David, der König von Israel – Friedrich Wilhelm Krummacher
Friedrich Wilhelm Krummacher war ein 1868 in Potsdam verstorbener Geistlicher. Sein Vater, Friedrich Adolph Krummacher, war ein bedeutender deutscher Theologe und Schriftsteller. Friedrich Wilhelm war, obwohl Pfarrer der reformierten Kirche , ein eifriger Verfechter des älteren Luthertums und erregte durch seine Verurteilung der Rationalisten großes Aufsehen. Er kam 1843 nach New York, lehnte eine theologische Professur in Mercersburg, Pennsylvania, ab, kehrte dann nach Deutschland zurück und ließ sich 1847 in Berlin nieder. Um Krummacher’s Kanzel sammelte sich bald eine überaus große Gemeinde. Selbst zu den Wochengottesdiensten strömten die Leute zusammen. In diesem Band zeichnet er ein biblisches Lebensbild und verweist dabei immer wieder auf die davidischen Psalmen.
David, der König von Israel.
Format: Paperback/eBook.
ISBN: 9783849664428 (Paperback)
ISBN: 9783849663568 (eBook)
Auszug aus dem Text:
David’s Berufung.
Die Geschichte Israels stellt uns im engsten Rahmen einen Grundriß der ganzen Weltgeschichte dar. Es begegnet uns in ihr das verborgene Walten des persönlichen Gottes in der Leitung und Erziehung der Völker als ein offenbares. Der verhüllende Vorhang menschlichen Vornehmens und Thuns hebt sich, und die durch ihn verschleierte, Alles bewegende und Alles lenkende Hand dessen, von dem Eph. 1, 11. geschrieben steht: „Er wirket Alles nach dem Rath seines Willens“, kommt in ihr zur Erscheinung. O anbetungswürdige Herablassung Gottes, in der er, um der Schwachheit unsres Glaubens aufzuhelfen, einmal an einem auserwählten Volke die Geheimnisse seiner erhabenen Alles durchwirkenden Vorsehung in anschaulichster Weise unserm beschränkten Gesichtskreise nahe bringen wollte! Darf uns doch fortan kein scheinbares Chaos zeitlicher Begebenheiten mehr stutzend oder gar irre machen, nachdem uns eine zweitausendjährige Führung jenes Volks eine Ueberfülle von Veranlassungen zu der Wahrnehmung bietet, daß auch die verworrensten Fäden, die unser Leben durchziehen, einem höheren Willen sich fügen, und endlich sich zu einem Gewebe verknüpfen müssen, welches, näher betrachtet, nur das apostolische: „O welch eine Tiefe, beide, der Weisheit und Erkenntniß Gottes!“ uns auf die Lippe drängt.
Wie reichlich leuchten uns schon aus dem Lebensgange jedes einzelnen der Frommen Israels die Fußtapfen dessen entgegen, von welchem Jesaias sagt: „Sein Rath ist wunderbarlich, aber er führt es herrlich hinaus“, und Salomo: „Des Menschen Herz schlägt seinen Weg an, aber der Herr allein gibt, daß er seinen Weg fortgehe.“ In größerer Mannichfaltigkeit bethätigte der erhabene Menschenhüter sein Führen und Regieren an keinem der alten Heiligen, als an dem Manne, der gewürdigt ward, ein „Mann nach dem Herzen Gottes“ zu heißen. Welch’ ein Reichthum sowohl des Trostes und der Erhebung, als der Warnung und der Weisung entfaltet sich vor uns in den Erlebnissen und Geschicken dieses königlichen Psalmensängers. Wohlan, zu einer Betrachtung seiner Erdenwallfahrt laden wir ein. Diese Einladung wird sich als gleichbedeutend mit dem Zurufe des Propheten Amos erweisen: „Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott“; denn an welcher Stelle des Davidischen Lebensweges werden wir dem Gotte nicht begegnen, von welchem der königliche Saitenschläger selber sang: „Er führet mich auf rechter Straße um Seines Namens willen.“ , 1 Samuel 16, 1. „Und der Herr sprach zu Samuel: Wie lange trägst du Leid um Saul, den ich verworfen habe, daß er nicht König sei über Israel? Fülle dein Hörn mit Oel, und gehe hin, ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Isai; denn unter seinen Söhnen habe ich mir einen König ersehn.“
In den Büchern Samuels bewegen wir uns auf einem festen geschichtlichen Boden. Sie bilden einen ergänzenden Theil des heiligen Bibel-Kanons, auf den als auf ein Werk des Geistes Gottes nicht nur die Erleuchteten Israel’s, sondern auch Christus selbst und seine Apostel beglaubigend ihr Siegel drückten. Sei es, daß sich bei der Abfassung der geschichtlichen Bücher des Alten Testaments der Heilige Geist mehr erinnernd, überwachend und leitend verhielt, während er sich bei Entstehung der prophetischen Schriften vorwiegend schöpferisch erzeugend, und eingebend sich bethätigte: so ist doch dort wie hier jeder Verdacht einer Vermischung mit mythischen Elementen fern zu halten, will man sich nicht einer „Lästerung der Majestäten“ schuldig machen. Bekanntlich haben sich die heiligen Apostel nach dem Vorgange ihres Herrn und Meisters selbst an Erzählungen, wie die von Noah’s Arche, Israels Durchgang durch’s rothe Meer, Bileams redender Eselin, der Wundererstürmung Jericho’s durch Josua’s Posaunenbläser so wenig gestoßen, daß sie dieselben vielmehr als unzweifelhafte Thatsachen auf’s neue bestätigt haben. Diesen Autoritäten glauben und reden wir nach; denn wer nennt Andere, die jenen an Heiligkeit und Erleuchtung auch nur im entferntesten ebenbürtig zur Seite ständen? So haben wir’s auch in der Darstellung des Lebenslaufes Davids, welche wir gotterleuchteten Propheten wie Samuel, Nathan und Gad verdanken, mit reiner Historie, und in keinem Theile derselben mit dichterischen Zuthaten zu thun. Treten wir mit solcher Zuversicht dem reichen Lebensbild näher, das sich vor uns aufrollen wird, und richten unsre ersten Blicke auf die, Berufung und Salbung des Hirtenjünglings. Sehen wir, wodurch dieselbe veranlaßt ward, und wie sie vollzogen wurde. Der Geist des Herrn aber gebe uns das Geleite, und bekenne sich fort und fort zu unsern Betrachtungen.
1.
Die Reichsverfassung Israels war von Anbeginn her die theokratische. Gottesherrschaft war sie: Jehovah der einzige unumschränkte Gebieter, Ordner und Führer seines Volks. Die menschlichen Organe, durch welche sich sein Regiment vermittelte, waren in frühester Zeit die Familienväter: ein Abraham, Isaak, Jacob; nach diesen auf bürgerlichem Gebiete die Stammeshäupter, auf kirchlichem die Priester, deren ehrwürdiger Chor in der geheimnißvollen Person des Hohenpriesters sich gipfelte. Jedoch behielt der Herr sich freie Hand, nach Bedürfniß auch Andere zu erwecken, und als außerordentliche Bevollmächtigte mit besondern Aufträgen zu betrauen. Die Propheten traten auf als von Gott gesendete und gesalbte Wächter und Monitoren, so oft irgendwie und wo im Volke ein Wanken und Weichen aus den durch Moses vorgezeichneten Gleisen göttlicher Reichsordnung sich kundgab. Weder Krone noch Brustschild schützten dann vor den Donnern des Vorwurfs, die von den Lippen dieser Repräsentanten des Richters in der Höhe sich vernehmen ließen. Solange Josua lebte, war der Zustand des Volkes, welches erst nach dem Auszuge aus der sittlich verpestenden Luft Egyptenlandes auf der Wanderung durch die Wüste geboren war, noch ein erfreulicher. Der letzte durch Josua veranstaltete feierliche Landtag fand dasselbe auf der Höhe begeisterter Hingebung an den Gott seiner Väter. Auch nach Josua’s Tode noch bewahrte es den Bund des Herrn unter der Leitung und Pflege der trefflichen Aeltesten, mit denen ihr großer Führer, Mosis würdiger Nachfolger, sich umgeben hatte. Nachdem aber die Wächteraugen auch dieser Getreuen sich geschlossen hatten, gerieth Israel durch den verführenden Einfluß der umwohnenden Heidenstämme auf die abschüssige Bahn, auf der es für eine Zeitlang zu immer tieferen Verfall herabglitt. Es ergab sich dem wüsten und unsauberen Dienste fremder Götter, und wäre allmälig mit den Kanaanitern, Hethitern, Amoritern und Pheresitern in Eins verschmolzen, hätte sich der Herr nicht immer wieder im rechten Momente dieser heidnischen Horden selbst als Geißeln wider die Abtrünnigen seines Volks bedient, und dann den bis auf’s Blut Gestäupten auf ihr Hülfsgeschrei in den Personen der Richter „Heilande“ erweckt, die sie vom äußersten Rande eines gänzlichen Verderbens zurückrissen, und sie dem Gott ihrer Väter, dem sie in fluchwürdigem Undank den Gehorsam gekündigt hatten, wieder zuführten.
Immer aber erneuerten sich diese Scenen des Abfalls und der darauf folgenden zur Buße erweckenden Strafgerichte. Unter des trefflichen Richters, Propheten und Priesters Samuels Leitung schien das Volk endlich Richtung halten zu wollen. Da rückte es mit einem Male in beklagenswerther Verblendung mit dem ungestümen Begehren heraus, Samuel solle ihm einen König sehen, gleich wie die Heiden Könige hätten. Diese Forderung wäre an sich keine verwerfliche gewesen. Lag es doch im Rathe Gottes selbst, die Verfassung Israels allmälig in einem Königthum ihren Abschluß finden zu lassen. Höchst strafbar aber war der Beweggrund, der bei Israel jener Forderung zum Grunde lag. Das Begehren kam einer Lossagung von der Theokratie, einem gottlosen Verzicht auf die Alleinherrschaft Jehovas gleich. Man wollte sich von dem unbedingten Abhängigkeitsverhältnisse zu dem Herrn im Himmel entbunden sehn. Man war es müde, bei Landesnöthen sorgenvoll auf Jehovas Hände schaun und in demüthiger Unterwerfung abwarten zu müssen, ob, wann und wie er helfen werde. In gleicher Weise, wie bei den Heiden, sollte auch bei ihnen, den Israeliten, ein menschlicher Machthaber, der über einen unerschöpflichen Schatz Goldes und Silbers und über ein allezeit schlagfertiges Heer von Reisigen geböte, für das Gemeinwohl des Landes einstehn, seine Untertanen der Sorgen, wie der Mühe des Betens und Wartens überheben, und ihnen im Schatten eines milde geführten Scepters ein ungestört heiteres und behagliches Dasein sichern. Samuel, der treue Gottesknecht, hielt ihnen mit heiligem Ernste die Thorheit ihres Verlangens vor; sah aber seine wohlgemeinten Warnungen von ihnen in den Wind geschlagen und durch das immer ungestümer verlautende Geschrei: „Setze einen König über uns, wie alle Heiden haben, der uns richte!“ übertäubt. So brachte er denn die Sache im Gebet vor Gott, und erhielt von dem Herrn den unzweideutigen Bescheid: „Gehorche der Stimme des Volkes in Allem, das sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht mehr soll König über sie sein!“ Und Gott „gab ihnen einen König im Zorn“, sagt die Geschichte, während er ihnen, hätten sie in kindlichem Vertrauen ihn walten lassen, einst einen solchen in Gnaden gegeben haben würde. Der Herr ersah dazu den Benjaminiter Saul, den Sohn des Landwirths und Heerdenbesitzers Kis, einen jungen Mann, schön, stattlich, und eines Hauptes länger, als alles Volk. Zu den besten Hoffnungen schien der strebsame mit verheißungsreichen Anlagen ausgestattete Jüngling zu berechtigen. Seiner ritterlichen Gestalt entsprach sein kriegerischer Muth und Thatendrang. Ueberdies gebührte ihm das Zeugniß, bis dahin von den sittlichen Verirrungen seiner Zeitgenossen sich unbefleckt erhalten zu haben; und daß es ihm, der ohne Zweifel im Glauben seiner Väter erzogen worden war, auch an reger Empfänglichkeit für religiöse Eindrücke nicht fehlte, werden wir später mehrfach wahrzunehmen Gelegenheit finden. Die Bemerkung der Geschichte, Gott habe ihm „ein ander Herz gegeben“, nöthigt uns sogar, ihn uns, nachdem die Salbung Samuels an ihm vollzogen war, als von heiligen Bewegungen, Vorsätzen und Entschließungen erfüllt zu denken. Nur erregt schon hier der Umstand uns Bedenken, daß die Demuth, die er bei jenem feierlichen Akte kund gab, mehr in der Erinnerung an seine niedere Herkunft, als in seinem Sünderbewußtsein ihren Grund hatte, und nicht minder befremdet uns, daß wir ihn, nachdem Samuel ihm die Hände aufgelegt, nicht zuerst und vor allem Andern vor dem Herrn sich beugen sehen, noch um seinen Gnadenbeistand ihn anrufen hören. Kaum dürften wir uns irren, wenn wir schon am Tage seiner Berufung einen Mann in ihm zu erkennen glauben, dessen Herz noch zwischen Gott und der Welt getheilt ist, und wir hinter seinem Gelübde, im Namen Jehovas regieren zu wollen, den geheimen Vorbehalt wittern, er werde dies thun, sofern Jehovas Wille nicht das Opfer seines eignen Willens von ihm fordern werde.
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