Die Könige im Exil

Die Könige im Exil – Alphonse Daudet.

Ein satirischer Pariser Sittenroman um König Christian II. von Illyrien und dessen Gattin Friederike.

Die Könige im Exil

Die Könige im Exil

Format: eBook

Die Könige im Exil

ISBN:  9783849652845

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Friederike schlief seit dem frühen Morgen. Ein fieberhafter und ermattender Schlaf mit Träumen von alle den Trübsalen und Beschwernissen als vertriebene und gestürzte Königin, ein Schlaf, welchen das Getöse, die Sorgen und Ängste einer achtwöchentlichen Belagerung erschütterten, der von blutigen und kriegswilden Visionen gejagt und unterbrochen wurde, ein Schlaf, von Schluchzern, Schauern und Zufällen nervöser Abgespanntheit war es, welchen Friederike schlief, und aus dem sie erst unter der Empfindung eines jähen Entsetzens in die Höhe schreckte.

»Zara? . . . Wo ist Zara?« schrie sie auf.

Eine ihrer Frauen trat an das Bett heran, mit der in weichem Tone gebrochenen Versicherung: S. K. H. der Hr. Graf von Zara schlafe in voller Ruhe in seinem Zimmer; Madame Eleonore weile bei ihm.

»Und der König?«

»Seit Mittag in einem der Hotelwagen ausgefahren!«

»Ganz allein?«

Nein. Seine Majestät hätte den Herrn Geheimen Rat Boscowich mit sich genommen . . . Je länger die Dienerin in ihrer Dalmatiner Mundart, die volltönend und hart wie eine über Kiesel plätschernde Welle klang, zu ihr sprach, um desto mehr fühlte die Königin ihre Angst und ihre Schrecken sich zerstreuen; und nach und nach erschien ihr das ruhige, friedliche Hotelzimmer, das sie bei ihrer Ankunft gegen Tagesgrauen kaum deutlich hatte sehen können, in seiner geisttötenden und üppigen Alltäglichkeit, mit seinen hellen Vorhängen, seinen hohen Spiegeln, der wolligen Weiße seiner Teppiche, wo der schweigsame, lebendige Flug der Schwalben sich in den Schatten der Stores hernieder senkte und wo es hin und her und durcheinander zitterte, wie wenn große Nachtschmetterlinge das Zimmer durchschwirrten.

»Schon fünf Uhr! . . . Vorwärts, Petscha, frisiere mich geschwind . . . Ich schäme mich, daß ich so lange geschlafen habe!« . . .

 

Fünf Uhr. und der wunderbarste Tag, mit welchem der Sommer des Jahres 1872 die Pariser bislang erfreut hatte. Als die Königin auf den Balkon hinaustrat, auf jenen langen Balkon des »Hotels zu den Pyramiden«, welches mit seinen fünfzehn, mit Rosa-Zwillich verhängten Fenstern an den schönsten Platz der Rue de Rivoli grenzt, blieb sie entzückt vor Verwunderung und Staunen stehen. Unten auf der großen, breiten Straße, das Rädergerassel mit dem leichten Regen der Sprengwagen mischend, fuhr eine ununterbrochene Reihe von Kutschen und Wagen nach dem »Bois« zu mit einem Flimmern und Glitzern von Achsen und Geschirren und hellen, im jähen Fluge der Vorüberfahrt aufflatternden Toiletten. Sodann glitten die begeisterten Augen der Königin von der an dem vergoldeten Tuilerieen-Gitter sich drängenden Menschenmenge hinüber nach jenem leuchtenden Gewirr von weißen Gewändern, blonden Haaren, schimmernden Seidenstoffen, lustigen Spielen, nach allem jenem Leben und Treiben der Sonn- und Festtage und jenem fröhlichen Kindertrubel, wie ihm der große Pariser Garten um seine Terrassen herum reizende Stätten schafft an den Tagen, wo die Sonne am Himmel strahlt. Dann fanden die Augen endlich einen köstlichen Ruhepunkt auf dem Dome von grünem Laub, dem ungeheuren, dicht vollen, gerundeten Blätterdache, welches, von dort oben aus erblickt, die Kastanienbäume im Mittelpunkte des Platzes bilden, die in der gegenwärtigen Stunde ein Militär-Orchester überschatteten und von Kindergeschrei und Blechmusik in allen Winkeln erzitterten. Der herbe Groll der verbannten Frau besänftigte sich nach und nach bei solch stattlicher Entfaltung von Lieblichkeit, Milde und Anmut. Eine behagliche Empfindung von Wärme umschloß sie von allen Seiten, prall und geschmeidig wie ein seiden Netz; ihre durch das nächtliche Wachen und Entbehrungen aller Art gebleichten Wangen belebten sich mit rosigem Hauche. Sie dachte bei sich: »O Gott! wie wohl fühlt man sich doch jetzt!«

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