Die Stadt mit den goldenen Türmen

Die Stadt mit den goldenen Türmen – Gustav Falke

Die Stadt mit den goldenen Türmen ist die Autobiographie des 1916 in Hamburg verstorbenen Schriftstellers und Lyrikers. Falkes Stärke war stets das Hamburger Lokalkolorit, das sich in seinen Werken wiederfindet.

Die Stadt mit den goldenen Türmen

Die Stadt mit den goldenen Türmen.

Format: eBook

Die Stadt mit den goldenen Türmen.

ISBN eBook: 9783849655358

 

 

Auszug aus dem Text:

In Lübeck bin ich geboren, im Schatten von Sankt Marien. Es war in meinem achten Jahre, als sich meiner kindlichen Seele die Vaterstadt in einem unauslöschlichen Bilde einprägte, und immer leuchtender wurden mit der Zeit seine Farben, so daß es über ein bloßes Abbild meiner irdischen Geburtsstätte weit hinauswuchs und zum Symbol einer himmlischen Heimat erblühte, der mein Sehnen und Suchen galt.

Unser Hausdiener, ein kleiner, freundlicher Mann, der sich später als Gärtner selbständig machte, war ein großer Freund der Natur. Ob wir nicht einmal die Sonne aufgehen sehen möchten, fragte er eines Tages mich und meinen um ein Jahr jüngeren Bruder; das sei das Herrlichste, was man sehen könne. Und da die Mutter es erlaubte, weckte er uns am Pfingstsonntag vor Tagesanbruch und führte uns auf den Stadtwall hinauf. Uns fror, und wir zitterten an der Hand des guten Mannes, der uns mit allerlei Geschichten zu unterhalten und zu erwärmen suchte und uns von Zeit zu Zeit zum Laufen und Springen ermunterte, worauf wir denn wie zwei junge Böcklein ein paarmal auf und nieder hüpften. Auch auf den Gesang der Vögel ließ er uns lauschen, die nach und nach ihre Stimmen erhoben und den Tag einsangen. Aber alles das machte uns nicht warm, erst der Anruf: »Jetzt! Jetzt kommt sie!« ließ uns alles vergessen und richtete unsere großen Kinderaugen auf die Himmelstür, aus der die Königin in ihrem goldenen Kleide nun heraustreten sollte.

Noch lagen die Dächer und Türme der Stadt, wie auch die wenigen Masten in ihrem stillen Hafen, in einem kalten Zwielicht. Hier und da stieg schon ein Rauch aus den Schornsteinen, der uns anzeigte, daß wir nicht die einzigen Frühaufsteher waren, und uns zugleich an den Morgenkaffee erinnerte, der uns mit seinem Festkuchen noch bevorstand.

Da öffnete sich der Himmel, die hohe Fürstin war im Anzuge, und ein Saum ihres Gewandes wurde sichtbar. Wir sagten kein Wörtchen zu ihrer Begrüßung, sondern verstummten in großer Ergriffenheit. Franz aber zog uns in diesem Augenblick fester an sich, und mich will heute bedünken, als hätte er sich ebensosehr an unserer Freude als an dem himmlischen Schauspiel geweidet. Und nun trat langsam, in immer größerer Glorie, die Sonne hervor und schüttete ihre flammenden Rosen über die erwachende Stadt aus. Zuerst erglühten die schlanken Türme von St. Jakobi in einem märchenhaften Rot, aber blitzgleich folgten St. Marien und St. Ägidien und die ernsten Türme des Domes; und das schimmernde Licht lief an ihnen hernieder und über die hohen Dächer hin. Die spitzen Giebel der Häuser erglänzten, und wir suchten neben St. Marien unser väterliches Dach und waren erfreut, daß es gleichfalls wie eitel Gold funkelte; aus dem Hafen aber wiesen die Masten wie feurige Finger in den aufgetanen Himmel.

Als hätten die Vögel bisher nur zaghaft ihre kleinen Kehlen gestimmt und wollten sich jetzt mit dem himmlischen Gloria messen, hub ein vermehrtes Trillern und Flöten an; und daß auch die Büsche und Bäume in der allgemeinen Morgenmusik nicht zurückstanden, erwachte ein Säuseln und Rauschen in allen Zweigen und Kronen.

Wie nun alles so recht in heiligem Eifer war, nahm Franz uns sacht an der Hand und führte uns den grünen Wall hinab, durch lauter Morgenglanz und -klang, der harrenden Mutter wieder zu.

Als dann aber nachher von allen Türmen die Pfingstglocken ihre frommen und frohen Stimmen erschallen ließen, so daß die ganze Luft über der nunmehr erwachten Stadt von ihrem Klingen erschüttert war, wie fühlte sich da mein Gemüt, in heiliger Frühe köstlich vorbereitet, auf das innigste ergriffen!

In der Nacht aber baute sich das feurige Morgenbild noch einmal vor mir auf. Mir träumte, ich ginge in den Straßen der himmlischen Stadt spazieren, barfuß, in meinem weißen Hemdchen, alle Leute waren wie ich gekleidet, und wir wandelten fromm und friedlich miteinander in all dem Glanz umher; und von den goldenen Türmen sangen die Glocken.

Unser Vaterhaus lag so recht im Mittelpunkt der Stadt; St. Marien sandte ihm stündlich ihre nachbarlichen Grüße, und die schwarzen Giebel und Türmchen des alten, ehrwürdigen Rathauses sahen ihm in die Fenster. Es war ein altes Kaufmannshaus mit festen, breiten Mauern und schien für die Ewigkeit gebaut. Es war ein Eckhaus. Die Mutter betrieb darin mit Hilfe eines Geschäftsführers eine Manufakturwarenhandlung: Seiden-, Leinen- und Wollzeuge.

Der Vater war früh gestorben, ich erinnere mich seiner kaum. Er hatte die Seinigen in einem behäbigen Wohlstande zurückgelassen, denn er war ein tüchtiger Kaufmann gewesen, der sein Detailgeschäft zu einer respektablen Höhe gebracht und in der Handelswelt meiner Vaterstadt eine geachtete Stellung eingenommen hatte. Von seinem guten Herzen und seiner Liebe zu uns Kindern erzählte die Mutter oft genug, so daß wir wohl glauben durften, den besten Vater gehabt zu haben.

Er war in Ratzeburg geboren, wo unser Großvater die Posthalterei innehatte. Da hat er sich mit seinen sieben oder acht Brüdern in den schönen Wäldern um den See herum weidlich getummelt, im Sommer barfuß; denn es mag dem Großpapa Posthalter nicht immer leicht geworden sein, für die reichliche Nachkommenschaft Strümpfe und Stiefel in genügender Anzahl herbeizuschaffen. Es sind aber aus den Barfüßern hernach meist tüchtige, angesehene Leute geworden, von denen einige es zu leidlichem Wohlstand gebracht, wie mein Vater, andere sogar in gelehrten Berufen sich ausgezeichnet haben, so daß ich mich dieser nächsten barfüßigen Vorfahren nicht zu schämen brauche.

Lübeck war in meinen Kinderjahren eine stille Stadt, und die Straßen mit den alten, meist schmalfrontigen Giebelhäusern boten uns Raum genug für unsere Spiele.

Aber lieber noch als die Straße suchten wir unseren Hausboden auf. Unter dem schrägen Dach mit seinen roten Ziegeln, welch eine glückliche Kinderwelt baute sich hier auf! Durch die zwei oder drei kleinen, runden Fenster fiel das Tageslicht mit einem märchenhaften Glanz; von einem silbernen Staubmantel umgeben, stellte es goldene Teller auf den Fußboden, von denen die unsichtbaren Schutzgeister dieses wundersamen Reiches speisten. Waren wir im Spieleifer, so achteten wir des güldenen Gedeckes natürlich nicht, sondern sprangen mutwillig über so edles Geschirr hin und her, als wäre es nichts als ein paar Sonnenflecken; waren wir doch Buben, und stand doch unser Schlachtroß hier, ein lebensgroßes, ausgestopftes, fuchsfarbenes Füllen. Auf diesem Schaukelpferd galoppierten wir um die halbe Welt oder sprengten mit viel Geschrei in den Kampf. Ziemlich arg durften wir es schon treiben, bevor man unten im Hause etwas davon spürte. Manchmal aber erschien doch das Haupt eines Abgesandten in der Lukenöffnung, der je nach Temperament und Auftrag schalt oder bat; dann wurde die Lust ein wenig gedämpft.

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