Cajus Rungholt

Cajus Rungholt – Charlotte Niese

Eine Erzahlung aus dem siebzehnten Jahrhundert. Wie fast alle Werke der Autorin spielt auch diese in ihrer norddeutschen Heimat. Bevorzugte Themen der auf Fehmarn geborenen Autorin waren Jugend- und Mädchenromane mit stark romantischem Einschlag, aber auch historische Reisebeschreibungen.

Cajus Rungholt

Cajus Rungholt.

Format: eBook

Cajus Rungholt.

ISBN eBook: 9783849656652.

 

Auszug aus dem Text:

»Noch einmal erzähle mir vom grimmen Waldstein, vom Schwedenkönig Gustav Adolf und von der Schlacht, in der du mitgekämpft!« rief eine junge bittende Stimme, und eine sonnverbrannte kräftige Knabenhand legte sich schmeichelnd einem ältlichen Manne auf die Schulter. Der Angeredete, der auf einem rohbehauenen Steinbänkchen saß und mit der Ausbesserung einer alten Wolljacke beschäftigt war, schüttelte den kurzgeschorenen Kopf.

»Geht nicht, Junkerlein!« sagte er kurz; »wißt Ihr doch selbst, daß die edle Frau mir bereits zweimal zehn Peitschenhiebe hat verabreichen lassen, weil ich mit Euch gar zu umständlich gesprochen und an den Schweden mancherlei ausgesetzt habe, was Eure Mutter in Harnisch brachte. Denn ob sie schon aus mecklenburgischem Hause ist, liebt sie doch die schwedischen Völker, als wären es ihre Brüder.«

»Weshalb tut sie das, Hinnerk?«

»Weiß ich’s, junger Herr? Die edle Freifrau gönnt mir nur das Wort, wenn sie mich schilt. Aber geht, Junker Kai! Sie möchte Euch hier in meiner Nähe erblicken, und dann muß mein alter Rücken für Eure Neugier büßen.«

Der Junker ballte zornig die Hand.

»Bei meiner Seele, Hinnerk, wenn Holleby erst mein ist, werde ich dich niemals schlagen lassen!«

Der Knecht pfiff leise vor sich hin, und über seine wetterharten Züge flog ein gutmütiges Lächeln.

»Ihr habt ein gutes Herz, Junker Kai, aber wenn Ihr Herr über Holleby sein werdet, dann seid Ihr stolz und herrisch wie die andern Edelleute. Das liegt euch Großen im Blute: ihr müßt schlagen, und das Volk muß den Nacken beugen. Mir will freilich das Bücken nicht schmecken; wir von Fehmarn sind freigeboren und kennen keine Edelleute über uns. Daher werde ich wohl bald in meine Heimat reisen und euch allen Valet sagen!«

Kai faßte den Arm des Knechtes mit festem Griff.

»Das darfst du nicht!« rief er fast angstvoll. »Bedenke, was der Vater sagen wird, wenn er kommt und dich nicht hier findet! Was willst du auf Fehmarn? Hast du mir nicht selbst gesagt, daß dies Inselein flach und häßlich ist? Kein Baum wächst dort, seit König Erich den Wald abgebrannt hat. Bleib doch auf unserm schönen Seeland, bei unseren Buchenwäldern! Du wirst ja Heimweh nach unserem Lande bekommen!«

»Glaubt Ihr?« fragte Hinnerk halb spöttisch. »Was gehen mich die Buchenwälder an, wenn ich sie nicht durchschreiten kann, ohne stolzen Herren zu begegnen, die mich mit der Reitpeitsche schlagen, sobald ich ihnen nicht weit genug ausbiege, und die mich in den Turm werfen lassen, wenn ich mir ein armseliges Stück Wild in dem herrlichen Walde fange? Nein, junger Herr, für euch Junker mag die Insel Seeland ein gelobtes Land sein – für freie Bauern gibt’s bessere Plätze, und daher sage ich Euch noch einmal, Junker, wundert Euch nicht, wenn ich auf mein kahles Eiland gehe. Aber kommt Ihr einmal nach Holstein, so segelt über den Sund und besucht mich. Vielleicht findet Ihr auch Gefallen an meiner Heimat. Nun geht aber, Junker. Vorhin sah ich ein dunkles Gewand hinter der Dornenhecke; es war wohl die Frau Rungholt, die stets ein scharfes Auge über uns offen hält. Da ist sie wieder! Duckt Euch hinter den Steinwall! O weh, es ist zu spät!«

»Ja, es ist zu spät, alter Sünder!« sagte eine scharfe Stimme, und eine hagere Frauengestalt stand vor dem Knecht, der sich erhoben hatte und demütig seine Kappe vom Kopfe riß. »Ich habe deine gottlosen Reden angehört, und ich werde dir zeigen, daß du noch nicht auf deinem elenden Eilande bist, wo du nach Belieben Rehe stehlen und andere Schandtaten verüben kannst. Doch vorläufig kannst du im Turm über deine törichten Worte nachdenken.«

Hinnerk hob seine kleinen grauen Augen langsam zu der Sprecherin empor und sah sie starr an. Es mochte etwas in dem Blick liegen, was der Freifrau von Rungholt nicht gefiel; sie wandte sich kurz um und schritt dem Herrenhause zu, mit herrischem Wink ihren Stiefsohn Cajus an ihre Seite befehlend.

Die edle Frau von Rungholt mochte einst eine stattliche Erscheinung gewesen sein; jetzt war sie ältlich und verblüht. Ihr Gesicht zeigte noch feine Züge, doch farblose, runzelige Haut bedeckte dieselben, und ihre graublauen, mit spärlichen Wimpern umrandeten Augen sahen mürrisch vor sich hin. Ihr Anzug war dunkel und einfach; nur ein großes rotes Rubinkreuz, das sie über dem glatten Leinenkragen trug, und der feingearbeitete silberne Schlüsselhaken an ihrer Seite zeugten von Wohlstand, wenn nicht von Reichtum.

Jetzt wandte sie sich plötzlich gegen Cajus, der einige Schritte hinter ihr herging.

»Habe ich dir nicht oft verboten, mit Hinnerk, diesem unzufriedenen Burschen, zu reden? Auch dich werde ich strafen, und zwar wirst du heute abend ohne Nachtessen schlafen gehen. Solltest du noch einmal mein Gebot übertreten, so lasse ich deinen Ungehorsam dem Herrn Prädikanten vermelden, damit dieser an dir die Rute nicht spare!«

Das scharfgeschnittene Gesicht des Knaben rötete sich bei diesen keifend gesprochenen Worten, und seine dunklen Augen blitzten zornig, aber er bezwang sich und sagte ruhig:

»Das Nachtessen werde ich schon verschmerzen, Frau Mutter, was aber den Herrn Prädikanten betrifft, so ist er ein guter Mann und wird mich nicht schlagen. Und wer mir sonst mit einer Rute naht, dem zerbreche ich sie auf seinem eigenen Rücken!«

Frau Rungholt wandte sich ihrem Stiefsohne zu und faßte nach dem Schlüsselbunde, als wenn sie dasselbe gegen ihn gebrauchen wolle, aber ein Blick auf Kais kräftige junge Gestalt ließ sie sich eines andern besinnen. Noch einmal drohte sie ihm; dann verschwand sie ebenso rasch, wie sie gekommen war, und der Knabe sah ihr kopfschüttelnd nach.

»Die Frau Mutter wird alle Tage wunderlicher,« sagte er halblaut vor sich hin; »ob sie wohl eine Hexe ist, wie Hinnerk sagt? Gestern abend lief eine große schwarze Katze mir nach, die mich böse ansah; sie hatte viel Ähnlichkeit mit der Frau Mutter; doch denke ich mir kaum, daß der Prädikant zu uns kommen würde, wenn eine Hexe im Hause wäre!«

Langsam war Kai auf den Garten zugeschritten, welcher sich hinter dem Herrenhause hinzog. Es war kein Ziergarten, in den er jetzt durch eine Holztür eintrat, sondern ein großes Stück Gemüseland mit abgeernteten Beeten. Nur einige Herbstblumen fristeten hier und da ein kümmerliches Dasein, und dicht am Hause stand eine große, mit Flieder und Jasmin bewachsene Laube; sonst war nichts vorhanden, was den Namen Garten gerechtfertigt hätte, weder Gebüsch noch Rasen oder Zierpflanzen. Aber der Junker Cajus Rungholt schien dieses Stück Erde nicht reizlos zu finden. Er warf einen raschen Blick um sich, und als er weder im Garten noch hinter den kleinen Fensterscheiben des Herrenhauses einen Menschen sah, eilte er an ein großes Beet und zog mit vieler Geschicklichkeit eine Menge von gelben Wurzeln aus, von denen er den größten Teil in sein stark verschlissenes Tuchwams steckte, während er den Rest flüchtig von der Erde befreite, um sie dann flugs hinter seinen weißen Zähnen verschwinden zu lassen.

»Sie sind nicht mehr so schön wie im Sommer,« meinte er dann, »aber zum Abendbrot noch immer gut genug!«

….

 

 

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