Josa Gerth

Josa Gerth – Max Dauthendey

Der impressionistische Roman “Josa Gerth” ist das Erstlingswerk des Autors. Dauthendey ist einer der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus in Deutschland.

Josa Gerth

Josa Gerth.

Format: eBook

Josa Gerth.

ISBN eBook: 9783849655037

 

 

Auszug aus dem Text:

Tränen – Tränen im Frühling! Das Licht steht still und horcht, und die Lüfte halten den Atem an und lauschen, und alles starrt auf das schluchzende Kind.

Seine Arme umschlingen den Baum. Sie pressen ihn fest. So fest, daß das Blut stockt, die Adern schwellen, und dann zittert und glüht das junge Herz.

Die Einsamkeit sieht es groß und ernst an:

»Warum weinst du, Mädchen?«

Das Schweigen saugt ihm die Tränen von den Wimpern:

»Warum weinst du, Mädchen?«

Niemand weiß es. Niemand sagt es ihr.

Kein Leid, kein Schmerz ätzt ihre Seele. Und doch diese Tränen, dies Schluchzen.

Der Himmel ist blank und leuchtend. Das Sonnengold jauchzt. Licht und Klarheit wogen trunken im blendenden Äther.

Aber die Erde liegt noch im Frühlingsdämmern. Aus ihrer Brust quillt der Atem, leise zögernd, aber berauschend, kraftschwellend in gärender Macht, die junges, zündendes Blut durch winterschlaffe Adern treibt.

Das Licht zerschlägt schäumend die Wolken. Stürzt rauschend nieder. Küßt ihre Lippen. Küßt sie heiß, stürmisch. – Da schlägt die Erde die Augen auf.

Sie lacht nicht. Sie seufzt nicht. Sie ruht ganz, ganz still, gelähmt von der Starre des keimenden Erwachens. Die Gedanken, den trägen, warmen Schlaf in den Gliedern, stehen erst an der Schwelle des Bewußtseins. Unschlüssig, halb wachend, halb träumend, mit taumelndem Blick zum Lichte wankend. Das alles sah das Kind.

Aber nicht wie man Farben und Formen und Linien mit dem Augstrahl umklammert; auch nicht wie Träume, die man betastet; viel, viel näher. Tief im Herzschlag, mit dem Kern des warmen Pochens in eins verschmolzen und doch ein anderes und unfaßbar.

Es sah die Erwartung, die überall dem Lichte die Arme entgegenbreitete. Fühlte die Unbefriedigung der Natur. Die schmerzende Öde der matten und kargen Töne ringsum. Die hungernde Leere, in der jener Sonnenstrahl viel heftiger brannte, all dies gierige Mühen, Wärme, Kraft, Leben einzusaugen, um es in Farbe, Duft und Blüte wieder auszustrahlen.

Das alles sah das Kind, alles das pochte in seinem Herzschlag.

Und da seufzten die Augen, und gruben sich in die Helle und durchwühlten die aschfarbene Leere.

Wollten keine Farben blühen? kein Duft? keine Klänge?

Doch die Leere blieb leer und stemmte sich unerbittlich gegen das Sehnen, zerfleischte die Kinderbrust und zerschlug den Glanz der Augen in Tränensplitter.

…..

 

 

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