Meine Madonna

Meine Madonna – Heinrich Hansjakob

Die weitestgehend autobiographische Erzählung hat Hansjakobs immerwährende Suche nach den Wurzeln seiner Familie zum Thema. Hansjakob gehört zu den bekanntesten Schriftstellern aus dem Schwarzwald.

Meine Madonna

Meine Madonna.

Format: eBook

Meine Madonna.

ISBN eBook: 9783849655815.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Es ist ein trüber, aber warmer Novembertag des Jahres 1901, da ich, in der Karthause am Fenster sitzend, hinausschaue ins herbstliche Dreisamtal. Graue Nebel haben den Wald in einen dichten Schleier eingehüllt. Auf den Matten am Flusse hin blühen die letzten Herbstzeitlosen. Kein Windhauch geht durch die Bäume und kein Menschenkind über die Straße unten im Tal.

Ueberall Bilder des Spätherbstes und Vorboten des Winters. In mir selbst ist längst Winter, Winter des Lebens und Winter der Lebensfreude. Mir blühen nicht einmal mehr Herbstzeitlosen, und Nebel legen sich über meine Seele, nicht wie die duftigen Schleier in der Natur, sondern wie kalter Reif. Die Zukunft heißt Tod – Tod für die Natur. Tod für mich.

»Schau in die Vergangenheit, wenn dir Gegenwart und Zukunft so trübe sind,« also sprach in mir an diesem Tage mein Geist und fuhr fort: »Setze dich jetzt vor deine Madonna und laß dir von ihr erzählen aus der Vergangenheit, auf daß du vergissest die Gegenwart und die Zukunft.«

Ich folgte diesem Rat. Der Kleine ging mir helfend zur Seite, und schnell hatten wir uns in Rapport gesetzt mit dem gotischen Madonnabild, das in goldenem Mantel und rotem Kleide seit vierzehn Tagen in meinem »Salon« stand.

Ich lauschte aufmerksam, und bald waren Herbst und Winter in und außer mir vergessen, denn das Bild erzählte aus dem Lande meines Jugendglücks, aus dem Paradiese meiner Knabenzeit.

Ich bin, also hub es zu reden an, eine Holzmadonna, nicht wie alle andern aus Lindenholz, sondern aus Buchenholz, das bekanntlich ob seiner Sprödigkeit von Bildhauern sonst nie bearbeitet wird.

Wie die Aeste eines Baumes seine Arme und das Laub dessen Haare sind, so war ich der Rumpf einer Buche, die am sonnigen Rande des »Urwalds« von Hasle stand.

Die Sicht auf Städtle und Tal und Fluß, welche ich von meinem Standort aus genoß, werde ich nie vergessen. Und du wirst als »Haslemer« das begreifen. Du kennst jenen Blick vom »roten Kreuz« aus und bist gewiß oft entzückt dort oben gestanden, wo ich schon lange stand, ehe dein Großvater, der Eselsbeck, auf der Welt war.

Hier lernte ich die ersten Haslacher kennen, da sie unmittelbar vor meinen Augen ihre Bergfelder bebauten. Im Frühjahr säeten und setzten sie, und im Sommer und Herbst ernteten sie ihre Halm- und Hülsenfrüchte. Erdäpfel gab es damals noch keine im Kinzigtal.

Wenn die Leute von ihrer Arbeit rasteten, setzten sie sich mir zu Füßen, holten aus einer Quelle, die drüben in einem stillen Grunde rieselte, einen Trunk Wasser, aßen Brot dazu und sprachen von Leid und Freud, wie sie das Leben im Städtle drunten mit sich brachte.

Ich war nie allein an meinem sonnigen Waldrand auf der Höhe. Waren keine erwachsenen Menschen da, so kam die Jugend. Im Herbst hüteten die Knaben drüben im grünen Grunde und sangen bei Wies’ und Quelle ihre Hirtenlieder. Wenn dann der Reif sie heimtrieb ihrer Tiere wegen, kamen die Kinder erst recht zu mir. In hellen Scharen zogen sie den Berg herauf und suchten im Laub die Buchnüsse, die ich und meine Gefährtinnen samt dem goldenen Laub hatten fallen lassen.

Und wenn endlich der Winter ins Land gezogen war und sein Leichentuch ausgebreitet hatte über Berg und Tal, wenn die Tannen ächzten unter der Schneelast und die Kristalle auf der Schneedecke glänzten im Sonnenlicht, da keuchten die Knaben abermals den Berg herauf mit ihren Handschlitten und fuhren mit Windeseile zu Tal.

So fand ich meine Freude und meine Unterhaltung bei euch Menschen, groß und klein, zu allen Zeiten des Jahres, und ich glaubte, es gäbe nichts Schöneres, als ein Mensch sein und friedlich seinen Acker bauen, sein Vieh hüten, Buchnüsse lesen und Schlitten fahren zu können.

Eines Tages nun, es war im Frühjahr des Jahres 1755, sollte meine Freude arg getrübt werden.

Es war ein heller, lichter Märzentag; die Sonne hatte den Reif längst weggeküßt von den Feldern zu meinen Füßen. Die Knechte des Sonnenwirts Fideli Fackler hatten Haber gesäet und rasteten eben bei Schnaps und Schwarzbrot am Waldrande. Zu ihnen trat, aus dem Walde kommend, der städtische Waldhüter oder, wie er damals hieß, der Förster – Balthasar Mauser.

Der »Balzer«, wie er im Volksmunde genannt wurde, war trotz seines stolzen Förstertitels ein armer Burger, der alljährlich in seinem Amte bestätigt werden mußte. Schuhmacher seines Gewerbes, konnte er das Sitzen nicht wohl ertragen und hatte sich vor Jahren schon um die Försterstelle gemeldet und sie erhalten.

Bei der im Jänner eines jeden Jahres vorgenommenen Aemterbesetzung durch den Stadtrat ward sie dem Balthasar Mauser jeweils aufs neue übertragen worden mit dem Beisatz, »er solle sich auch dieses Jahr wieder fleißig und getreu einstellen.«

Sein Lohn waren zehn Gulden und vier Klafter Holz. Bei solchem Lohn blieb der Balzer auch als Förster das, was er vorher war – ein armer Mann. Drum nahm er an jenem Morgen die Einladung der Knechte zu einem Schluck Schnaps und einem Stück Schwarzbrot gerne an.

Während nun die drei so beisammen saßen, kam ein junger Mann den Hohlweg herauf. Bei seinem Anblick meinte der Waldhüter: »Das ist der junge Briemel. Was mag der wollen? Er hat doch keine Felder da oben!«

Eigentlich hieß der Ankömmling nicht Briemel, sondern Hansjakob; aber sein Vater, der ein Weber und Krempler war, hatte seine Kremplerei mit Eiern, Butter, Mehl, Bohnen und andern Hülsenfrüchten von den Erben des Hans Briemel, der auch ein Weber gewesen war, gekauft und damit, wie es im Volksmund üblich war, auch dessen Namen übernommen. Denn beim Briemel kauften die ärmeren Leute von Hasle ihre Eier, ihren Butter, ihr Habermehl, ihre Nüsse viele Jahre lang; darum hieß eben der Hansjörg Hansjakob, als er den alten Briemel ablöste, auch so. Und sein Sohn blieb der junge Briemel, bis er ein ander Geschäft begann, als Bäcker sich auftat und dann nach seinem Vornamen Tobias genannt wurde der »Becke-Toweis«.

»Was suchst du da oben, Toweis?« rief der Waldhüter dem jungen Mann zu, als dieser den Hohlweg überwunden hatte und nun vor den Frühstückenden stand.

»Ihr kommt mir g’rad recht, Balzer,« gab der Toweis zurück. »Ihr wißt, daß ich in der »vorderen Gasse« ein Bäckerhaus gekauft habe und mich zünftig niederlassen will. Ich bin nun dran, meine Backstube neu einzurichten, und such’ eine glatte, schöne Buche zu einer Backmulde. Da kann mir aber niemand besser Auskunft geben als der Förster. Mein Vetter, der Färber und Waldmeister, hat mir gesagt, ich solle nur eine Buche aussuchen: das übrige wolle er dann, im Rat’ schon ausmachen. Ihr habt also nichts zu riskieren, Balzer, wenn ihr mir etwas behilflich seid.«

»Da brauchen wir gar nicht lang zu suchen,« gab der Angeredete zurück; »die schönste Buche weit und breit steht gerade hier.« Bei diesen Worten deutete er auf die Buche, deren Holz als Madonna vor dir, dem Schreiber, steht.

Damit war mein Los entschieden. Ich sollte sterben und eine Backmulde werden.

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