Ausgewählte Briefe und Homilien

Ausgewählte Briefe und Homilien – Johannes Chrysostomos

Johannes, dessen Nachname “Chrysostomos” zum ersten Mal in der “Verfassung” des Papstes Vigilius im Jahre 553 auftaucht, gilt allgemein als der bedeutendste Vater der griechischen Kirche und als der größte Prediger, der je auf einer christlichen Kanzel zu hören war. Seine natürlichen Talente, aber auch äußere Umstände halfen ihm, das zu werden, was er war. In diesem Sammelband finden sich der erste Brief an Theodor, die Homilien über den Brief an Philemon, die Homilien über den Brief an Titusund die Homilien über den II. Thessalonicher-Brief.

Ausgewählte Briefe und Homilien

Ausgewählte Briefe und Homilien.

Format: eBook/Taschenbuch

Ausgewählte Briefe und Homilien

ISBN eBook: 9783849659967

ISBN Taschenbuch: 9783849668327

 

Auszug aus dem Text:

 

1.

 „Wer gibt Wasser meinem Haupte, und meinen Augen Thränenbäche?“1 Dieß Wort steht auch mir nun an, viel mehr noch, als einst jenem Propheten. Denn ich habe zwar nicht um viele Städte, noch um ganze Volksstämme wehmüthig zu klagen, aber um eine Seele, welche vielen solchen Völkerschaften an Werth gleichkommt, ja sie übertrifft.

Denn ist Einer, der Gottes Willen thut, tausend Sündern vorzuziehen, so warst ja auch du vormals höher zu achten als die vielen Tausende von Juden. Und niemand dürfte nun mich schelten, wenn ich mich auch in längeres Wehklagen ergötze als der Prophet und heftigeren Jammer erhöbe. Denn nicht über die Zerstörung jener Städte weine ich, nicht über die Gefangenschaft der Gesetzesübertreter, sondern über die Verödung einer gottgeweihten Seele, über die Verwüstung und den Einsturz eines Tempels Christi. Denn wenn jemand die Zierde deines Geistes, die der Teufel nun weggetilgt, wohl erkannte, als sie noch leuchtete, muß er nicht in jene klagenden Worte des Propheten ausbrechen, wann er nun herkommt und hört, daß Feindeshände das Allerheiligste geschändet, Feuer angelegt und es verbrannt haben, die Engel, die Lade, die Steintafeln, den goldnen Krug? Ja dieses Unglück ist bitterer noch als jenes; denn viel kostbarer ist auch das heilige Geräth, das in, deiner Seele verwahrt gewesen. Heiliger war dieser Tempel als jener; denn nicht von Gold und Silber, sondern von der Gnade des heiligen Geistes erglänzte er, und anstatt der Lade und der Engel hatten Christus und der Vater und der Tröster Wohnung in ihm genommen. Nun aber sind sie weggezogen, nun steht er öd und jener Schönheit und des Schmucks entblößt, der göttlichen, unaussprechlichen Zier entkleidet, alles Schutzes und aller Obhut beraubt; kein Thor mehr und kein Riegel; allen schändlichen und verderblichen Gedanken steht er offen. Will nun Prahlerei, Lüsternheit, Habsucht, oder noch Schlechteres als dieß eindringen — niemand wehrt es.

Vordem aber ist, wie der Himmel all diesem unzugänglich, so auch die Reinheit deiner Gesinnung es gewesen. Unglaublich wird es Vielen dünken, was ich sage, solchen, welche die Verödung jetzt und deine Zerstörung sehen. Deßhalb nun trauere und weine ich, und ich werde damit nicht aufhören, bis ich dich wieder in deiner früheren Herrlichkeit erblicke. Und scheint dieß den Menschen auch unmöglich, Gott ist Alles möglich. Denn Er ists, der den Armen vom Boden erhebt und aus dem Staub den Niedrigen erhöht, um ihn neben Fürsten zu setzen, neben die Fürsten seines Volks. Er läßt die Unfruchtbare in ihrem Hause wohnen, eine Mutter ihrer Kinder froh. Verzweifle also nicht an bester Aenderung. Denn wenn der Teufel so stark gewesen, daß er von jener Höhe der Tugend zur tiefsten Bosheit dich hinabzustoßen vermocht, so wird sich Gott viel stärker noch erweisen, dich zu jener frühern Freiheit wieder empor zu heben und nicht nur in denselben Stand, sondern in einen viel glückseligeren dich wieder einzusetzen. Nur verzage nicht und reiß die Wurzeln guter Hoffnungen nicht aus und thu nicht wie die Ruchlosen. Denn es pflegt nicht die Menge der Sünden Verzweiflung zu bewirken, sondern die Ruchlosigkeit der Seele.

Darum sagt Salomo2 nicht schlechthin: ein jeder, der in die Tiefe der Bosheit geräth, achtet’s nicht, sondern nur der Ruchlose. Denn nur sie werden diesem Unheil hingegeben, wann sie in die Tiefe der Bosheit hinabgekommen. Und dieß ist’s, was sie nicht aufschauen läßt und dahin zurückgehen, wovon sie abgekommen sind. Denn dieser schmähliche Gedanke ist wie ein Halsblock dem Nacken der Seele aufgelegt, er zwingt sie auf den Boden den Blick zu heften und hindert sie aufzuschauen zum Herrn. Ein edler und achtbarer Mann nun wird dieß Holz zerbrechen und den Schergen, der’s ihm aufgelegt, von sich stoßen und mit den Worten des Propheten3 ausrufen: „Wie die Augen der Magd auf die Hände der Gebieterin sich richten, so unsere Augen auf den Ewigen, unsern Gott, bis daß er unser sich erbarme. Erbarme dich unser, Ewiger, erbarme dich unser; denn sehr wurden wir gesättigt mit Schmach.“ Göttlich sind diese Lehren wahrlich und Sätze der höchsten Weisheit: wir sind mit Schmach, heißt es, gesättigt worden, und haben tausend Uebel ertragen. Dennoch werden wir nicht ablassen zum Herrn aufzuschauen und werden zu bitten nicht aufhören, bis wir Gewährung erlangt. Denn dieß zeigt Seelenadel, nicht muthlos zu werden, nicht zu verzagen bei der Menge der andringenden Schrecken, nicht abzulassen, wann das Verlangen oftmals unerfüllt geblieben, sondern auszuharren bis er sich unser erbarme, wie der heilige David sagt.

2.

Denn deßhalb stürzt der Teufel uns in die Gedanken der Verzweiflung, um die Hoffnung auf Gott uns zu entreißen, diesen festen Anker, den Halt unsers Lebens, den Wegweiser zum Himmel, die Rettung der Verlornen Seelen. Denn es steht geschrieben4: „Durch die Hoffnung sind wir gerettet worden.“ Sie ist nemlich wie ein starkes Seil, das vom Himmel herabhängt und unsere Seelen trägt, um allmählig jene, die daran festhalten, zu jener Höhe empor zu ziehen und über die Fluth der Uebel dieser Welt zu erbeben. Wenn daher einer ermattet und diesen heiligen Anker losläßt, so muß er nun freilich hinabstürzen und in die Abgründe der Bosheit hinabfallend umkommen. Dieß weiß der böse Feind gut. Wenn er darum wahrnimmt, daß die drückende Last eines bösen Gewissens auf uns liegt, so tritt er auch heran und lädt uns den Gedanken der Verzweiflung auf, der schwerer ist denn Blei. Lassen wir uns diese Last auflegen, so müßen wir wohl, durch diese Wucht abwärts gezogen und von jenem Seil hinweggerissen, in die Tiefen des Unheils versinken: da befindest auch du dich nun! Die Gebote des sanften und demüthigen Herrn hast du verschmäht! aber die Gebote des harten Zwingers, jenes unversöhnlichen Feindes unseres Heils, vollziehst du alle, nachdem du das sanfte Joch zerbrochen und die leichte Bürde abgeworfen und dafür die eisernen Ringe dir umgelegt und noch dazu den Mühlstein an deinen Hals gebunden hast. Wann willst du denn endlich aufhören deine arme Seele wie in Meerestiefen zu versenken, nachdem du eine so fest bindende Nothwendigkeit dir auferlegt, immerfort abwärts zu stürzen!

Jenes Weib, das den einen Groschen wieder gefunden, rief die Nachbarn zusammen, an ihrer Freude theilzunehmen: freut euch mit mir, sprach sie. Ich aber muß nun alle meine und deine Freunde zum Gegentheil auffordern; ich darf nicht sagen: freut euch mit mir, sondern: weinet mit mir und stimmt die gleiche Klage an und schreit mit mir in gleichem Jammer auf! Wir haben ja den allergrößten Verlust erlitten. Nicht sind etwa so und so viele Pfunde Goldes mir aus der Hand gefallen, auch nicht etwa eine große Zahl Edelsteine; sondern einer, der höheren Werth hat denn all dieß, ist, während er mit uns dieses große, weite Meer durchschiffte, ich weiß nicht wie, ausgeglitten und in den offenen Schlund des Verderbens hinabgefallen.

3.

Jene aber, welche es etwa versuchen, mich von den Wehklagen abzubringen, red’ ich mit den Worten des Propheten5 an: „Gehet hinweg von mir, weinen will ich bitterlich; dringet nicht in mich, um mich zu trösten.“ Denn auf mir lastet nun nicht ein solches Leid, daß mir das Uebermaaß der Trauer eine Rüge zuziehen könnte; sondern ein solches, um dessentwillen auch ein Petrus oder ein Paulus ohne Scheu weinen und trauern und jeden Trost verschmähen würden. Denn solchen, welche über diesen uns allen gemeinsamen Tod klagen, könnte man mit Fug und Recht ihre große Verzagtheit zum Vorwurf machen. Wenn aber anstatt des Leibes eine Seele todt da liegt, mit zahllosen Wunden bedeckt und selbst im Tode noch ihren früheren Adel bekundend und ihre Gesundheit und die erloschene Schönheit, wer ist da so grausam und mitleidslos, daß er anstatt der Trauer und der Thränen Trostreden vorbrächte? Denn wie es in jenem Fall weise ist nicht zu weinen, so in diesem zu weinen. Er, der himmelwärts vorgedrungen, der der Eitelkeit der Welt spottete, der leibliche Schönheit gleich wie schöne Marmorbilder ansah, der das Gold wie Thon und alle Lust wie Koth verschmähte, dieser ist uns nun plötzlich von der Gluth schmählicher Begierde ergriffen worden, er hat Gesundheit und Mannhaftigkeit und alle Schönheit eingebüßt und ist ein Knecht der Lüste worden. Ueber diesen nun, antworte mir, sollen wir nicht weinen und nicht trauern, bis daß wir ihn wieder gewinnen? Könnte denn dieß eine menschliche Seele? Den Tod des Leibes kann hienieden nichts mehr ungeschehen machen, und dennoch lassen sich dadurch die Leidtragenden nicht abhalten von ihrer Trauer. Den Tod der Seele aber kann man nur hienieden noch rückgängig machen. Denn es heißt:6 „Wer wird in der Hölle dir lobsingen?“

Wäre es denn nun nicht eine große Verkehrtheit, wenn jene, die um einen Leichnam klagen, so tiefe Trauer zeigen, und zwar wiewohl sie wissen, daß ihr Wehklagen den Todten nimmer auferweckt, wir dagegen nichts solches äußern sollten, da wir doch wissen, daß man oftmals Hoffnung haben darf die Verlorne Seele wieder ins frühere Leben zurückzubringen? Viele sind ja in unserer Zeit sowohl als in den Tagen unserer Voreltern, nachdem sie vom aufrechten Stand weggedrängt und von dem steilen, schmalen Pfad hinabgestürzt waren, in einer Weise wieder aufgestanden, daß sie die frühere Schuld mit den nachfolgenden Verdiensten zudeckten und den Preis errangen, daß sie mit dem Kranz geschmückt unter den Siegern verkündet und unter die Schaar der Heiligen gezählt wurden. Zwar so lang als einer noch in der Feueresse der Lüste steht, wird ihm solche Umkehr unmöglich dünken, wenn er auch tausend Beispiele dafür hätte; beginnt er aber auch nur eine kurze Strecke von dort heraus zu gehen, so läßt er im Vorschreiten die Feuergluth immer weiter hinter sich, den Weg aber, den er zu wandeln hat und der vor seinen Füßen ist, wird er mit Thau befeuchtet und frei von Beschwerden finden. Nur verzweifeln dürfen wir nicht und der Umkehr nicht entsagen. Denn wem dieß widerfährt, dem hilft es nichts, hätte er auch noch so große Stärke und noch so großen Eifer. Denn wer sich einmal die Pforte der Buße verriegelt und den Eingang zum Schauplatz des Wettkampfes sich versperrt, wie soll der noch eine preiswürdige That, sei’s in Leichtem oder in Schwererm, vollführen können, da er draußen bleibt? Darum wendet der böse Feind Alles an, um diesen Gedanken tief in uns einzusenken. Es kostet ihn dann unser Widerstand keinen Schweiß und keine Mühe mehr. Wir liegen ja darnieder und sind gefallen und wollen uns nicht ferner wider ihn erheben. Wer aber dieser Fessel zu entschlüpfen vermag, der wird die eigene Kraft wieder gewinnen und bis zum letzten Odemzug nicht aufhören mit ihm zu ringen. Und wenn er auch noch tausendmal fällt, so wird er doch wieder aufstehen und den Feind bezwingen. Wer aber von den Gedanken der Verzweiflung gefesselt ist und so die eigene Stärke lahmt, wie sollte der noch den Sieg gewinnen und Widerstand leisten können da er vor dem Feinde die Flucht ergriffen hat?

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