Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther – Johannes Chrysostomos

Die beiden Briefe, die an die christliche Gemeinde in Korinth gerichtet waren, sind zusammen mit dem Römerbrief die längsten der paulinischen Episteln. Sie sind von einzigartigem Interesse und besitzen einen besonderen Wert, was auf die enge Bekanntschaft des Apostels mit den Mitgliedern der angesprochenen Gemeinde und deren Umständen zurückzuführen ist. Infolge dieses intimen Charakters bietet der Erste Korintherbrief ein in Fülle und Farbe unerreichtes Bild des Lebens einer paulinischen Gemeinde, während der Zweite Brief, der aus einer starken Emotion heraus geschrieben wurde, eine Offenbarung der innersten Gefühle und des charakteristischen Temperaments des Paulus selbst gibt, wie sie nirgendwo sonst zu finden ist. Da sich beide Briefe mit konkreten Problemen der Moral und mit solchen Tendenzen des Denkens und Lebens befassen, die in allen Zeiten ihre Parallele finden, sind sie voller Belehrungen für die moderne Kirche; und diese Belehrungen werden umso wirksamer, je besser wir die antiken Denkweisen in ihrer Verschiedenheit von den unseren verstehen.

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther.

Format: eBook/Taschenbuch

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

ISBN eBook: 9783849660215

ISBN Taschenbuch: 9783849668099

 

Auszug aus dem Text:

 

Erste Homilie.

I.

 Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, an die Kirche Gottes in Korinth und an die Heiligen alle in ganz Achaja. Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes, der uns tröstet in all unserer Drangsal: auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängnis sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.

Zuerst ziemt sich die Frage nach den Gründen, aus welchen der Apostel einen zweiten Brief an die Korinther zu dem ersten fügt, und was ihn bewegt, den Ausgang zu nehmen von den Erbarmungen Gottes und dem Troste.  Was ist also die Veranlassung des zweiten Schreibens? Im ersten Briefe hatte Paulus angekündigt: “Ich werde zu euch kommen und kennen lernen nicht das Wort der Aufgeblasenen, sondern die Kraft.” Und am Ende des Schreibens hatte er das Versprechen wiederholt mit den milderen Worten: “Ich werde zu euch kommen, wenn ich Macedonien durchwandert habe; denn über Macedonien will ich gehen; bei euch aber werde ich vielleicht verweilen oder sogar den Winter zubringen.” Inzwischen war nun eine lange Zeit vergangen, ohne daß der Apostel gekommen war; ja trotz des Umflusses der bestimmten zeit ließ er noch immer auf sich warten; denn der göttliche Geist hielt ihn bei andern Arbeiten zurück, die noch weit dringender waren. Daher die Notwendigkeit eines zweiten Schreibens, dessen es bei nur geringer Verspätung nicht bedurft hätte. Doch ist das nicht der einzige Grund. Der erste Brief hatte bessernd auf die Korinther gewirkt. Sie hatten nämlich jenen Unzüchtigen, der vorher in Zunft und Ehre bei ihnen stand, aus Verkehr und Gemeinskchaft gänzlich ausgeschlossen. Das sagen uns die Worte: “Wenn jemand betrübt hat, so hat er nicht mich (allein) betrübt, sondern einigermaßen, damit ich (ihn) nicht beschwere, euch alle. Genug ist für den Mann diese Strafe, die von der Mehrheit ist auferlegt.” Und im Verlauf des Schreibens kommt er nochmals auf diesen Gegenstand zurück. “Denn siehe,” sagt er, “gerade Dieses, daß ihr gottgemäß betrübt wurdet, welche Regsamkeit hat es in euch bewirkt, welche Entschuldigung, welchen Unwillen, ja Furcht und Sehnsucht, ja Eifer und Strafnahme! In Allem habt ihr euch ausgewiesen, daß ihr rein seid in dieser Sache.” Auch waren sie an die anbefohlene Sammlung milder Gaben mit großem Eifer gegangen. Das heben rühmend die Worte hervor: “Ich kenne eure Bereitwilligkeit, wegen  deren ich mich eurer rühme bei den Macedoniern, daß nemlich Achaja mit den Gaben schon in Bereitschaft ist seit dem vorigen Jahre.” Endlich hatte Titus, vom Apostel gesendet, in Korinth die herzlichste Aufnahme gefunden. Das anerkennt der Apostel, wenn er sagt: “Sein Innerstes ist euch jetzt noch mehr zugethan, da er sich vergegenwärtigt die Willfähigkeit von euch allen, wie mit Furcht und Zittern ihr ihn habt aufgenommen.”

 

II.

So war denn Timotheus wieder zu seinem Lehrer gekommen und hatte in Gemeinschaft mit ihm die Angelegenheiten in Asien geordnet: denn „ich werde in Ephesus bleiben bis Pfingsten“1 hatte Paulus geschrieben. Dann waren sie mit einander nach Macedonien gegangen, und so finden wir jetzt diese Zusammenstellung leicht begreiflich. Denn dieser zweite Brief ist aus Macedonien, während der erste aus Asien kam. Diese Gleichstellung ist eine hohe Ehre für den Jünger und zeigt die tiefe Demuth des Meisters. Wohl war zwischen Beiden ein großer Abstand, aber die Liebe verbindet Alles. Und so stellt er überall den Timotheus als sich ebenbürtig dar. Bald sagt er: „Wie dem Vater das Kind, so hat er mit mir gedient,“2 und bald: „Das Werk des Herrn wirkt er wie auch ich.“3 Hier nennt er ihn auch „Bruder“, um ihn auf alle Weise den Korinthern ehrwürdig zu machen. Denn derselbe war bereits, wie bemerkt, in Korinth gewesen und hatte Proben seiner Tüchtigkeit gegeben. — „An die Kirche Gottes in Korinth.“ Wiederum (wie im ersten Briefe) nennt er sie Kirche, gläubige Gemeinde, denn er will Alle zusammenschließen und zur Einheit verbinden. Denn wo Spaltung und Zwietracht unter den Gliedern herrscht, da kann nicht von einer Gemeinde die Rede sein. — „Sammt den Heiligen allen in ganz Achaja.“ Damit ehrt er zugleich die Korinther, indem er im Briefe an sie Alle grüßt, und umschließt das ganze Volk mit einem gemeinsamen Bande. „Heilige“ nennt er sie zum Zeichen, daß, wer etwa unrein ist, keinen Theil hat an diesem Gruße. Was mag ihn aber veranlassen, gegen die sonst übliche Weise den Brief an die Mutterkirche für Alle in Achaja gelten zu lassen? Es gilt ja der Brief an die Thessaloniker nicht auch für Macedonien, das Schreiben an die Ephesier schließt nicht das gesammte Asien ein, der Brief an die Römer ist nicht auch an die Bewohner Italiens gerichtet. Nur hier finden wir diese allgemeine Geltung und im Briefe an die Galater; denn auch der wendet sich nicht an die eine oder andere Stadt, sondern an die Gläubigen alle in jenem Lande. So lautet nämlich der Eingang: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, und die bei mir sind alle die Brüder, an die Kirchen Galatiens. Gnade euch und Friede!“4 Und auch an die Hebräer in ihrer Gesammtheit richtete er einen Brief, ohne sie nach Städten zu unterscheiden. Warum nun bei diesen eine Ausnahme? Ich glaube, der Grund liegt in der Allgemeinheit der Gebrechen; der Brief gilt darum für Alle, weil Alle der Belehrung bedurften. So zeigten sich bei allen Galatern die gleichen Schäden, so bei allen Hebräern, so wohl auch bei den Bewohnern Achajas. Darum wendet sich der Apostel an das ganze Volk und begrüßt sie alle mit dem üblichen Segenswunsche: „Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus!“ Und jetzt höre, wie prächtig zu dem Gegenstande, den er behandeln will, der Eingang paßt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes.“ Aber wie, sagst du, soll denn Das gar so gut passen? Ganz vortrefflich, sage ich. Erwäge nur! Es betrübte und beunruhigte die Korinther in hohem Grade das lange Fernbleiben des Apostels. Er hatte ja versprochen, zu kommen, und jetzt hatte er die ganze Zeit in Macedonien hingebracht. Andere, mußten sie glauben, gelten mehr als wir. Um nun dieser Unruhe zu begegnen, will er den Grund angeben, warum er nicht kommen konnte. Doch legt er den Grund nicht einfach dar, er sagt nicht etwa: Ich weiß, daß ich versprochen habe, zu kommen, aber schwere Drangsale haben mich gehindert; so seid denn nachsichtig und zeihet mich nicht eines  stolzen oder wandelbaren Sinnes! Die Weise, wie er es angeht, hat etwas mehr Feierliches und Überzeugendes. Denn der Hinweis auf den göttlichen Trost verlegt die Sache auf ein höheres Gebiet und schneidet jede weitere Frage nach der Ursache der Verspätung ab. Der Apostel macht es wie etwa ein Freund, der versprochen hat, zum Freunde zu kommen, und endlich nach einer Unzahl von Gefahren wirklich kommt und also anfängt: Dank sei dir, o Gott, daß ich das liebe Antlitz noch einmal schaue; gepriesen seist du, Gott, der aus solchen Gefahren mir herausgeholfen! Eine solche Lobpreisung wird zur Rechtfertigung und verschließt jedem Tadel über das lange Säumen den Mund. Denn schämen müßte sich ja der Freund, mit dem Freunde, der für die Rettung aus so großen Übeln Gott dankt, zu rechten und Antwort für das späte Kommen zu verlangen. Darum beginnt auch Paulus also: „Gepriesen sei der Gott der Erbarmungen,“ um mit diesen Worten die schweren Gefahren anzudeuten, in die er hineingerathen, und aus denen Gott ihm herausgeholfen. So wählt auch David für den Herrn nach der Verschiedenheit der Gnadenerweisungen verschiedene Benennungen. Spricht er von Kampf und Sieg, so sagt er: „Herzlich lieb’ ich dich, du meine Stärke; der Herr ist mein Schirmer.“5 Redet er von der Befreiung aus Drangsal und aus dem Dunkel, das ihn umfangen, so heißt es: „Der Herr ist mein Licht und mein Retter.“6 Und so wählt er die Bezeichnung bald von der Güte und Milde Gottes, bald von der Heiligkeit, bald von der unbestechlichen Gerechtigkeit, entsprechend der Lage, in der er eben betet. So nimmt denn auch Paulus hier die Benennung von der erbarmenden Güte. „Der Gott der Erbarmungen“ sagt er, der Gott, welcher gegen uns solches Erbarmen erwiesen, daß er hart von den Schwellen des Todes weg uns heraufgeführt hat zu neuem Leben.

 

 

III.

Solches Erbarmen ist eine ganz besondere und ausnehmende Eigenschaft Gottes, mit seinem Wesen unzertrennlich verbunden. Darum nennt er ihn: „Gott der Erbarmungen.“ Und wie groß steht wieder vor uns die Demuth des Apostels! Denn obschon seine Gefahren im Dienste des Evangeliums waren, so schreibt er doch die Rettung nicht der eigenen Würdigkeit zu, sondern den Erbarmungen Gottes. Doch darüber ausführlicher in der Folge. Für jetzt fährt er fort: „der uns tröstet in all unserer Drangsal.“ Es heißt nicht: der uns vor Bedrängniß bewahrt, sondern: „der in der Drangsal uns tröstet.“ Auf diese Weise offenbart sich die göttliche Macht und mehrt sich in den Bedrängten die Geduld. Denn „die Bedrängniß wirkt Geduld“.7 So sagt auch der Prophet: „In der Drangsal hast du Weite mir gemacht.“8 Er sagt nicht: Du hast mich nicht in Drangsal gerathen lassen; nicht: Du hast die Drangsal schnell vorübergehen lassen; sondern: Während der Dauer der Drangsal hast du Weite mir gemacht, das heißt weiten Raum mir bereitet und große Erquickung. So sehen wir es auch bei den drei Jünglingen. Gott ließ es zu, daß sie in den Feuerofen sanken; es loderten die Flammen; aber mitten in den Gluten hat er kühle Stätte ihnen bereitet.

So pflegt Gott immer zu verfahren. Das meint Paulus, wenn er sagt: „Der uns tröstet in jeglicher Drangsal.“ Aber noch etwas Anderes will er mit diesen Worten zeigen. Und was ist Dieses? Daß nämlich Gott nicht das eine oder andere Mal, sondern immerfort tröstet. Denn nicht gewährt Gott bald Trost und läßt er bald (ohne Trost) gehen, sondern immer und ohne Unterbrechung währt der Trost. Darum sagt Paulus: „der uns tröstet,“ nicht: der uns getröstet hat; darum sagt er: „in jeglicher Drangsal,“ nicht: in der einen oder andern. — „Auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängniß sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.“ Siehst du, wie er seine Rechtfertigung einleitet und dem Hörer den Gedanken an eine große Drangsal nahe legt? Und wie bescheiden weiß er wieder sich auszudrücken! Diese Erbarmung, sagt er, ist uns geworden, nicht weil wir es verdient haben, sondern zum Heil und Segen für Andere. Gott hat uns getröstet, damit wir Andere trösten. Wie groß steht doch das Bild der Apostel vor unseren Augen! Da sehen wir nach Trost und Linderung kein schlaffes Hinsinken wie bei uns, sondern alsbald neues Erheben, um in Anderen Kraft und Muth zu stärken. — Manche erklären diese Stelle auch so: In unserem Troste fühlen sich auch Andere getröstet. — Dieser Eingang hat, wie mir dünkt, auch den Nebenzweck, die falschen Apostel zu treffen mit ihrem nichtigen Rühmen und ihrem gemächlichen, genußsüchtigen Leben. Doch bleibt die eigentliche Absicht die Rechtfertigung wegen der langen Verzögerung. Denn wenn wir, sagt er, aus dem Grunde getröstet werden, um wieder Andere zu trösten, was wollt ihr mein Ausbleiben tadeln? Die ganze Zeit mußte ich ja damit hinbringen, mich der Nachstellungen, der Angriffe, der Schrecken zu erwehren, die auf mich eindrangen.

5. Denn so, wie überreichlich sind die Leiden Christi in uns, so ist auch überreichlich durch Christus unser Trost.

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