Der Taifun

Der Taifun – Georg Engel

Essigs größter Erfolg war sein Schlüsselroman “Der Taifun”, in dem er sich über das kunstverrückte Berliner Publikum und die modernen Tendenzen des Sturm-Kreises lustig machte.

Der Taifun

Der Taifun.

Format: eBook

Der Taifun.

ISBN eBook: 9783849655273

 

 

Auszug aus dem Text:

Susanne Flaubert gefiel es längst nicht mehr in Brüssel.

Ihre Freunde waren außer Landes. Sie saß trübselig in ihrer Wohnküche. Am Gasbratofen stand Käterchen, ihr Dienstmädchen, und machte Rühreier. Sie tapfte gleichgültig und gedankenarm mit dem Löffel in der Pfanne herum. Zur Vermehrung oder zum Ersatz des Fettgehaltes fielen in kurzen Abständen die Katarrhtropfen von ihrer Nase in die Eierpfanne.

Susanne hatte dafür kein Auge, ihre Blicke gingen wissenshungrig durch die Fensterscheiben. Sehr aufmerksam lag aber Kätzi in Susannes Schoß und sah mit blauen besorgten Augen nach Käterchen hin.

Käterchen hatte sich die Naschsucht vor den Blicken der Katze allmählich abgewöhnt, denn sobald sie den Versuch machte, eine Speise zu kosten, tatzte Kätzi mit der Pfote nach dem Kinn der Herrin.

Wie ein unartiges Kind übte Kätzi am Dienstboten Kritik, paßte auf alles gut auf, was dieser tat, und durfte sich dabei selber alles herausnehmen. Käterchen konnte darum die Katze nicht ausstehen. Sie plante ständig, wie sie die Katze auf geheimnisvolle Weise entfernen könnte.

Da floß hinter dem Hause der Kanal vorüber. Immer gelüstete es Käterchen, Kätzi darin, in einen Sack gebunden, mit einem Stein beschwert, zu ersäufen. Bloß unbemerkt hätte es geschehen müssen.

Zur Ausführung ihrer schwarzen Gedanken kam es nie. Sie wagte es nicht, den Sack an den unteren Stockwerken vorbeizuwerfen, auch nicht nachts damit zum Hause hinaus an das Wasser hinzuschleichen.

Äußerlich mußte sie Kätzi immer schöntun. Kätzi war wie Susannes verwöhntes Kind. Die geringste unsanfte Berührung der zarten Angora oder ein versehentlicher Tritt, hatten den tagelangen Zorn Susannes zur Folge. Kätzi trug farbige seidene Schleifchen, sie besaß sogar Goldschmuck. Käterchen hatte darüber einen heillosen Ärger: wie die reinste – wurde sie gehalten. Was Brüssel an Spitzen erfinden konnte, wurde um die Katze gewickelt.

Und dieses dumme Ding paßte auf sie beim Eierbacken auf. An Kätzis Nase schossen die Stubenfliegen vorbei; sobald eine von ihnen die Katze ablenkte, schob Käterchen den Löffel in den Mund.

Aber die dumme Sau guckte nicht weg.

Und Susanne schien ganz vertieft in der Betrachtung der Straße. Das war wieder ein recht ungemütliches Kochen unter Polizeiaugen.

In diesen trostlosen Stumpfsinn war das Leben übergegangen, seitdem die Trikolore von Brüssels Türmen verschwunden war. Susanne fühlte beim dauernden Anblick der Straße eine Gehirnstörung. Sie stand plötzlich auf, strich sich nachdenklich über die hohe Aztekenstirne und hielt die Katze im linken Arm. Käterchen gelang ein heimlicher Löffel.

Nach diesem Anfall war es wieder vorbei. Man aß einträchtig das bescheidene Mahl, Käterchen am Katzentisch, und die Katze mit der Dame. Eine Stadt war Brüssel nicht mehr. Susanne ließ sich von Käterchen die Sehnsucht kitzeln nach der Zeit, wie es gewesen war, nach dem Kapitän Labougère und der wunderschönen Madeleine. Die waren immer bei Susanne aus und ein gegangen, Käterchen war von allem Mitwisser und Zeuge. Der Kapitän hatte einmal die weiße Weste liegen lassen, und die eifersüchtige Pipi hatte gleich nachher daraufgesessen, ohne daraus die gewünschte Entdeckung zu machen.

Damals war Käterchen fast geplatzt vor Lachen. Und nun? Sie saßen, von niemand mehr gekannt, ganz verlassen. Die Wohnküche war ein verzweifelter Aufenthaltsraum, die Schlafstube erinnerte an ein Nadelkissen.

Käterchen war vom Schwarzwald auf einer Floßfahrt nach Brüssel verschlagen worden. Sie hetzte unablässig an Susanne, nach Deutschland hinüberzugehen. Über Berlin erzählte sie allerschönste Räubergeschichten, von der Friedrichstraße und Berlin bei Nacht. Es war zwar ein mehr sprichwörtlicher Ruhm der deutschen Weltstadt, Genaueres wußte niemand.

Susanne ließ sich die Entscheidung schwer werden. Sie hatte allmählich ein Bankkonto zusammenkratzen können, ohne vor ihren Freunden durch Geiz und Sparsamkeit unangenehm aufgefallen zu sein. Damit konnte sie in diesem wahrhaftigen Vogelbauer ein paar Jährchen durchhalten. Aber was war dann, wenn sich das aufzehrte? Sie war dann mehrere Jahre älter, hatte womöglich das dreißigste überschritten, und die alten Bekannten fanden sich wahrscheinlich nie wieder so zusammen wie vorher. War’s nicht richtiger, den Sprung nach Berlin zu wagen?

Sie verjuxte dabei natürlich ihr bißchen Geld in wenigen Wochen.

»Das müssen Sie eben gescheit angreifen,« meinte Käterchen. »Vielleicht kriegen Sie dort schnell einen Mann. Einen festen. Nicht bloß so zur Durchreise.«

Dies zog. Susanne besorgte sich die Pässe, um nach Deutschland einwandern zu dürfen. Und Käterchen, die vor Freude herumschusselte, packte den Hausrat zusammen, soweit sie ihn nicht mit ihren klobigen Händen zerbrach.

In dem Sinne ging alles glatt von statten. Ohne viele Zwischenlage von Spänen liefen Geschirre und Gläser in eine Kiste hinein, in stolzer Absicht, bald Berlin zu sehen. Auch die Pässe wurden von der Behörde ausgestellt. Susanne hatte nach Ansicht der Polizei keine besonderen Merkmale, sie war blond, hatte dunkle Augen, die wie Kamelaugen leuchteten. Da es aber nicht Sitte ist, in Personalbeschreibungen große Phantasien zu geben, so schrieb man nicht Kamelaugen, sondern Augen: dunkel. Nase: gewöhnlich. Mund: gewöhnlich. Besondere Merkmale: keine.

Susanne war anfänglich hochbeglückt, daß sie nach dieser Personalbeschreibung unbehelligt reisen konnte. So sahen ja alle Menschen aus. Aber als man dann bei Käterchen dasselbe schrieb, da rührte sich in ihr ein unangenehmer Wurm. Daß sie mit ihrem Dienstboten gleiche Gestalt haben sollte!

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