Der Sternsteinhof

Der Sternsteinhof – Ludwig Anzengruber

“Eine Dorfgeschichte” ist der Untertitel dieses Romans. Ein Heimatmärchen mit mythischem Faktor und spannend bis zum Schluß. Ludwig Anzengrober war ein österreichischer Heimatautor.

Der Sternsteinhof

Der Sternsteinhof.

Format: eBook.

Der Sternsteinhof.

ISBN eBook: 9783849654610

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Ein Gußregen war herniedergerauscht. Wallend und gischend schoß das sonst so ruhige Wässerlein zwischen den zwei Hügeln dahin; auf der Höhe des einen stand ein großes, stolzes Gehöft, am Fuße des andern, längs den Ufern des Baches, lag eine Reihe von kleinen Hütten.

Die letzte dieser Hütten war gar verwahrlost, der Türstock stand fast frei in der geborstenen Mauer, die Fensterrahmen hingen schief, hie und da guckte ein nackter Stein aus dem rauhen, verwitterten Anwurfe hervor, und wenn auch die ärgsten Risse und Sprünge mit Lehm verschmiert und mit Heu und Streu verstopft waren, so machte das den Anblick nicht besser. Dahinter stieg ein schmaler Streif bearbeiteten Bodens hinan, bestellt mit etlichen Gemüsebeeten, einem Acker mit Krautköpfen und einem anderen mit Kartoffelpflanzen. Die Einfriedung dieses Besitztums war mehr angedeutet als wirklich, von Schlingpflanzen umwucherte Pflöcke standen weitab voneinander, und quer zwischen deren gabelförmigen Enden lagen vermorschte, schlanke Baumstämme.

Wenn der Bach, in den sie allen Unrat leiteten und warfen, träge dahinfloß, dann machte er der ärmlichen Siedlung viel Unlust, dann befiel auch die Beschränktesten da unten eine unklare Empfindung, in welcher Enge, in welchem Schmutze sie dahinlebten; aber heute wuschen die Wasser dahin, und in die kühlende Feuchte der Luft mischte sich frischer Erdgeruch und würziger Pflanzenduft, und auf dem Sternsteinhof dort oben konnten sie es auch nicht wohlatmiger und gesünder haben.

Auf dem Bänklein vor der letzten Hütte saß ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, außer einem Kopftuche, einem Hemdchen von ungebleichtem Linnen und einem verwaschenen, blauen, weiß getüpfelten Röckchen hatte es nichts am Leibe. Die Kleine hatte die Füße an sich gezogen, daß sie in der Luft baumelten, nur manchmal streckte sie den linken aus, drückte die Sohle in die feuchte Erde und sah nach dem Grübchen, bis sich dieses mit Wasser füllte, dann war der Schuh fertig. Ja, wer Schuhe hätte, der könnte unter die reichen Leute gehen, wohl auch da hinauf nach dem Sternsteinhof.

Sie hob wieder das Köpfchen. Von ihrem Gesichte war nichts zu sehen als das runde Kinn, der untere Teil der vollen Backen und die Spitze der kleinen Nase zwischen dem Spalt des Kopftuches, das sie zum Schutze der Augen tief in die Stirne gezogen hatte, denn das war auch nötig; hinter dem Hügel, ihr im Rücken, ging eben die Sonne unter, und daher flammten die Fenster des Gehöftes, nach dem sie so unverwandt hinsah, in sprühendem Feuer. Das nasse Schieferdach des Wohnhauses, das dort inmitten weitläufiger Wirtschaftsgebäude stand, verschwamm förmlich in dem tiefdunklen Grau der Wolken, die dahinter standen und nur an den Rändern einen ganz schmalen, rotgoldenen Saum zeigten, so daß es fast aussah, als reiche der Sternsteinhof bis an den Himmel.

Wunder hätte es das Kind nicht genommen! So weit der Hügel reicht – oh, wie weit war das –, gehört aller Boden zum Sternsteinhof und noch ein gutes Stück ebenen Landes dazu. Was die Wiesen an Vieh ernähren konnten, die Äcker zu tragen vermochten, das hatte der Sternsteinhofbauer in Ställen und Scheunen. Das sagten ja die Leute, daß ihm alles wie vom Himmel fiel, seit er den feurigen Stein, die Sternschneuze, die just zur Zeit, als er den neuen Hof zu bauen begann, auf seinen Grund herniederschoß, aus der Erde heben und in das Fundament einmauern ließ.

Plötzlich wirbelte inmitten des dunklen Grau ein helles, sandfarbes Wölkchen lustig empor, der Rauch, der aus einem der Schornsteine ober dem Schieferdache aufstieg. Das Mädchen starrte darnach hin und seufzte leise. Von der Seite gesehen, mit dem übergebundenen Tüchelchen, dessen Zipfel, hohl und spitz, das Gesicht verdeckte, mußte sich ihr Köpfchen wie das eines kurzschnäbeligen Vogels ausnehmen, und nachdem sie vorhin zu dem Goldrande der Wolken aufgeblickt hatte und nun gerade vor sich hinsah, so war es, als hätte zuerst der Vogel, etwa aus der jungen Saat, in die blaue Weite geguckt und plötzlich beäugle er etwas ganz Nahes und besänne sich, ob er darauf losgehen solle.

Ganz so sah es wenigstens nach der Meinung eines halbwüchsigen Bürschchens aus, das schon längere Zeit hinter den Zweigen der mannshohen Büsche im Vorgärtchen der Nachbarhütte lauerte. Als der putzige Vogel da drüben den Schnabel senkte, übermannte den Burschen die Lustigkeit seiner Vorstellung so, daß er mit dem Knebel, den er sich aus einem seiner Hemdärmel drehen wollte, um den lauten Ausbruch seiner Heiterkeit zu ersticken, nicht mehr rechtzeitig zustande kam und nun in ein prustendes, grölendes Lachen ausbrach, dem aber sofort ein krampfartiger, pfeifender Husten folgte.

Die Kleine schrak anfangs heftig zusammen, jetzt aber klatschte sie in die Hände und rief lachend: »Siehst, das geschieht dir recht, Muckerl, das ist die Straf dafür, daß du die Leut so erschreckst.«

Was auch der Angeredete zu entgegnen gedachte, eine Entschuldigung oder eine Grobheit, für den Augenblick mußte er die eine wie die andere für sich behalten. Er lehnte an der Mauer und rang nach Luft, und in sein Gehuste klang das helle, fröhliche Lachen von drüben.

Eine dralle, behäbige Frau setzte mit einem ärgerlichen Rucke Pfanne und Topf, die sie eben zur Hand genommen, auf den Herd zurück und trat unter die Türe.

»Was gibt’s denn da wieder für Dummheiten?« sagte sie.

»Muckerl, du wärst wohl jetzt alt genug, um gescheit zu sein.«

»Es is ja aber weiter nix, Mutter, als a bissel a Hetz«, sagte der Bursche.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter A, Anzengruber-Ludwig, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.