Apotheker Heinrich

Apotheker Heinrich – Hermann Heiberg

Präzise und virtuos erzählt Heiberg die Geschichte des wohlhabenden aber herzlosen Apothekers Heinrich, der sich in die gerade dem Jugendalter entwachsene Tochter seines Freundes Dr. Paulsen verliebt …

Apotheker Heinrich

Apotheker Heinrich.

Format: eBook

Apotheker Heinrich.

ISBN eBook: 9783849655938.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

»Guten Morgen, Herr Heinrich!« sagte ein junges, hübsches Mädchen.

Herr Heinrich rieb gerade eifrig in einem Mörser, als er die bekannte Stimme hörte.

»Guten Morgen, Dora!« – Dora ging noch in die Konfirmationsstunde, trug aber schon ein langes Kleid, hatte flatternde blonde Flechten und ein Paar allerliebste, fröhliche Augen.

Sie war die Tochter des Arztes, der gegenüber wohnte, die Tochter des Physikus.

Herr Heinrich und ihr Papa hatten zusammen studiert.

Letzterer war älter und besaß dieses große Töchterlein; Herr Heinrich war Junggeselle geblieben, sogar ein rechter Junggeselle. Oft konnte man sich über ihn ärgern, wenn er so weise sprach oder gar nicht antwortete, nur die Achseln zuckte.

»Für einen Schilling Salmiakspiritus, bitte!«

»Und eine Stange Lakritzen dazu« – spöttelte Herr Heinrich.

Sie schmollte; immer noch behandelte er sie, als sei sie ein Backfisch.

Aber sie fand es doch richtig, seine gute Laune zu benutzen, und stieß, sanft sich fügend, heraus: »Wenn Sie mir etwas zugeben wollen, dann schenken Sie mir eine hübsche Schachtel.«

»Großes Kind!« spöttelte Herr Heinrich abermals, schüttelte den Kopf, sah ihr in die Augen und schob den Salmiakspiritus über den Ladentisch.

Die Schachtel aber gab er nicht.

»Man kann hier in der Apotheke doch Schachteln kaufen?« fragte nunmehr Dora, ihr kleines Portemonnaie ziehend, patzig.

Herr Heinrich bemerkte, daß nur ein einziges Zehnpfennigstück zwischen den blauseidenen Wänden der zierlichen Geldtasche saß.

»Ja!« erwiderte er gleichgültig gedehnt, als ob er nichts von ihrem Unmut merke. Dann öffnete er eine große, tiefe Schublade (es fehlte ihr der Knopf, so daß Heinrich sie an den Seitenwänden fassen und herausziehen mußte) und nahm eine runde, rotbeklebte Schachtel heraus.

»Zehn Pfennig«, betonte er.

»Haben Sie keine für fünf Pfennig?«

»Nein, die Sorte zu fünf Pfennig ist gerade ausgegangen. Nimm nur diese, Dora, du hast Kredit!« und dabei lachte er wiederum überlegen.

Da schoß ihr das Blut ins Gesicht; sie warf den Kopf in den Nacken, rief, ihren Salmiakspiritus ergreifend: »Sie möchten es anschreiben« – und rannte mit fliegenden Flechten davon.

Herr Heinrich nahm die große Schachtel und wollte sie wieder fortlegen; er besann sich aber und rief den Lehrling.

Dann griff er in die Ladenkasse, nahm etwas Kleingeld heraus und sagte: »Hol’ mal für drei Groschen von den echten englischen Brausebonbons von Kaufmann Thomsen und laß sie dir in diese Schachtel packen. Halt! Wart’ August!«

Darauf nahm er eine Feder und schrieb auf das weiße Deckelschild: »Fräulein Dora Paulsen. Jede zehn Minuten einen zur Abkühlung. Mit freundlichem Gruß von Heinrich.«

Nach kurzer Zeit kam August zurück, legte die Schachtel auf den Ladentisch und sagte:

»Fräulein Dora ließe sich bedanken; sie brauche nichts zur Abkühlung.«

Herr Heinrich schüttete gerade das letzte von zwölf bestellten Pulvern in ein weißes Papier, dessen Enden er einkniff und dann ineinanderschob.

In dieser Arbeit ließ er sich auch nicht stören, während der Lehrling seinen Auftrag ausrichtete. Dann aber legte er die Schachtel, welche dieser wieder mitgebracht hatte, fort und sagte:

»Es ist gut.« Und er lachte, aber er lachte etwas gezwungen.

August sah ihn von der Seite an. Es schien, als ob Herr Heinrich keinem besonderen Gedanken nachgehe, aber er dachte doch allerlei.

Und August lachte auch, aber wiederum auf seine Art, nämlich etwas hämisch.

August war in Dora verliebt. Zum Glück wußte um diese welterschütternde Tatsache nur er allein; selbst des Physikus Tochter hatte von der Stärke seiner Gefühle keine Ahnung. Es ging zwar nicht unbemerkt an ihr vorüber, daß er besonders dienstfertig gegen sie war, und daß sein Auge häufig auf ihr ruhte. Auch hatte er sich Dora einmal verpflichtet, als sie, auf dem Jahrmarkt vor der Kuchenbude stehend, vergeblich nach dem Gelde gesucht und er ihr zwei Groschen geliehen. Indessen stand sie doch so hoch über ihm, daß sie seine aus stiller Verehrung hervorgehenden Aufmerksamkeiten lediglich als einen selbstverständlichen Tribut ansah. –

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