Die gute Schule

Die gute Schule – Hermann Bahr

Ein autobiografischer Roman mit tiefen Blicken in den Seelenzustand des Autors. Zynisch, sexistisch und gegen das Bürgertum. Der Autor Bahr wurde in Linz geboren und verstarb in München.

Die gute Schule

Die gute Schule.

Format: eBook.

Die gute Schule.

ISBN eBook: 9783849654818

 

 

Auszug aus dem Text:

Langsam, ganz langsam schlenderte er. Oft stockte er gaffend. Oder er bog auch links, rechts, nach einem Schaufenster, zu einer Drehorgel, hinter einer Dirne.

Er schritt nach dem Thore des Gartens. Dann aber, statt ins Gewühl zu tauchen, wich er zurück und ging den Boulevard weiter. Und noch einmal kehrte er sich nach dem Garten.

Aber wieder vor dem Thore hielt er an, sah hinauf und hinunter, lange. Der Tag, der wich, ließ seinen blauen Mantel nur zurück, den unten am Saume silberner Nebel stickte; und die Laternen flimmerten, zwei lange Reihen, wie große Knöpfe aus Messing. Da schaute er hinein, wie sich die Nacht formte.

Und wieder auf die andere Seite hinüber nach dem großen Magazin vor dem Panthéon. Da hingen wie blutige Sonnen zwei Ketten roter Schirme aufgespannt, scharlachen, mit dottergelben Erbsen getupft, und rote Taschentücher lagen aus und unter den Schichten purpurner Gewänder schmachtete ein einziges sehr grünes, von einem inbrünstigen, sehnsüchtigen Grün. Der reine Rochegrosse, sagte er; es gefiel ihm.

Er musterte es sehr lange. Er näherte sich und entfernte sich, die Wirkungen zu vergleichen. Aber nein.

Er stöberte unter den Büchern gleich daneben, wühlte herum, griff eins heraus, las eine Seite, blätterte, warf’s weg. Er bog um die Ecke zurück, wieder den Boulevard zu verfolgen. Hinab gegen das Wasser.

Er schritt sehr langsam, als wäre ihm leid um jeden Tritt. Ersichtlich hätte er gern erfahren, wohin er eigentlich ging. Er suchte eine Bestimmung.

An der Ecke, indem er seine kleine Holzpfeife ausklopfte und wieder stopfte, nachdem er sie umständlich gereinigt und den Zug erprobt hatte, wartete er, ob sich nicht was Vergnügliches ereignen wollte; wenigstens eine Prügelei. Wenn sie von dieser Revolution schon so viel Aufhebens machten, hätte sich’s wohl gebührt, von Staats wegen dergleichen aufzuführen. Das bißchen Beleuchtung – pah! Daraus machte er sich nicht viel.

Er ermüdete und wie das Gewühl wuchs, wurde er ungeduldig. Und dann ärgerte er sich, so verdrossen zu sein und sich selber wieder die Freude zu vergällen. Und dann ärgerte er sich der dummen Laune, überhaupt das Atelier verlassen zu haben. Er wollte zurück. Aber da er nun einmal da war, war es am Ende doch eigentlich gescheiter … so schwankte sein Wille, so schwankte sein Weg.

Vor dem Brunnen auf dem Platze des heiligen Michael starrte er aufs schwere, schwarze Wasser, das ächzend schwoll. Er war sehr mißmutig und in kurzen, hastigen, abgerissenen, spitzigen und schrillen Pfiffen zerhackte er seinen Verdruß unwirsch vor sich hin. Er wußte es, daß er unnütz und in Ärger seine Zeit verthat, wenn er nicht heimkehrte; aber wenn er heimkehrte, dann war ihm sicher erst recht der ganze Abend verdorben. Er kannte sich, es war ja nicht das erste Mal. Und er war sich wieder sehr zuwider.

Schon entflammte sich das Fest, dieses erste in der großen Kirmeß aller Völker, die den anderen Tag begann. Singen und Jauchzen war überall aus Stolz und Freude. Jungen, unter vielem Geschrei, manche in Masken, brannten Magnesiumfäden, deren weiße Streifen grell auflohten, in den langen Alleen gelber Lampen.

In ihm wuchs die Trauer mit dem Jubel um ihn; das Licht that ihm wehe, weil seine Seele finster blieb. Paare schmiegten sich, lachten, küßten; er sah es neidisch. Aber dann raffte er sich zur Verachtung des gemeinen Glückes auf, das nur den Dummen und Gewöhnlichen sich gewährt. Dieses weckte seinen Stolz und durch einige Beispiele aus der Kunstgeschichte, mit denen er sich verglich, beruhigte er sich. Es befriedigte ihn, daß kein Künstler jemals Zufriedenheit findet.

Aber es dauerte nicht lange. Er ging wieder zurück, wieder hinauf, einem Mädchen nach. Sie gefiel ihm, und da auf einmal fuhr es durch ihn, daß er eine Mätresse haben müsse.

Eine Mätresse, ja, wie die anderen, gegen die Einsamkeit. Bescheiden, billig, gar nichts Besonderes, nur daß er nicht mehr mit sich allein wäre. Nur daß sie ihm die schwarzen Schmetterlinge wegsinge, die schwarzen Schmetterlinge seiner Grillen und Launen.

Da war er immer allein und stöberte sich nur immer im Gehirne und natürlich, da staubte und moderte es dann aus allen Löchern und Winkeln. Da sann er nur immer und sann über Kunst und Leben und je länger er dachte, desto weniger wußte er am Ende und alle Pläne verwirrten sich zuletzt und in nichts mehr that er sich genug. Eine Mätresse – das Hamletische im Künstler verlangt eine Mätresse, unbedingt.

Er ließ das Mädchen aber wieder an der Ecke des Germain, weil sie zu eilig in der Freundschaft war. Nein, das liebte er nicht; er wollte werben und erobern nach bezwungenen Gefahren. Und überhaupt: eine kleine Mätresse that es nicht; eine große Leidenschaft war’s, was er brauchte.

Ja, eine große Leidenschaft fehlte ihm – das war es, wie er sich auch mit allerhand Plänen darum herumreden mochte. Eine große Leidenschaft, die seiner Seele einen »Schups« gäbe und das Geheimnis aufrüttelte, das sie so krampfhaft umklammerte – seine alte, ewige Sehnsucht. Das Gewöhnliche erstickte ihn; er brauchte ein Besonderes, würdig seiner besonderen Natur, ein Ereignis, ja – nicht eine Mätresse, eine Leidenschaft fehlte ihm.

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