an die Malzeichen der falschen Aufklärung, womit er Tausende inmitten der christlichen Kirche gezeichnet hat; an die Rebellendolche antichristischer Ideen, die hin und wieder schon in den Händen unbärtiger Knaben gegen Jesum blitzen, und an die Glut des fürchterlichen Hasses, den der Bösewicht gegen das Evangelium und dessen Freunde den Herzen seiner zahllosen Knechte und Helfershelfer eingetrichtert. Gedenket au die empörerischen Zuckungen, die aller göttlichen und menschlichen Ordnung den Umsturz drohen und stets bedenklicher durch die Völker gehen; an die unerhörte Frechheit, womit dem Gesetze des Allmächtigen Hohn gesprochen, die Sünde gerechtfertigt, das Fleisch auf den Thron erhoben wird; an die von der Hölle entzündeten Lästerzungen, wie sie in allen Ständen und Gesellschaften in unaufhörlicher Bewegung sind, um das Hehrste und Heiligste in den Staub herab zu ziehen, und an die klug berechneten Pläne und unverhüllten Bemühungen allewege, die Standarten Zions sammt Sinai’s Tafeln unter das veraltete Geräth einer fabelhaften Vergangenheit zu verweisen, und das wahre, biblische Christenthum wo möglich mit Stumpf und Stiel auf Erden auszuräuten. Dieses Alles und so Manches sonst noch, das dem Drachen und seinem Anhang bereits gelungen ist, vergegenwärtigt euch und urtheilt, was für eines Helfers wir zu solcher Zeit bedürfen? Eines Helfers, der sanft einherfährt und mit freundlichen Lippen redet zu der Erde? O, ein solcher war schon lange da und hat in aller Weise auf’s leutseligste den Rebellen zugesprochen. Jetzt sind wir eines Helden benöthigt, eines Kriegsmannes. „Du Held, Du Held,“ heißt unsre Losung.
Und Gottlob! der Held, der noth thut, ist vorhanden. Wir dürfen den Bräutigam unsrer Seelen getrost unter jenem Titel auf den Plan beschwören. Ja, er ist ein Starker sonder Gleichen und Allem, was sich wider ihn erhebt, in’s Unermeßliche gewachsen. O, der prächtigen Erscheinung, in der Er vor uns steht! Siehe, Allmacht ist sein Arm, die Majestät Jehovahs der Helm auf seinem Haupte; die Gerechtigkeit sein Panzer, und Gericht die Veste seines Stuhls. Welche Beuten und Siegeszeichen an den Stufen seines Thrones! Hier das zerbrochene Zepter des Höllenfürsten, da die schauerliche Kette, womit derselbe das auserwählte Volk zu binden drohte; dort der zerschellte Stachel des Todes, dieses Schreckenkönigs. Ja, ganze Bündel eroberter Fahnen, zerknickter Feindeswaffen umlagern ihn. Auf den Trümmern taufender von Götzentempeln steht sein Herrscherstuhl; Millionen von Dank- und Huldigungs-Adressen erlös’ter Sünder bilden den Teppich seiner Füße, und der nimmer endende Jubelchor, der Ihn umtönt, preist Ihn nicht allein als den Sieger über Welt, Tod und Hölle, sondern auch als den Ueberwinder der Sünde und einer noch stärkeren Macht: des Zornes Gottes. – Sehet, ein Solcher ist unser Freund, ein Solcher ist unser Geliebter. Seine Macht ist unbegrenzt, Er winkt, und der Erdkreis zittert. „Er ist herrlicher, denn die Raubeberge. Vor seinem Schelten sinken in Schlaf beide, Roß und Mann.“ Deß freuen wir uns, deß sind wir fröhlich und beten jauchzend: „Du Held, zerreiße den Himmel und fahre hernieder!“
2.
Die Ansprache habt ihr gehört; vernehmet jetzt auch den Inhalt des Adventsgebetes der Gemeinde Gottes in unsern Tagen. Sechs Bitten hat das Gebet, wie das Gebet des Herrn. O, daß sie von der ersten bis zur letzten durch die Wolken drängen! – „Gürte dein Schwert an deine Seite!“ heißt die erste Bitte. Unter andern Umständen beteten wir anders. Schlüge die Welt an ihre Brust, wir sprächen: „Auf, nimm dein Thränentüchlein, Herr!“ Sähen wir sie zitternd im Staube liegen, wir riefen: „Komm mit der Friedenspalme!“ Jetzt aber rütteln unsre Bitten an den Riegeln der göttlichen Rüst- und Waffenkammer und rufen zum Schwerte den Herrn, zum Schwerte. Freilich war es ein lieblicher Aufzug, in welchem er einst zu Jerusalem hereinritt. Das Füllen einer Eselin trug den holdseligen Friedenskönig, und vor ihm her ertönte der Ruf: „Freue dich, du Tochter Zion, denn siehe, dein König kommt zu dir sanftmüthig, ein Gerechter und ein Helfer!“ Dies ist aber nicht das einzige Bild, in welchem ihn uns die Schrift zu schauen gibt. Wir kennen den Herrn auch, wie er zu Josua tritt: ein Mann mit entblößtem Schwerte in der Hand, der dem Josua auf dessen Frage: „Gehörst du uns an oder unsern Feinden?“ die Antwort ertheilt: „Ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt kommen!“ Wir kennen ihn nicht minder in dem Bilde, wie ihn Johannes sah: „Siehe, ein weißes Roß und Er der Reiter darauf; viele Kronen auf seinem Haupt, und geschrieben auf seines Kleides Saum: „König aller Könige, Herr aller Herren,“ Auch so kennen wir ihn und gestehen, daß er in diesen Erscheinungen uns für jetzt vor Allem gefällt, und sprechen: So komm, Herr Jesu, so erscheine, so tritt daher, bis die Welt wieder Palmzweige für Dich hat und Hosianna’s, und Kleider, Deine Straße damit zu überbreiten; denn gegenwärtig hat sie keine. Was aber ist sein Schwert? Sein Wort ist’s, seine überwältigende Macht ist’s; der Blitz seines Eifers und das Feuer seines Zornes ist’s. Um sich gegürtet hat er es, wenn das Wort zermalmend in die Herzen fährt, wenn die Lenden der Starken schüttern, wenn des Sünders Trotz in Buße umschlägt, und die Ahab’s und Belsazer’s in der Welt unter dem Drucke seiner gewaltigen Hand den stolzen Nacken vor ihm beugen müssen. Aber gegürtet hat er sich auch dann, wenn er mit der Wucht seines ritterlichen Arms die Hochfahrenden von ihren Thronen stürzt, wenn er in heiligem Grimm den Lästerern seinen Fuß auf die Hälse setzt, wenn er um seines Reiches willen große Donner donnern lässet über die Philister und öffentlich zu Schanden machet, die da schreien: „Wer ist Er, daß wir seine Stimme hören sollen? Auf, lasset uns seine Seile von uns werfen!“ Seht, wenn dergleichen auf Erden geschieht, so sprechen wir: „Hier Schwert des Herrn!“ Ihm überlassen wir’s, zu wem Er in der ersteren Weise rettend, zu wem er in der andern niederschlagend, mit dem Schwerte, kommen will; aber gerüstet muß er kommen, die Zeit erheischt es. Darum seufzen wir: „Gürte dein Schwert an deine Seite, du Held!“
„Und schmücke dich schön,“ fahren wir betend fort. Schmucks hat er freilich die Fülle; aber in den Augen der Welt hat er ihn verloren. Daß er ihn sich wiedernehme vor der Welt, das ist’s, was wir in jener zweiten Bitte begehren. Seines Brustschildes hat man ihn beraubt: er soll nicht mehr Priester sein, der uns mit einem Opfer auf immer vollendete; seines Königszepters: man schüttelt den Kopf und spricht: „Wir wollen nicht, daß Dieser über uns herrsche;“ seines Purpurs: man versagt ihm die Huldigung, die ihm gebührt; ja seiner Gottheitskrone und des Diadems seiner ewigen Sohnschaft: man entwürdigt ihn zum Sohne Josephs und der Maria. Man reißt ihm die Schlüssel der Hölle und des Todes aus den Händen und lös’t die Zügel der Weltregierung von seinem Throne; mau entrafft ihm das Schwert und die Wage des Richters der lebendigen und der Todten und stempelt ihn in wildem Lästergeiste zum jüdischen Rabbi, zum menschlichen Sektenhaupte. Es ist uns wohl bewußt, daß dieses Alles nichts mehr zu bedeuten hat, als wenn eine verfehmte Räuberbande im Walde den König, der sie verfolgen läßt, für entthront erklärt. Aber daß es eben kund und offenbar werden möchte, wie es mit dem Toben der Widersacher nichts auf sich habe, darnach verlanget uns, das liegt uns dringend an. Uns dürstet, den Mann unsrer Liebe verherrlicht zu sehen in der Welt; daher der Seufzer in unserm Adventsgebete: „Schmücke dich schön, du Held!“ Wie glänzte auf seiner Brust das Priesterschildlein, als einst die Dreitausend getroffen vom Blitze seiner göttlichen Erleuchtung an ihre Brust schlugen und bekennen mußten, sie wüßten nicht Rath noch Trost, als in Ihm und seinem Blute. Wie strahlte seine Gottesglorie auf, als er die wehrlosen Fischer und Zöllner mit dem großen Auftrage der Welteroberung unter die Völker sandte und mit Zeichen und Wundern der Allmacht ihr Wort bekräftigte. Wie erschien er in Majestät, als er diesen Boten die Herrlichkeit Roms und Athens zu Füßen legte und den Fürsten der Finsterniß als einen geschlagenen Feind vor ihnen hertrieb. Wie leuchtete der Stern seines übermenschlichen Adels auf seiner Brust, als Jerusalem in Trümmer sank und über ihrem rauchenden Schutthaufen in flammenden Lettern das Wort erschien, das er einst gesprochen: „Kein Stein soll auf dem andern bleiben!“ Wie erwies er sich als den rechten Kriegsmann, als er jenem Kaiser, der mit dem Kreuzeszeichen auszog, alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße legte. Wie hehr schritt er vor Aller Augen über den Plan der Welt dahin, als er zu den Eisgefilden des Nordpols sprach: „Ihr seid mein,“ und Labrador und Grönland zu einem Garten Gottes umschuf. Wie schlug er seinen Fürstenmantel auseinander, da er die Inseln des stillen Meeres der Herrschaft des Satans entriß und aus dem Munde ihrer neugebornen Bewohner sich ein Lob bereitete, wie ein lieblicheres kaum je auf Erden erklungen war. In dem Allen, wie schmückte er sich so schön; und seht, daß er es ferner thun wolle und immer reichlicher, sei es im Wetterstrahl, den er zerschmetternd in die Bollwerke der Hölle schleudre, oder sei es in Gnadenströmen, wodurch er das Land der Todten lebendig mache: das ist’s, was wir begehren, wenn wir betend sprechen: „Schmücke dich schön!“
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