Der Nabob

Der Nabob – Alphonse Daudet.

Ein Pariser Sittenbild. In entscheidender Weise verbindet Daudet im Roman “Der Nabob” die Erzählung der Abenteuer und Schicksale des Helden, der dieses mal ein in Tunis zu Millionenreichtümern gelangter Südfranzose ist, mit einer so scharfen als auch weit ausgelegten Spiegelung des Pariser Lebens in den letzten Tagen des Kaiserreichs.

Der Nabob

Der Nabob

Format: eBook

Der Nabob.

ISBN:  9783849652906

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Frisch rasiert, mit lebhaftem Blick, mit lachendem Wohlbehagen auf den geöffneten Lippen, das lange, grau angehauchte Haar auf den breiten Rockkragen zurückgekämmt, stand eine vierschrötige, baumstarke und kerngesunde Gestalt an einem Novembermorgen in der Rue de Lisbonne auf der Vortreppe seines kleinen Prachthauses. Es war der berühmte Arzt Dr. Robert Jenkins aus Irland, Inhaber des Medjidje-Sterns, Ritter des hochgeachteten spanischen Ordens Karl III., Mitglied mehrerer gelehrter oder wohlthätiger Körperschaften, Vorstand und Begründer der bethlehemitischen Stiftung, kurz, Jenkins, der Erfinder der arsenikhaltigen Jenkins-Perlen, das heißt der Modearzt des Jahres 1864, der gesuchteste Mann in Paris. Er stand eben im Begriff auszufahren, da that sich im ersten Stock ein Fenster auf und schüchtern rief eine weibliche Stimme in den Hof herunter: »Robert, soll ich mit dem Frühstück auf dich warten?«

O wie gütig und treuherzig war das Lächeln, welches nun plötzlich den schönen Apostelkopf des Gelehrten verklärte, und wie so sicher ließ sich an dem zärtlichen Morgengruß, den sein Auge hinaufsandte zu der trauten, weißen Erscheinung hinter den aufgeschlagenen Gardinen, jene friedlich bewußte, tiefe Gattenliebe erkennen, die durch die schmiegsamen und starken Bande der Gewohnheit einen sichern Halt gewonnen hatte.

»Nein, liebe ›Frau‹« (vor der Welt betonte er nämlich gern das Gesetzliche seiner Beziehungen zu ihr und schien dabei eine innere Befriedigung zu empfinden, eine Art Rechtfertigung dem Weibe gegenüber, das ihm ein so freudiges Dasein bereitete). »Nein, heute speise ich auswärts, am Vendomeplatz.«

»Ah so! Beim Nabob …« sagte die schöne Frau Jenkins, und man hörte ihr dabei deutlich den Respekt an vor jener Figur aus »Tausend und eine Nacht«, die bereits einen vollen Monat von ganz Paris im Munde geführt wurde. Dann flüsterte sie nach einigem Zögern, so recht zärtlich, zwischen den schweren Gardinen hervor, als dürfe bloß der Doktor allein es hören: »Aber vergiß nur ja nicht, was du mir versprochen hast.«

Es mußte wohl etwas gar schwer zu Haltendes gewesen sein, was ihr der Doktor versprochen, denn sofort zog sich seine Apostelstirne in Falten, das Lächeln erstarrte, und das ganze Gesicht überflog ein Ausdruck unglaublicher Härte, aber es flog nur so darüber hin. Das Krankenbett des Reichen ist für die Physiognomie eines Modedoktors eine zu gute Schule der Lüge. Mit seinem wohlwollendsten, offenherzigsten Lächeln erwiderte er, indem eine Reihe blendender Zähne dabei zum Vorschein kam: »Liebe Frau, was ich versprochen habe, wird geschehen. Aber jetzt hübsch zurück ins Zimmer und das Fenster geschlossen, damit dir der kalte Morgennebel nicht schade.«

Kalt war er allerdings, der Morgennebel, dafür aber auch duftig, wie dunstgewordener Schnee, und an die Wagenscheiben geschmiegt, ließ er seinen hellen Widerschein auf das entfaltete Zeitungsblatt in den Händen des Doktors fallen. Drüben in den volkreichen, zusammengezwängten, rußigen Stadtteilen, im handel- und gewerbetreibenden Paris, gibt es diesen Frühnebel nicht, der sich in den breiten Straßenzügen festsetzt; die Hast des Erwachens und das Kreuz- und Querfahren der Bauernwagen, der Omnibusse, der schwer hinrasselnden Lastwagen haben ihn zu schnell zerteilt, zerzaust und zerstreut. Jeder Vorübergehende trägt ihn im abgeschabten Ueberzieher, im fadenscheinigen Halstuch mit fort, oder zerteilt ihn mit den plumpen Handschuhen. Er sickert in die schauernden Blusen, in die Regenmäntel der arbeitenden Armut, er vergeht unter dem heißen Atem der vielen, die eine schlaflose oder durchzechte Nacht hinter sich haben, wird eingesogen von den Hungernden, dringt in die frischgeöffneten Kaufläden, in die düstern Hinterhöfe und qualmt die Treppen empor, an Geländern und Wänden hinrieselnd, bis hinauf in die ungeheizten Dachstuben. Deshalb bleibt denn auch draußen so wenig davon zurück. In dem raumverschwenderischen Prachtviertel von Paris aber, wo Dr. Jenkins’ Patienten wohnten, auf den breiten, mit Bäumen bepflanzten Boulevards und den menschenleeren Quais, lagerte der Nebel noch unversehrt Schicht auf Schicht, wie ein Gewoge von durchsichtigen Wollflocken, in dem man sich so abgeschieden, so geborgen, ja fast in Luxus gebettet fühlte, denn die träg aufgehende Sonne am fernen Horizont ergoß schon einen milden Purpurschimmer, und in dieser Beleuchtung glänzte der haushohe Nebel wie ein Musselinstoff auf Scharlach ausgebreitet. Man hätte das Ganze für einen riesigen Vorhang halten können, hinter welchem der Reichtum seinen leichten, verspäteten Schlummer genoß, für einen dichten, schützenden Vorhang, der kein andres Geräusch durchließ, als das behutsame Zudrücken eines Hausthors, das Klappern der Milchverkäufer mit ihren Blechgefäßen, das Geklingel einer scharf vorübertrabenden Herde Eselinnen und hinterdrein das kurzatmige Keuchen des Treibers, oder jetzt das dumpfe Rollen des Wagens, in dem der Doktor seine tägliche Rundfahrt machte.

Der erste Besuch galt dem Palais Mora, am Quai d’Orsay, unmittelbar neben dem spanischen Botschaftshotel, dessen lange Terrassen an diejenigen dieses Prachtbaues stießen, welcher seinen Haupteingang zwar in der Rue de Lille, aber ein Seitenthor nach dem Wasser zu hatte. Zwischen zwei hohen, von Epheu überwucherten Mauern, die durch einen großartigen gewölbten Bogen miteinander verbunden waren, flog der Wagen pfeilgeschwind dahin, durch zwei dröhnende Glockenschläge angemeldet, bei welchen Jenkins aus dem Nachdenken auffuhr, in das ihn die Lektüre seiner Zeitung versetzt zu haben schien. Gleich darauf erstarb das Rollen der Räder auf der Sandfläche eines geräumigen Hofes, und der Wagen blieb, nachdem er zuvor noch einen graziösen Halbkreis beschrieben hatte, unter einer breiten, abgerundeten Marquise, an der Vortreppe stehen. Durch den Nebelflor hindurch erblickte man eine Reihe von etwa zehn Kutschen, und weiter, in einer Allee von bereits winterstarren, entlaubten Akazien wie Figuren eines Schattenspieles, einige englische Stallknechte, welche die Reitpferde des Herzogs beim Zügel hin und her führten. Alles zeugte von wohlgeordneter, festbegründeter, stilvoller, vornehmer Pracht…..

 

 

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