Mnais und Ginevra

Mnais und Ginevra – Heinrich Mann

Heinrich Manns kurze Stücke über die beiden Damen Mnais und Ginevra. Während Mnais, die Statue, dem Knaben, der nachts zu ihr kommt, von ihrem Schicksal als Hirtin erzählt, hält die Ginevra, die vom Tode aufersteht, um endlich den Geliebten, der sie bisher verschmäht hatte, zu finden, einen Monolog.

Mnais und Ginevra

Mnais und Ginevra.

Format: Taschenbuch/eBook.

Mnais und Ginevra.

ISBN Taschenbuch: 9783849668402

ISBN eBook: 9783849660079

 

Auszug aus dem Text:

 

Soll ich herabsteigen? Würdest du sehr erschrecken, wenn ich’s täte? Ja, horch, ich bin’s, zu der du im geheimen betest, wenn wie jetzt der Mond um mein Gebüsch her flimmert. Du meinst, ich wüsste nicht um dich, armer Knabe, und nennst mich deine tote Nymphe. Ich bin keine Göttin und nicht tot, Mnais bin ich, eine Sikulerin, seit langer, schlimm langer Zeit in Marmor gefesselt, einst aber meiner süßen Glieder froh und der Sonne, die Goldreifen um sie bog, und des Quells, der sie kühl und hart machte, und des Schattens, der die ausgestreckten mit den Abbildern kleiner Blätter sprenkelte. Hirtin war ich; und am Grunde des Tales, unter Farnen saß ich, und meine Hand drückte die Euter des geduldigen Mutterschafes in den irdenen Krug aus. Nun ward es Abend; klagend riefen die Hirten von den Kuppen der Berge einander zu; und ich trieb, den Milchkrug hoch auf meinen blonden Flechten, die Herde heim. Sie umdrängten meine Füße; die Leiber der alten schaukelten wollig; die jungen erhoben blökend ihre hellen Mäuler zu mir; und ich war mitten in einem Getrippel wie von vielen Regentropfen, und in einem warmen, befreundeten Duft. Den Wanderern bot ich einen Trunk aus meinem Kruge. Der gab mir eine Münze dafür und jener ein Stück Maiskuchen. Ein Hirte aber, Krupas, der nach Böcken riecht und dem ihr Fell um die Knöchel zottelt, griff in mein Gewand. Ich riss mich los, wie schon oft, und sprang über den Steg. Warum aber schüttelte diesmal mich Zorn? Ich reckte über meine Herde hinweg, denn sie versperrte ihm den Weg, die Hände nach dem Begehrlichen und rief ihm Schmähungen zu. Er lachte, und gekränkt drehte ich ihm den Rücken. Am Rande des Olivenfeldes aber hielt ich den Fuß an und bedachte, dass der Krug, mein schöner, rotgebrannter, mit der fliegenden Nike, mir vom Kopf gestürzt und zerbrochen war. Hin fiel ich da und schrie Wehe und verwünschte, die Arme zum Himmel erhoben, den Verderber. Ach! nicht hat ihn, wie ich’s erflehte, der Blitz hingestreckt, und sicher war er von einer neidischen Gottheit abgesandt — denn mit dem Zerbrechen des Kruges begann die Strafe meines harten Geschickes.

Zwischen den sanften Ölbäumen stürzte ich die Erdstufen hinan und klagte es den guten Gottheiten der Bäume, wieviel ich verloren habe. Auch meinen Schafen jammerte ich’s vor. Der Krug, den der Vater aus Syrakus mitbrachte! Die Mutter wird mich schlagen, sie wird mich verfluchen! Da trat aus ihrer Hütte, unter dem weißen, unbekannten Baum hervor, Rhus, die Hexe, und rief:

„Ei, hole dir einen neuen beim Timander!“

Schreiend floh ich; naht ihr doch niemand ohne Bangen; kein Bursche der Gegend, mag sie immerhin eine schöne Frau sein, tritt in ihren Dienst, aus Furcht, dass sie ihn verzaubere; und niemals auch bleibt ein fremder Knecht ihr lange im Hause. Eines Tages fehlt er, und statt seiner ist ein Esel da oder ein Bock, den vorher niemand gesehen hatte. Sie aber rief mir nach:

„Zum Timander geh’, dem Künstler, droben in der Villa des Faustus!“

Warum musste ich gehen? Groß war die Furcht vor der Mutter. Die Herde schickte ich heim und am Bergabhang durchschritt ich die Obelisken des Römers. Zwischen den steilen Zypressen eilte über die steinernen Treppen das Wasser, schwemmte Nymphen mit, von Tritonen verfolgt, und bespritzte die grünen Faune, die im Schatten lachten. „Wo ist Timander?“ rief ich, und „Timander!“ antwortete hinter den düster glänzenden Laubmauern eine Dryade. Ich suchte, und ich verlor mich in den langen dunklen Lauben, wo überall Bilder der Gartengötter mich erschreckten und verspotteten. Der Ausgang endlich brannte, ja, ihn umstanden rote Flammen, und in wilder Angst wendete ich den Fuß. Wie aber auch das Ende des nächsten Blätterganges rot beleckt war, wollte ich laufend hindurch, und laufend und in meinem Herzen betend, gelangte ich auf eine Wiese, die ganz voll rosigen Himmels hing. Steinbilder lagen umgestürzt im Grase, und tönerne Krüge und — ihr Götter! — der da glich ganz dem meinen! Nimmst du ihn, Mnais? Nimmst ihn und schleichst zurück? Ich spähte umher: Da entdeckte ich zwischen den Büschen ein niedriges Haus und im Dunkel der Tür einen Jüngling, der mich ansah. Meine Arme sanken herab, die lieben Knie zitterten mir.

Er trat auf die Schwelle; Timander war’s; und er sagte lächelnd:

„Nimm dir den Krug, da du ihn dir ja wünschest, und geh nur!“

Ich bückte mich nach dem Kruge; aber anstatt zu gehen, fragte ich:

„Was tust du? Du bist Timander? Und dies ist dein Haus?“

Er lächelte noch; oder war’s der rosige Himmel auf seinem Gesicht? ja, vielleicht war sein Lächeln der Himmel selbst. Und er antwortete:

„Ich suche in dieser Tonerde den Gott.“

Rasch beugte ich mich darüber.

„Drücke deine Hand hinein,“ sagte er, und dann:

„Nun wird eine Göttin deine Hand bekommen, und vielleicht werden große Herren sie mit den Lippen berühren.“

Da ich ihn nur ansah:

„Freut dich’s? Was du für Augen hast! Wild und wirr von Freiheit, wie die Augen einer Waldfrau, die hier eingebrochen wäre. Gewiss bist du eine? So neugierig stehst du da und so scheu! Rasch muss ich dich festhalten und dir deinen warmen Abdruck rauben!“

Dabei spähte er in mein Kleid, und ich merkte mit Schrecken, dass sich’s vom Laufen verschoben hatte.

„O lass!“ sagte er, und bewegte gleichmütig die Hand, wandte sich, ging pfeifend hinein und holte ein Brett und Lehm. Beim Kneten sah er her und weg, her und weg, aber sein Auge war so streng und allein, als sähe es gar nicht mich, als wäre mein Gesicht, das er doch abbildete, nicht Mnais’ Gesicht. Mir ward es seltsam kalt.

„Lass dein Kleid fallen!“ sagte er zwischen den Zähnen, und als ich erschreckt zauderte, stampfte er mit dem Fuß. Da warf ich, bevor ich’s bedacht hatte, alles von mir. Ich fühlte, wie mir das Blut zu den Augen stieg, wagte nicht, die Hände davor zu heben und musste lassen, dass Tränen kamen. „Was wird er denken!“ Aber er sah es gar nicht.

Plötzlich seufzte er tief auf, seine Hände beruhigten sich; lächelnd strich er sich die Locken aus der Stirn.

„Hüte dich, Mnais,“ sagte er, „dass nicht das Auge eines Gottes auf dich fällt, wenn du nach dem Bade ruhest und schläfst.“

Und da ich erstaunte:

„Denn die Nymphe, die ihn liebt, würde neidisch werden und sich an dir rächen.“

„So schön findest du mich?“ fragte ich und meinte, er müsse mein Herz pochen sehen. Er betrachtete aber das, was er gemacht hatte. Auf einmal ward mir der Atem schwer.

„Dich selbst,“ sagte ich, „werden gewiss Göttinnen besuchen?“ Und ich spähte in sein Haus, nach dem Herd und der Bank. Er warf irgendetwas mit der Schulter weg.

„Ich verschmähe sie. Nur Athene: sie, vielleicht, habe ich schon auf meiner Schwelle erblickt. Aber sie war — beruhige dich! — hart und schwer bekleidet, und die geraden Falten um sie her schaukelten nicht einmal.“

„Liebst du denn ein sterbliches Mädchen?“ fragte ich und lachte.

„Ich liebe nur meinen Herrn.“

„Wie? Ein Sklave wärest du?“

„Du meinst wohl, ich wünschte mir’s anders? Ein Künstler bin ich, geehrt und gut bezahlt. Was habt ihr Freien? Ihr frondet dennoch meinem Herrn, — der mich nährt und liebt. . . . Da bist du, Crassus!“ rief er. „Freund!“ Und er und der Jüngling, der aus der Laube trat, breiteten beide die Arme aus. Der andere war ein Brauner, Hagerer, mit einem Lorbeerkranz über der Stirn. Er zeigte auf mich.

„Sie hat,“ erklärte ihm Timander, „einen Krug von mir gekauft und mir ihr Bild dafür gelassen.“ Dann gingen sie beide begierig um das Bild herum, eine lange Weile; und ich stand und dachte beklommen, wie ich entkomme. Wie in einen Brand war ich einst auf diese Wiese gestürzt; und nun war der Himmel erloschen und die Luft so matt.

„Dürstet dich nicht, Freund?“ sagte Timander. „Mir hat die Arbeit Durst gemacht. Nimm, Mnais, deinen Krug, geh’ hinein und mische uns Wein!“

Ich brachte ihnen den Trunk; mir war’s, wie wenn die Mutter mich hart gescholten hätte. Demütig blieb ich stehen.

„Sieh doch,“ sagte sein Freund, „sie hat eine Flöte am Halse hängen: eine Hirtenflöte. Befiehl ihr doch, dass sie uns ein Lied spielt.“

„Spiele,“ sagte gleichgiltig Timander und streckte sich aus. Ich spielte, indes sie plauderten und sich kühlten, bis sie im Eifer ihres Lachens einander die Arme um die Schultern legten: da schlich ich mich, immer noch spielend, in die Laube und, kaum ihren Blicken entrückt, rannte ich, von Angst brennend, durch den Garten, aus dem die Götter fort waren, und hinaus, hinweg, wo irgendein Versteck wäre.

In einem Felsspalt nächtigte ich, denn nicht wollte ich der Mutter meine Augen zeigen, und vor Tag stieg ich in den Quell Argenos und bat ihn, er solle mich schön machen, schöner als Bilder, schöner als Timanders Freunde. Er lachte, Argenos, hell, wie er immer lacht. Mit seinem Spiegel tröstete er mich. Und wie ich in die Villa des Faustus zurückkehrte, standen die lieben Götter alle wieder da. In den hohen Hecken schwebte die Morgenröte; tausend zwitschernde Stimmen regten sich darin, und ein seliger Tau fiel. Das Gras küsste mir die Füße. „Ich will ihm die Füße küssen,“ dachte ich, „und ihn so aus dem Schlafe wecken.“ Nun fand ich die Wiese, nun lugte ich ins Haus. Wie? Leer war’s. Bangend betrat ich’s, zauderte, strich mit dem Finger über ein Stück Ton, das von seiner Hand die Rundung hatte, legte die Wange auf seine Bank. Da schreckte lautes Gähnen mich auf. Timander kam über die Wiese. Er schwankte, blickte fahl, und die Rosen zerblätterten in seinem zerzausten Gelock.

„Was willst du?“ fragte er mit schwerer Zunge.

Und da ich erschreckt verharrte: „Es gibt keinen Krug mehr. Hast du ihn wieder zerbrochen? Aber ich brauche dich nicht: das da ist fertig.“

Er zeigte nach meinem Bild.

„Geh!“

Und er warf sich auf die Bank. Schon hörte ich ihn im Schlaf atmen, kehrte zurück und neigte mich über ihn. Welch süße Brust! Wie Eros’ Finger die kleinen Schatten weich eingesenkt hatte in die Wange das schönen Jünglings, unter seine Augen! Aber sein Mund erschreckte mich: er war wie von einem satten Tier. Feucht war er in den Winkeln, feucht von Küssen! Ich tastete über seine Haut, und die Spuren von Küssen traten heraus, auf der Stirn, auf der Schulter: überall. Ich schluchzte, schüttelte mich und sah: sah all mein Missgeschick. „Du Verlorener!“ klagte ich.

„Mögest du sterben! Dein Grab werden sie Mnais lassen. Du aber gehörst ihnen!“

…..

 

 

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