Meine Dramen, Band 1

Meine Dramen, Band 1 – Hugo von Hofmannsthal

Hofmannsthal gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten des deutschsprachigen Fin de siècle und der Wiener Moderne. In diesem Band finden sich Dramen wie “Der Tod des Tizian”, “Der Tor und der Tod”, “Elektra”, “Alkestis” u.a.

Meine Dramen, Band 1

Meine Dramen, Band 1.

Format: eBook

Meine Dramen, Band 1.

ISBN eBook: 9783849655969.

 

 

Auszug aus “Der Tor und der Tod”:

 

CLAUDIO allein. Er sitzt am Fenster. Abendsonne.

Die letzten Berge liegen nun im Glanz,

In feuchten Schmelz durchsonnter Luft gewandet,

Es schwebt ein Alabasterwolkenkranz

Zuhöchst, mit grauen Schatten, goldumrandet:

So malen Meister von den frühen Tagen

Die Wolken, welche die Madonna tragen.

Am Abhang liegen blaue Wolkenschatten,

Der Bergesschatten füllt das weite Tal

Und dämpft zu grauem Grün und Glanz der Matten;

Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.

Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,

Die dort auf weiten Halden einsam wohnen

Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,

Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.

Der wundervolle wilde Morgenwind,

Der nackten Fußes läuft im Heidenduft,

Der weckt sie auf; die wilden Bienen sind

Um sie und Gottes helle, heiße Luft.

Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte

In allen ihren Wünschen quillt Natur,

Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte

Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.

Jetzt rückt der goldne Ball, und er versinkt

In fernster Meere grünlichem Kristall;

Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,

Jetzt atmet roter Rauch, ein Glutenwall

Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,

Die mit Najadenarmen, flutenttaucht,

In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,

Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.

Sie gleiten über ferne, wunderschwere,

Verschwiegne Flut, die nie ein Kiel geteilt,

Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,

Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.

So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet

Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,

Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,

Wird alles öd, verletzender und trüber;

Es scheint mein ganzes so versäumtes Leben,

Verlorne Lust und nie geweinte Tränen,

Um diese Gassen, dieses Haus zu weben

Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.

Am Fenster stehend.

Jetzt zünden sie die Lichter an und haben

In engen Wänden eine dumpfe Welt

Mit allen Rausch- und Tränengaben

Und was noch sonst ein Herz gefangenhält.

Sie sind einander herzlich nah

Und härmen sich um einen, der entfernt;

Und wenn wohl einem Leid geschah,

So trösten sie … ich habe Trösten nie gelernt.

Sie können sich mit einfachen Worten,

Was nötig zum Weinen und Lachen, sagen.

Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten

Mit blutigen Fingern schlagen.

Was weiß denn ich vom Menschenleben?

Bin freilich scheinbar drin gestanden,

Aber ich hab es höchstens verstanden,

Konnte mich nie darein verweben.

Hab mich niemals daran verloren.

Wo andre nehmen, andre geben,

Blieb ich beiseit, im Innern stummgeboren.

Ich hab von allen lieben Lippen

Den wahren Trank des Lebens nie gesogen,

Bin nie, von wahrem Schmerz durchschüttert,

Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.

Wenn ich von guten Gaben der Natur

Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,

So nannte ihn mein überwacher Sinn,

Unfähig des Vergessens, grell beim Namen.

Und wie dann tausende Vergleiche kamen,

War das Vertrauen, war das Glück dahin.

Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen

Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!

Wie wollte ich an meine Brust es pressen,

Wie hätt ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt:

Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt,

Und Unbehagen kam an Schmerzes Statt …

…..

 

 

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