Mütter

Mütter – Dora Duncker

Dieser Band beinhaltet drei tragische Novellen der bekannten Berliner Schriftstellerin, die unter anderem auch viele Jahre den Kinderkalender “Buntes Jahr” herausgegeben hat: “Mütter”, “Sturm”, “Für ihr Kind.”

Mütter

Mütter.

Format: eBook

Mütter.

ISBN eBook: 9783849655136

 

 

Auszug aus dem Text:

Sonntagmorgen. In dem kleinen Häuschen, das ein wenig abseits von den andern, nahe dem Bollwerk liegt, herrscht tiefe Stille.

Die Fensterläden im oberen Stockwerk sind fest geschlossen. Seine Bewohner, ein pensionierter Kanzleirat und seine Frau, sind auf Besuch bei der Tochter in Berlin.

Das Parterregeschoß ist in zwei Hälften geteilt, durch die ein ziegelgepflasterter Flur läuft. Links, hinter den Fenstern, an denen die grünen, breitblätterigen Blattpflanzen stehen, wohnt die Besitzerin des kleinen Hauses, Frau Marianne Harms. Rechts, hinter den blutroten Nelkenstöcken, die selbst im Winter Blüten tragen, ihr Sohn Hans, der Obermatrose, und Alrun, seine junge Frau.

Heut morgen ist außer Frau Marianne, die am Fenster sitzt und an ein paar Strümpfen für ihren Jungen strickt, das Haus vollständig leer.

Alrun ist zur Kirche, und Hans, der Obermatrose ist seit vier Monaten im Dienst auf See.

Frau Marianne, eine stattliche und noch immer schöne Vierzigerin, läßt die klappernden Nadeln in den Schoß sinken. Ihr Auge sucht durch die Blattpflanzen hindurch ein Stück des grauen, wolkigen Novemberhimmels. Dann seufzt sie einen Augenblick schwer auf, wie sie an ihren Jungen denkt, der da weit draußen auf der Südsee seinen schweren Dienst thun muß. Sie fährt sich über die Stirn. Dann fangen die Nadeln wieder zu klappern an. Es ist ja Narrheit, immer nur an Gefahr und Tod zu denken. Sie ist ein Seemannskind, sie war ein Seemannsweib, sie hats nicht anders gekannt, als daß die Männer in ihrer Familie zur See gegangen sind, warum zittert sie nur so unablässig um den Einzigen, da sie doch sonst niemals weder Grauen noch Angst gekannt?

Freilich, er ist das einzige, was ihr geblieben.

Ihren Mann hat das gelbe Fieber fortgerafft. Sie hat die Kinder allein durchbringen und erziehen müssen. Zwei Mädchen und ihren Jüngsten, ihren Hans.

Auch die Töchter hat sie verloren. Die älteste ist im Kindbett gestorben; die zweite, ein schönes, leichtsinniges Geschöpf, ist zu Grunde gegangen. Es ist ihr nichts geblieben, als ihr Hans und seine junge Frau.

Es war gewiß eine Thorheit gewesen, daß er so jung geheiratet hatte. Aber immerhin, es hat ihn glücklich gemacht. Er liebte das junge Weib, das eigentlich noch halb ein Kind war, über alles. Marianne hatte nicht das Herz »nein« zu sagen. Und so hat er das junge Ding ihr ins Haus gebracht, und Marianne sorgt so ziemlich für alles, was Not thut.

Sie thuts gern. Alles thut sie gern ihm, ihrem Jungen zu Liebe.

Wenn er nur erst wieder da wäre, heil wieder da.

Sie wundert sich oft im Stillen über Alrun, daß sie an so viel anderes denken kann, als an ihren jungen Gatten; daß sie lachen kann, wenn die Herbststürme über das Bollwerk sausen, und verdrießlich sein konnte, als der warme Sommerwind noch lind über die Wellen im Hafen strich. Ja, es gab Marianne sogar einen Stich, wenn Alrun viel mehr von dem kleinen Hans sprach, den sie erwartete, als von dem großen, der fern im Süden auf den einsamen Wassern trieb, wenn sie allerlei kleines, weißes Zeug spielend in den hübschen Händen bewegte, während sie selbst unermüdlich Strümpfe und Unterkleider für ihren großen Jungen strickte.

Das Kleine, nun ja, es war ja gewiß ein Glück, daß es kam, und sie schwur auch darauf, wie Alrun es that, daß es ein kleiner Hans werden würde. Aber was wußte sie davon, was aus diesem Kinde einmal werden würde; und was sie an ihrem Hans, an ihrem Goldjungen besaß, das fühlte sie nie tiefer, als wenn er ferne war und sie sich vor Sehnsucht verzehrte nach seinem guten Gesicht mit den freundlichen, blauen Augen, nach seiner vollklingenden, jugendfrischen Stimme, nach seiner ganzen, gediegenen, stetigen Art. Und sie wußte, es war nicht nur Mutterliebe, die sie blind machte. Er galt überall als ein braver, vortrefflicher Mensch.

Am frühen Morgen war die Luft ganz still gewesen. Jetzt hatte sich der Nebel zerteilt und ein stößiger Wind war aufgekommen, so ein launischer, hinterlistiger Wind, der den Seeleuten zu schaffen macht.

Drüben vom Bollwerk her wurden trockene Kastanienblätter haufenweis bis vor das kleine Haus gewirbelt.

Marianne fuhr jedesmal schreckhaft zusammen, wenn ein Windstoß vom Hafen gegen die niedre Hauswand prallte. Sonst war es noch immer ganz still im Hause und auf der breiten Straße vor ihren Fenstern. Die alte, holländische Wanduhr, die ihr Mann mal aus den Kolonien mitgebracht, hatte eben erst zehn geschlagen. Der Gottesdienst war noch im vollen Gange.

Plötzlich, ohne daß Marianne nahe Schritte vernommen hatte, wurde draußen die Klingel gezogen. Da auch das Mädchen, das heut seinen freien Tag hatte, nicht zugegen war, ging Marianne, um selbst zu öffnen.

Der Briefträger stand vor ihr und hielt ihr einen Briefumschlag entgegen, der mit überseeischen Marken und Poststempeln dicht bedeckt war.

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