Matthias Bichler

Matthias Bichler – Lena Christ

Der abenteuerliche Lebenslauf eines kleinen Holzschnitzers.

Matthias Bichler

Matthias Bichler.

Format: eBook

Matthias Bichler.

ISBN eBook: 9783849654962

 

 

Auszug aus dem Text:

Meine Kostmutter hat mir gesagt, daß ich am vierten Sonntag nach der Erscheinung des Herrn, also gerade an dem Tag auf die Welt gekommen bin, da in Sonnenreuth der erste Viehmarkt im Jahr ist.

Wer meine Mutter ist, hat sie gesagt, das weiß sie nicht; und von meinem Vater hat sie bis auf den heutigen Tag nichts gesehen. Ich auch nicht; und ich glaube fast, daß es wahr ist, was die alte Irscherin, die Waldhex, gesagt hat: nämlich, daß ich ein Wechselbalg bin, bei dem die Truden und Unhold Gevatter gestanden sind.

Das aber ist einmal gewiß: Ich bin an dem obgemeldeten Tag auf d’ Nacht nach dem Gebetläuten vor der Haustür der alten Weidhoferin gelegen und habe durch mein jämmerliches Wimmern die Leut erschreckt. Denn wie der Weidhofer, der Meßmer von Sonnenreuth, vom Gebetläuten heimkommt und zu der Haustür hineinwill, liegt was am Boden. Er stößt mit dem Fuß daran hin, da fängt es an zu wimmern. Der Weidhofer macht’s Kreuz; dann aber hebt er das Päcklein auf und trägt’s hinein in die Stuben.

Und wie sie den ganzen Haderlumpen auseinandergewickelt haben und haben geschaut, da war’s ich.

Und auf einem Zettel ist es gestanden: daß ich heut nacht zur Welt gekommen und noch nicht getauft bin, und daß die Gemeinde schon für mich zahlen wird.

Da hat die Meßmerin gesagt: »In Gott’s Nam; zieht man’n halt auf, den Wurm!«

Und sie hat mich am andern Tag aus der Tauf gehoben und hat mir eine Wiegen in ihre Schlafkammer gestellt und an ihre Bettstatt gerückt.

Und einen Namen hat sie mir gegeben, nach ihrem Sinn und Stand, und ich heiße: Mathias Bichler, der Weidhoferbalg. Denn da man keinen Vater noch eine Mutter gewußt hat, die mir hätten ihren Namen geben können, so hat halt die alte Weidhoferin den ihrigen hineingesetzt ins Taufbuch und hat gemeint: »Alt ist er und gut auch, und er wird schon auskommen damit und vielleicht einmal ein rechtschaffener Bauer werden, wie der alte Bichler, Gott hab ihn selig, einer gewesen.«

Aber es ist wohl ein wenig anders gekommen; und ich habe schon von klein auf zu allem andern mehr Lust und Geschick gezeigt als zu einem Bauern.

Auch bin ich nicht, wie andere Bauernkinder, stundenlang auf dem Stubenboden oder im Hausflöz gehockt, zufrieden, wenn man mir einen leinenen Schnuller in den Mund steckte und den Stiefelzieher auf den Schoß legte als Spielzeug. Ich begann vielmehr, kaum ich ein vier, fünf Jährlein alt und Herr über den Gebrauch meiner Glieder geworden war, allerlei Wünsche und Neigungen zu betätigen, die wenig zu einem genügsamen und geraden Bauernwesen paßten.

Am liebsten schlich ich mich in die Künigkammer, die beste Stube des Hauses, in der seit Menschengedenken aller Prunk und Glanz des Weidhofs angehäuft wurde.

Da wühlte ich in den Truhen und Schränken, behängte mich mit seidenen und blumendurchwirkten Tüchern, silbernen Ketten und schimmernden Flachszöpfen, setzte die alte, hohe Pelzhaube des seligen Weidhoferahnls auf und stellte mich so herausgeputzt vor den Spiegel des Glaskastens und betrachtete und beschaute mit viel Ergötzen meine Herrlichkeit. Sodann kletterte ich auf Tisch und Stuhl, nahm die alten, vergoldeten Heiligenbilder von den Wänden, lehnte sie der Reihe nach rings um die Ofenbank und begann, vor diesen auserlesenen Zuschauern die wunderlichsten Tänze und Sprünge auszuführen.

Oder ich trieb mich auf dem Dachboden herum und trug dort alles zusammen, dessen ich irgendwie habhaft werden konnte: Decken, Schüsseln, Messer, Mausfallen, Weichbrunnkrügl, Gebetbücher; ja sogar das Vogelhaus samt dem Hansl und die Blumenstöcke vom Söller schleppte ich dahin.

Dabei hatten alle diese Dinge in meinen Spielen ihre Bestimmung; sei es nun, daß der Vogelkäfig zum Weidhof und die Blumenstöcke zum Obstgarten wurden, oder daß aus den Gebetbüchern ein ganzes Bauerndorf erstand, indem ich sie halb geöffnet auf den Boden stellte, die Messer als Bewohner dieses stillen Orts in die Ritzen des Fußbodens steckte, während ich den Käfig bald zur Kirche, bald zur Schule machte und der flatternde, kreischende Vogel bald zum Schulmeister, Pfarrer oder gar Herrgott erhöht wurde.

Rings um dieses Dorf hing ich dann die Decken über altes Gerümpel und nannte sie das Gebirge, während ich in die Schüsseln von den Bergen aus Quellen, Teiche oder gar Seen erschuf, welche Tat mir freilich einmal eine Tracht Prügel eintrug, als der Weidhofer, der schon überall nach mir gesucht hatte, mich, als ich eben regnen ließ, in dieser seltsamen Gegend fand.

Nun hat mir einmal der Bürgermeister im Zorn darüber, daß ich in seinem Garten die schönsten Frauenbirnen vom Baum gebrockt und in den eigenen Sack gesteckt hab, nachgeschrien, daß ich ein Zigeunerbalg und von teuflischen Gauklern sei.

Auch sonst wies allerlei darauf hin, daß ich kein Bauernblut im Leib gehabt, vielmehr ein loser Vogel und von abenteuerlichem Wesen war, auch jede Kameradschaft mit andern Kindern meines Alters vermied und mich, weiß Gott wo, herumtrieb, daher meine Ziehmutter auch viele Kümmernisse mit mir ausstand.

Sie war ein ruhiges und gottesfürchtiges Weib und hatte das Haus voll Kinder, ohne selber jemals eins geboren zu haben. Es waren lauter fremde, die sie um ein Vergeltsgott und etliche Kreuzer Kostgeld aufzog. Sie fragte nie lange, woher oder von welchen Leuten so ein Wurm kam; mit gutem Herzen nahm sie ihn in die Arme und war ihm eine rechte Mutter.

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