Novellen

Novellen – Hedwig Dohm

Dieser Band enthält zwei Erzählungen der Berliner Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, zu deren Kindeskindern auch die spätere Ehefrau des Schriftstellers Thomas Mann gehört: “Wie Frauen werden”, “Werde, die Du bist!”

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Novellen.

Format: eBook

Novellen.

ISBN eBook: 9783849655105

 

 

Auszug aus dem Text:

Katharina Böhmer, die junge Gattin des vielbewunderten Malers Michael Böhmer, ging unstät in ihrem Zimmer auf und ab. Sie war in einfachster Promenadentoilette, ein braunes Kapothütchen auf dem Kopf. Sie wartete auf ihren Mann. Er hatte versprochen, sie Punkt elf Uhr zur Ausstellung des Künstlervereins abzuholen, wo sein neuestes Bild »Die Geburt der Venus«, das sie noch nicht kannte, ausgestellt war. Sie wartete schon seit einer halben Stunde. Ob sie in das Atelier, das einige Stockwerke höher lag, hinaufstieg? Sie wagte es nicht. Sie wußte, er wollte nicht, daß sie in das Atelier kam, wohl der Modelle wegen. Seit Monaten war sie nicht oben gewesen. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte sie häufig mit ihm Ausstellungen besucht, nicht besonders gern. Er pflegte sie nicht auf die guten, sondern auf die schlechten Bilder aufmerksam zu machen, jeden Mangel derselben scharf hervorhebend, um so schärfer, wenn es Künstler betraf, die seine Richtung vertraten.

Wenn er sie heute vergebens warten ließ, es wäre zu lieblos. Am Abend schon trat er eine, vermuthlich Monate umfassende Reise nach dem Rheinlande an, wo er ein Fürstenschloß auszumalen hatte.

Mißmuthig und erregt trat sie an’s Fenster. Die Wohnung lag am Schöneberger-Ufer. Sie blickte hinab auf den Canal. Es war Ende October. Ein feiner Regen rieselte nieder. Die Blätter hingen schlaff und schmutzig an den Bäumen. Die abgefallenen bildeten eine bräunliche muffige Masse am Boden. Die Straße war menschenleer. Zwei Kähne mit Kohlen wurden von Ruderknechten geschleppt. Langsam, keuchend, maschinenartig bewegten sie sich vorwärts in der fröstelnden Nässe. Eine solche Lebensunlust war in Allem.

Käthe trat in’s Zimmer zurück, warf sich in einen Lehnsessel und nahm eine Zeitung in die Hand. Sie konnte nicht lesen. Ihre Blicke folgten dem Zeiger der Uhr. Allmählich wirkte das Starren auf die Uhr hypnotisirend auf sie, und sie versank in halbwaches Sinnen und Grübeln, das so oft schon ihre leeren Stunden ausgefüllt hatte.

Und wieder, wie auch sonst, war es ihr vergangenes und ihr gegenwärtiges Leben und der trübe Ausblick in die Zukunft, die an der Seele der glücklosen jungen Frau vorüberzogen.

Katharina war die Tochter des reichen Fabrikbesitzers Brand in Thüringen. Ihre Mutter, eine tüchtige und correcte Hausfrau, ging in der Haushaltung, in der Fürsorge für die Kinder, so lange sie klein waren, und in der Pflichterfüllung ihrem Gatten gegenüber völlig auf. Den kleinen Kindern gehörte die Liebe und das Interesse der Eltern; die heranwachsenden und noch mehr die ganz Erwachsenen rückten ihnen ferner, ohne daß sie sich dessen nur einmal bewußt gewesen wären. Katharina, die älteste von fünf Geschwistern, stand ihren Eltern, als sie erwachsen war, fast fremd gegenüber. Sie und ihre Geschwister hatten eine Erzieherin gehabt. Sie war gut und sorgfältig ernährt und gekleidet worden. Weder bedeutende Menschen noch interessante Bücher, die hätten wecken können, was etwa in ihr schlief, waren, als sie heranwuchs, in ihren Gesichtskreis getreten. Sie war zufrieden gewesen mit der conventionellen Regelmäßigkeit ihrer Existenz. Sie hatte sehr viel hübsche und feine Handarbeiten angefertigt und hatte, noch kaum erwachsen, Bewerber gehabt, junge Beamte des Städtchens, deren Werbung hauptsächlich dem Reichthum des Vaters galt. Katharina hatte den Ruf, stolz und zurückhaltend zu sein, das zog die jungen Leute des Oertchens, die es sich gern bequem machten, ebenso wenig an, als der eigenartige Reiz ihrer Erscheinung. Katharina war weder stolz noch zurückhaltend; sie gehörte nur zu den exclusiven Naturen, die still für sich sind, weil nichts in ihrer Umgebung sie anregt, nichts ihrem inneren Wesen und Träumen entspricht. Das Aufregendste in ihrer Existenz war gewesen, daß ihre einzige Freundin eines Tages durchgebrannt war, wie es hieß, um Schauspielerin zu werden, und daß diese Busenfreundin seitdem lieblos verstummt war. Den Mangel individueller Liebe von Seiten der Eltern hatte Käthe nie empfunden. Sie hatte ja den Onkel Carl, der von den fünf Geschwistern sie einzig und allein liebte. Onkel Carl hatte von jeher zu ihrem Leben gehört wie Vater, Mutter und Geschwister, ja noch mehr. Es hatte mit diesem Onkel, der eigentlich gar nicht ihr Onkel war, eine eigenthümliche Bewandtniß.

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