Altenroda

Altenroda – Paul Keller

In “Altenroda” sammelte Keller Novellen, hauptsächlich aus seiner schlesischen Heimat. Mit vertreten sind “Altenroda”, “Der Schuldturm”, “Die drei Geizhälse” …

Altenroda

Altenroda.

Format: eBook

Altenroda.

ISBN eBook: 9783849656089.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Ich muß zu allererst nach dem »Goldenen Löwen«, muß mich bei Vater Speer anmelden. Wie kann er ahnen, daß ich komme?

Er hat es aber doch geahnt, eilt mit entgegen, soweit er mit seinen zweihundertfünfzig Pfund eilen kann, schiebt das Käppchen auf dem Kopfe hin und her, lacht und sagt: »Ich dachte mir’s schon. Mit Ihnen geht mir’s wie mit dem Wetter. Ich merke die Ankunft vorher in den Knochen.«

»Wenn’s nur kein Reißen ist, Vater Speer.«

»Nö, nö! Das Wetter ist ja sehr schön heute.«

»In Altenroda ist immer schönes Wetter.«

Er lacht sein gutmütiges Meckern.

»Haha, da ist er kaum rein zur Stadt und sagt schon wieder was Lächerliches. Immer schönes Wetter! Da hätten Sie mal den Sturm am 17. April erleben müssen. Die halbe Stadt abgedeckt. Da war gerade der August Stumpe da …«

»Ach der! Den habe ich neulich den »Tristan« singen hören. Herrlich!«

»Wie er den Christian singt, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß er am 18. April nach dem Sturme auf die Häuser rauf ist und Dächer geflickt hat vom Morgen bis in die sinkende Nacht.«

»Ein guter Sänger!« sage ich in Erinnerung an einen schönen Theaterabend.

»Ein guter Dachdecker,« sagte Vater Speer in Erinnerung an den Sturm.

»Der Stumpe – so so – der war da. Ja, die Altenrodaer Kinder hängen an ihrer Stadt.«

»Gehört sich auch! Nur der Cyrill ist nicht mehr dagewesen. War wohl doch ein bißchen obenhinaus und konfuse. War ja aber kein Einheimischer.«

Die Häuser sind mit Fahnen, Girlanden und Tannenreis geschmückt.

»Das ist wohl wegen des Ferienanfangs?«

»Jawohl. Na, es ist doch ein Festtag. Die Schützengilde macht heute Umzug und abends ist bei mir ›Sommernachtstraum‹ im ›Löwen‹. Früher hieß es ›italienische Nacht‹. Aber das haben wir abgeschafft; wir sind ja wohl keine Italiener.«

»Nein, Vater Speer. Sind die Hullah-Araber noch auf dem Gymnasium?«

»Nein, Gott sei dank nicht. Das waren, weiß Gott, die größten Vagabunden, die wir hier auf der Schule gehabt hatten. Haben im März alle ihr Abitur gemacht, alle bestanden und sind nun fort nach den Universitäten.«

»Das freut mich!«

»Mich auch! Und die ganze Stadt freut’s! Daß sie fort sind! Das sind, darauf nehme ich Gift, die Burschen gewesen, die mir zur Nachtzeit immer die leeren Fässer aus dem Hofe nach dem Marktplatz rollten und die den Fuhrleuten vor dem ›Löwen‹ die Pferde ausspannten. Und wegen der Promenadenesel von damals habe ich auch meinen Verdacht. Sie wissen schon – wegen Hero und Leander!«

Wir gehen ein Stückchen weiter.

»Der gute Vater Ansorge ist also tot?«

»Leider!« sagt der Löwenwirt düster. »Viel zu früh! Erst siebzig! Er hat der Stadt sein ganzes Vermögen vermacht.«

»Und Dr. Schicketanz auch?«

»Der auch! Liegen beisammen. Wird sich auch so gehören.«

»O, der Tod!«

»Ja, der Tod!«

Vater Speer spuckt gerade aus, als ob er dem Tod ins Gesicht treffen wollte.

Im Sonnenschein liegt die Krumme Straße, die ein wenig bergauf führt. An den Häusern sind Söller und Balkone, vor den Türen stehen grüngestrichene Bänke. Das Pflaster ist holperig. Selbst Herr Ansorge, der große Wohltäter der Stadt, hat nicht haben wollen, daß neumodisches, glattes Pflaster käme. »Solches Katzenkopfpflaster«, hat er gesagt, »gehört zur kleinen Stadt. Es macht ihm seine Marktmusik. Ohne Rumpeln kein fröhlicher Markt.«

….

 

 

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