Hann Klüth

Hann Klüth – Georg Engel

In beeindruckender Manier erzählt Engel die Geschichte des Hann Klüth, der mit seiner Familie am Greifswalder Bodden lebt. Zwischen seinen drei Brüdern, die ihren eigenen Interessen nachgehen und der Zuneigung zum Ziehkind Line entwickelt sich Hann zum Philosophen und sein Leben nimmt hier und da dramatische Wendungen.

Hann Klüth

Hann Klüth.

Format: eBook

Hann Klüth.

ISBN eBook: 9783849655150

 

 

Auszug aus dem Text:

“Mudding,” sagte der Kranke, “ich seh sie ganz deutlich. Es sind zwölf schwarze Käfer, die da auf dem Zifferblatt von der alten Uhr im Kreis laufen.”

“Ne, ne,” entgegnete die kleine Frau, und in ihre Stimme kam ein Stocken und Zittern, während sie nichtsdestoweniger unablässig an dem großen, grauen Strumpf, der schon fast bis auf die Erde herabhing, weiterstrickte. “Das is man dein Fieber. Und wenn das Fieber wiederkommt, sagte heut der Doktor, dann steht es schlimm.”

“Das kann sein,” meinte der Lotse Krischan Klüth, und das Reißen krümmte ihn in den rot und weiß gewürfelten Kissen noch etwas mehr zusammen. “Aber ich hab’ die Käfers gezählt – hör’, und nu brummt einer.”

An der schmalen Kastenuhr in der Ecke sank ein Gewicht. Es rollte dumpf.

“Sechs,” zählte die kleine Frau Klüth. Dann seufzte sie tief auf. “Ich soll wohl nun Licht anmachen?”

“Ja, ja, Mudding, es muß doch hell sein, wenn er kommt.”

“Ja, wenn er es tut,” meinte Frau Klüth bedenklich. “Denn sobald man ihn nich höflich einladet, dann kommt er nich.”

Von der roten Birkenkommode flackerte ein Talglicht auf. Der Kranke rückte sich in dem trüben Schein etwas höher im Bett zurecht und warf zuvörderst einen mißtrauischen Blick auf das Zifferblatt. Dann strich er beruhigter über die Decke. “Ja, ja – nu kriechen die verfluchtigen Biester nich mehr. Es is doch gut, wenn es hell is. – Mudding, halt mir das Licht dicht an die Finger. Mir is kalt. – So – sieh eins, wie dünn sie geworden sünd.” Er wurde wieder ungeduldig und schlug auf den Bettrand.

“Siehst du das Boot noch immer nicht?”

Die Frau trat an das kleine quadratförmige Fenster, das auf den Bodden hinausging, und schüttelte den Kopf.

Da draußen war nichts als leere, graue Fläche. Hinter ihr schrie der Lotse plötzlich auf. Die tollen Schmerzen würgten ihn bereits im Halse.

“Mudding,” gellte der Kranke.

“Lieber Gott – lieber Gott,” murmelte die hilflose Frau, ohne sich umzuwenden, und faltete die Hände. “Was soll man da tun?”

Dann wurde es wieder still. Die Uhr knarrte laut und deutlich ihren Schlag.

Inzwischen hatte der alte Klüth nach dem Stuhl gelangt, auf dem ein Stück gedrehten schwarzen Priems und ein Taschenmesser lagen. Rasch und heimlich schnitt er ein großes Stück ab und schob es in den Mund.

Doch die Frau, obwohl sie noch immer abgekehrt über die See spähte, hatte es gemerkt, als wenn sie auch im Rücken Augen besäße. “Das darfst du nicht,” verwies sie matt.

Doch ohne darauf zu achten, kaute der Lotse eine Zeitlang begierig weiter, dann spie er den Tabak wieder aus und schüttelte so mutlos das Haupt, daß die schweißnassen grauweißen Locken ihm struwlig über die Stirn fielen. – “Ne, Mudding,” stöhnte er und sank zusammen – “es wird nichts mehr. Fünfzig Jahre hab ich ihm nu gekaut. Und seit vier Tagen will’s nich mehr – kuck’ – das is ein Zeichen vom lieben Gott.”

“Ja, ja, was wollt’s nich?” nickte die kleine, ältliche Frau und faltete wieder zerknirscht die Hände. Darauf strickte sie, wie erschreckt, an dem grauen Strumpf weiter.

Dicht unter den Fenstern des Lotsenhäuschens lag zur selben Zeit eine kleine Jacht am Bollwerk angeschlossen. Sie war von oben bis unten mit Kartoffeln beladen und gehörte Johann Christian Petersen. Wenigstens stand sein Name in goldenen Buchstaben vorne an der Schiffswand. Aber der eigentliche Kapitän des Fahrzeuges war Frau Dörthe Petersen, die eben in ihrer Küchenkajüte einen Eierkuchen gebacken hatte und nun von der Steuerbordseite aus der kleinen Line, die am Bollwerk stand, ein großes Stück heraufreichte.

In der bloßen Hand. Aber das schadete nichts.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter E, Engel-Georg, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.