Hohenschwangau

Hohenschwangau – Karl Gutzkow

Gutzkows umfangreicher, historischer Roman aus dem 19. Jahrhundert ist ein von der nationalen Einheitsidee durchdrungenes Gemälde des deutschen Reformationszeitalters.

Hohenschwangau

Hohenschwangau.

Format: eBook

Hohenschwangau.

ISBN eBook: 9783849655662.

 

 

Auszug aus dem Text:

Es war im Jahre 1536, am Morgen eines schönen Sommertages. Ein lärmender Volkshaufen, der immer dichter und dichter anwuchs, drängte sich in einer der engsten Gassen der uralten Römerstadt Augusta Vindelicorum – der stolzen Pfalz römisch-deutscher Cäsaren – der Freien Reichsstadt Augsburg.

“Brecht die Pforten auf! Schafft Leitern, Stangen herbei! Schlagt sie alle tot!”

So rief die Menge wild durcheinander.

Es war ein Samstag und Markttag. Bauern hatten den Markt mit Stroh, Heu und Korn befahren, Hirten aus dem Allgäu waren durchs Haunstetter Tor mit ihren Ochsen zur Metzig gekommen oder hielten auf dem Kitzenmarkt Geißen und Lämmer feil. Einer überrannte den andern. Alles wollte in jenes Gäßlein gelangen, wo man auf einige mit starken Eisengittern versehene Fenster eines langen Gebäudes zeigte.

Das Gäßlein, wo sich der Anlaß eines Aufruhrs, der die ganze Oberstadt in Bewegung zu bringen drohte, befand, hieß seit uralten Tagen die Kötzgasse; Ketzergasse hatte man daraus seit einiger Zeit gemacht. Über die bescheidene Häuserreihe hinweg, über den Milchberg, die Kirchgasse, den nahen Afrawald, die Zwerchgasse, den stolzen Weinmarkt und den Kitzenmarkt, Räumlichkeiten, die sich alle mit teils tobenden, teils auch nur neugierigen Menschen füllten, ragte der schlanke Turm der Kirche des heiligen Ulrich empor. Benediktiner bewohnten hier ein von den Kaisern mit glänzenden Privilegien ausgestattetes Kloster. Was man nur ringsum an Gärten, Fruchtstadeln, Brauhäusern übersah, gehörte dem reichsten unter den geistlichen Stiftern Oberschwabens. Nur ein kleines Kirchlein beim Eingang in den Ring dieses fast fürstlichen Anwesens war seit einigen Jahren dem in Augsburg nunmehr fast schon herrschenden Gottesdienst der Evangelischen anheimgefallen.

Der Aufstand nahm immer mehr an Ausdehnung zu. Alles wogte und drängte, um zu erfahren, was es in der Ketzergasse gegeben habe. Mit Stöcken und Beilen schlug man an die verschlossenen Türen des Ulrichsmünsters, durch die man allein zur Klausur des Klosters gelangen konnte.

Allmählich hieß es, daß der gewaltsame Einbruch in den Klosterfrieden Aufschluß begehrte über gewisse Hilferufe, die von den Bewohnern und Nachbarn der Ketzergasse, auch von vorübergehenden, aus jenen vergitterten kleinen Fenstern der Rückseite des Klosters gehört worden sein sollten … Da sich Luthers Lehre mächtig in Augsburg verbreitet hatte, so waren beinahe sämtliche Klöster in Auflösung begriffen. Sogleich nach Luthers Anwesenheit auf dem Reichstag von 1519, der in dieser mächtigen Stadt Augsburg gehalten wurde, erklärten sich die Karmeliter von Sankt Anna, bei denen Luther gewohnt hatte, für seine Lehre. Da verließen die Mönche scharenweise ihre Klöster, die Nonnen entwichen. Nur die reichen Pfründnerinnen des Sankt Katharinenstiftes und vorzugsweise die Benediktiner von Sankt Ulrich hielten noch stand. Aber stündlich erwartete man in Augsburg, daß sich die reichen Ulrichsherren anschicken würden, mit ihren Schätzen, ihren wunderbaren, von Gold und Edelsteinen starrenden Reliquien der heiligen Afra und des heiligen Ulrich, vor allem mit ihren kaiserlichen Schutzbriefen und Privilegien die Stadt zu verlassen und entweder jenseits des nahe gelegenen Lechflusses in ihrem Haufe zu Wittelsbach, unter dem Schutze der am römischen Wesen unerschütterlich festhaltenden Bayernherzoge, oder an der Donau zu wohnen in der dem Erzhause Österreich gehörenden Grafschaft Burgau, wo es ihnen ebenfalls an stolzen Tempeln und behaglichen Klausen nicht gebrach. Die fieberhaft aufgeregte Einbildungskraft der Menge sah auch heute hinter den verschlossenen Klostermauern nur die gewaltsamen Behinderungen des Bekennens seiner freien Überzeugung, eingekerkerte Märtyrer des evangelischen Glaubens.

Da erscholl plötzlich ein wildes Frohlocken. Lachen und gellendes Pfeifen ging durcheinander. Die Menge drängte sich zu jener engen Gasse, die vom Weinmarkt zum Kitzenmarkt führt. Der Jubel erscholl von dort her. Es war die höchste Zeit, daß dem Volk sein Wille geschah, denn schon kam unter Trommelschlag vom Rathaus die Scharwache. Hell glänzten vor den neuen Fuggerhäusern die scharfen Speerzinken in der Sonne. Oft genug hatte der Vogt in dieser Zeit zum Sankt Ulrich entboten werden müssen, denn unausgesetzt gab es dort Lärm, sogar ohne die kirchlichen Wirren; denn an einem der Altäre der beiden vornehmsten Heiligen Augsburgs waltete die sogenannte “Freyung”. Verbrecher, Schuldner flüchteten zu den Söhnen des heiligen Benedikt und verhandelten, geschützt durch ein altes Asylrecht des Klosters, mit dem Blutbann, den die Stadt oder der Bischof oder ein kaiserlicher Richter übte.

Die Wache hielt jetzt in ihrem Sturmlauf inne. Ihr Führer Stoffel Sorge ließ sich schon am Ende des Salzstadels von Lachenden und Jubelnden erzählen, daß der Anlaß des Lärms nunmehr offen und ersichtlich zu Tage gekommen.

Zwei Benediktinermönche kamen, umringt vom wogenden Volksgewühl und eben aus dem Kloster entlassen, den Weinmarkt herab. Daß der eine Mönch ein geweihter Priester, der andere ein Laienbruder war, ersah man nicht am Ordenskleide, das bei beiden gleich weiß war mit dem schwarzen Skapulier darüber; wohl aber daraus, daß jener, der gebückt und beschämt daherschritt, lang und hager von Statur war, während der andere eine gedrungene und üppige Leibesfülle aufwies, ein äußeres Zeichen dienender Verrichtung trug. Denn an einer Holzkelle erkannte man den Bruder Koch des Klosters. Der Jubel über den in der Küche heute fehlenden Schöpfer der berühmten lukullischen Mahlzeiten der Benediktiner-Herren war nicht gering. Alles blickte aus den Fenstern voll Verwunderung auf diesen Aufzug hernieder. “Der Sankt-Ulrichskoch! Ein Wunder!” rief man.

Noch war es aber nicht allen möglich, den Zusammenhang der Begebenheit zu verstehen.

“Der andere ist der Bruder Kellermeister!” sagten die einen.

“Nein,” riefen die andern und deuteten auf die hagere Gestalt, “dann müßte er seinem eigenen Wein nicht trauen!”

“Ei, nicht jedem schlägt sein Futter an!” hieß es aus einem andern Kreise.

So spottete man von allen Seiten, und die Straßenjugend ergötzte sich an ihrem damaligen Lieblingsspektakel, die Messe nachzuplärren und Unfug zu treiben, wie sie auch nur einer Zeit angehören konnten, wo die jungen Leute mit der den Reichsstädten, zumal Augsburg, eigenen zügellosen Ausgelassenheit zuweilen zu Roß in die Sankt-UIrichskirche ritten und, während die Messe zelebriert wurde, um die Altäre schwenkten.

In einer Gruppe konnte man folgende Worte vernehmen:

“Ich halte die Wette, das reimt sich so: Koch und Kellner haben sich in den Haaren gelegen, nicht um Wittenberg oder Rom, sondern um den Küchenzettel auf nächste Woche. Denn für morgen, Trinitatis, schon nicht mehr! Dafür ist drin schon alles mit Brozzeln und Schmoren im Gang. Aber für nächste Woche hat’s noch kein’ Einigkeit, und auch nicht jede Speise verträgt jeden Wein und nicht jeder Wein schmeckt auf jede Speise. Fleisch z.B., das die Bendixtiner von Sankt Ulrich in aller Wege erst seit zwölf Jahren essen dürfen –”

Den Sprecher unterbrach ein allgemeiner Spottjubel. Die Benediktiner kein Fleisch essen? Die wohlgenährten Patres ohne ihr tägliches Augsburger “Brätle”? Kannte nicht auch jedes Augsburger Stadtkind das vorzüglichste aller Wunder, die sich an des heiligen Ulrich tatenreiches, selbst auf dem Schlachtfeld gegen die Hunnen geprüftes Leben knüpften? Der heilige Ritter, ehe er ein Geistlicher geworden, hatte an einem Freitag Fleisch gegessen. Ob aus Vergeßlichkeit oder infolge eines Rückfalls in die angeborene adamitische Natur wird nicht gesagt. Als ihn seine Feinde wegen Übertretung des Fastengebots verklagt hatten und eben zu seiner Überführung die Schüssel aufdecken wollten – siehe, da rettete Gott seinen Liebling, den er zum Heiligen bestimmt hatte! Beschämt mußten die Neider seines Ruhmes niederblicken. Denn Gott hatte ein Wunder vollbracht. Aus dem Rest des Brätle, der unter dem Deckel der Schüssel lag, waren Fischgräten geworden. Die Fastengesetze hatte der Heilige nicht verletzt.

Diese lehrreiche Aufklärung wurde von einem schlichten Bürger gegeben.

Als die sich ihm Anschließenden weiter gefolgt waren, blieb eine Gruppe von Männern zurück.

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