Predigten zu den drei Glaubensartikeln

Predigten zu den drei Glaubensartikeln – Hermann von Bezzel

Der 1917 in München verstorbene Hermann von Bezzel war lutherischer Theologe, Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau und Oberkonsistorialpräsident der bayerischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. In diesem Werk finden sich seine Katechismuspredigten, die er unter dem Thema “Die drei Glaubensartikel” zusammengefasst hat.

Predigten zu den drei Glaubensartikeln

Predigten zu den drei Glaubensartikeln.

Format: Paperback, eBook

Predigten zu den drei Glaubensartikeln.

ISBN: 9783849665692 (Paperback)
ISBN: 9783849662202  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Der 1. Glaubensartikel

1

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Luk. 17, 5.

Nach den Betrachtungen, die das ganze schwere Jahr hindurch mit Texten aus der Hl. Schrift die Not des Krieges und den Trost Gottes uns nahebringen wollten, erscheint es ratsam zu sein, in den Betrachtungen über den Katechismus, die wir vor länger als Jahresfrist begonnen hatten, fortzufahren. Dabei brauchen wir dem Verdacht nicht zu begegnen, als ob der Mangel an Teilnahme für das Geschick unseres Volkes uns von den Kriegsandachten in die Katechismuswahrheiten zurücktriebe. Wir glauben mitten im Kriege ein Friedenswerk zu treiben, wenn wir für die kommenden Tage uns wieder rüsten, in denen Gott das vom Kriegsungestüm unterbrochene Tagewerk uns wieder gönnt.

 Wir gedenken auch fernerhin, wenn wir uns in die Tiefen der Katechismuswahrheiten mit ihrer vielerprobten Treue flüchten, unseres teuren Volkes, hier im Lande, draußen in der Ferne. Und Gott segne die schlichten Betrachtungen der Wahrheit, die wie ein gesegnetes Hausbrot die Seele sättigen und nähren will! Er lasse uns nicht mit hochmütigen Gedanken über die Katechismuswahrheiten unserer Kindheit hinweggleiten, als seien sie nur gut genug für Unmündige und Ungebildete, aber viel zu gering für die Gebildeten und Aufgeklärten! Er helfe uns dazu, daß, je mehr wir des Katechismus einfache Schüler werden, wir desto mehr an Erkenntnis und Weisheit gewinnen, und lehre uns die große, herrliche alte Nüchternheit des evangelischen Bekenntnisses, wie es Luther uns erschloß!

 Die erste Rede des Katechismus in den zehn Geboten haben wir getan und vernommen. Laßt uns heute mit dem einfachen Worte beginnen, das ein Kind spielend ausspricht und dessen Wirklichkeit den Mann alt werden läßt, ohne daß er sie erschöpft, laßt uns reden von der Arbeit des Glaubens.

 Die erste Tätigkeit in dem erwachenden Menschen, ehe er recht reden und das, was ihn bewegt, nach außen kundgeben kann, ist, daß er fühlt. Das kleinste Kind fühlt, daß die Mutterhände linder sind als jedes andern Menschen noch so weiche und gütige Hand. Das kleinste Kind merkt, daß das Lächeln der Mutter einen ganz andern Sinn hat wie das eines andern ihm noch so freundlich nahenden Menschen. Denn es ist das Lächeln des Wesens, dem es sein Leben dankt; es ist die Freude des Menschen, der nach heißer Angst und schweren Stunden ihrer aller vergißt um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt geboren ward. (Joh. 16 21.) Das Kind merkt den Unwillen der Mutter, wenn es sich gleich noch nicht Rechenschaft darüber geben kann, wie diese Änderung auf dem Antlitz der Mutter sich abschattet und aus dem Wesen der Mutter redet. Es merkt es; denn es fühlt. Wenn aber das Kind etwas heranwächst und das unmittelbare Fühlen sich zum vermittelnden Bewußtsein hebt, dann ahnt das Kind. Es ahnt im Antlitz der Mutter eine Welt von Seligkeit und Frieden. Es ahnt aus den Tränen der Mutter eine ihm bisher verschlossene Welt des Leides und des Unguten. Es ahnt, wenn die Mutter ihm naht, daß nun Sonne und Segen zu ihm kommen, und wenn die Mutter scheidet, daß eine Freude weniger ihm nahe ist. Es ist das, wenn ich so sagen darf, ein Fühlen, welches ans Denken hingrenzt. Das Kind ahnt ein Glück, ohne zu wissen, was Glück ist. Wenn aber das Kind die Unmittelbarkeit der frühesten Jugend abstreift und sich die Mittelbarkeit des sich Rechenschaft gebenden Menschen aneignet, dann heißt es: das Kind denkt. In diesem Alter des Kindes werden die meisten Erziehungsfehler von unvorsichtigen und schwachen Eltern begangen. Die Reden, die die Eltern unter sich tauschen, die Urteile, die sie miteinander wechseln, prägen sich dem Kinde ein, das Kind beginnt zu denken. Es setzt sich im Unterschied zu andern, es vergleicht sich mit andern. Wird es unmäßig gelobt, so wird es hochmütig; wenn es nie Lob empfängt, wird es kleinmütig. Wenn der Tadel nicht im Verhältnis steht zu der Tat, so wird es trotzig; wenn das Lob nicht dem entspricht, dem es gelten soll, so wird es stolz und übermütig. Wenn es merkt, daß die Wahrheit ihm schadet, wird es verschlossen; wenn es sich bewußt wird, daß Zärtlichkeit ihm nützt, wird es schmeichlerisch; gewinnt es den Eindruck, daß diese und jene Rede es interessant macht, so wird es eitel. Wie viele Eltern haben, indem sie ihr Kind über Gebühr lobten, aus dem Gottesgedanken eine Karikatur gemacht, die später wie ein trüber, schwerer Nebel auf dem Haus und dem Herzen der Eltern lastete. Das Kind, das frühzeitig angeleitet wurde, seine Gaben zu zeigen, mit seinen Künsten zu prunken, wird im spätem Leben tapfer Rollen spielen und wird nie mehr sein selbst sein. Der Mensch denkt und je mehr er denkt, desto stürmischer pochen an das bisher gewahrte und befestigte Herz die Zweifel. Sobald das Kind denkt, beginnt es zu zerstören. Ihr wißt es alle, die ihr Kinder kennt, wie eine der ersten Tätigkeiten des Selbstbewußtseins der Zerstörungstrieb ist; wie das Kind um hinter die Dinge zu kommen alles vernichtet und so selbständig werden will. Dann kommen die Zweifel. Bisher hat das Kind gebetet, weil die Mutter es lehrte, vielleicht ihm, wenn es eine rechte Mutter war, nie den Abendgruß bot, ehe es gebetet hatte. Bisher hat das Kind gelernt mit jemand reden, den es nie gesehen hatte, von dem es nur sehr viel hörte. Und nun beginnt es auch dieses Gut zu zerstören: Wo ist der, den ich nie gesehen habe? Wer ist der, den mein Auge nie erblickt? Wie ist der, von dem ich so viel hörte? Aus dem scheinbar geistreichen oder, wie man töricht sagt, unschuldigen Fragen schaut langsam der Zweifel heraus: Sollte Gott gesagt haben? (1. Mos. 3 1.) Wer ist der Gott, des Stimme ich hören soll? (2. Mos. 5 2.) Und wenn das Denken mit dem Zweifel sich verbindet, dann kommt es zu einem der unseligsten Worte, das doch so oft gebraucht wird: ich meine. Und während noch vor wenigen Jahren das Kind ahnte, meint jetzt die heranwachsende Jugend und legt sich das Bild zurecht, woran der Mann sich müde glaubte, um nie fertig zu werden. Wenn das alles überwunden ist, wenn aus dem Zustand des Ahnens und der Willigkeit des Denkens und der Unrast des Meinens eine Umkehr stattgefunden hat, dann taucht allmählich die Kraft auf, die zwar noch nicht die größte, aber der größten eine ist: ich glaube. Ich glaube, daß dies so ist, nicht: ich weiß es; denn das, was ich nicht sehe, kann ich nicht wissen. Aber ich will es glauben.

Ist das das Höchste? – Wenn wir sprechen: ich glaube, daß ein Gott ist, so treten wir freilich aus der Welt der Ungewißheit auf den festen Grund der Geschichte, aus der Welt des tastenden Ahnens und des Fühlens in eine Welt, die wir weder beweisen noch bestreiten können. Wir glauben, daß ein Gott sei, aber das Herz ist bei diesem Glauben ganz unbeteiligt. Es ist eine kühle, uninteressierte Verstandestätigkeit, welche unter vielen Möglichkeiten eine der Wahrscheinlichkeit nahe erwählt. Und nun, mein Christ, höre das Wort, das alles übersteigt, was bisher mit bescheidenen Strichen dir vorgezeichnet wurde, das Wort, das so kraftvoll in diese Welt der Unklarheiten hereinragt! Höre das Wort, in dem die höchste Kraft des Mannes mit der unmittelbaren Abhängigkeit des Kindes sich verbindet: Ich glaube an! Ich glaube zunächst an den Menschen, dann an mich, dann an etwas, das über mir und allen Menschen steht.

 An Menschen glauben ist schwerer als an Gott glauben. Ich glaube an Menschen, nicht: ich glaube den Menschen, ich traue ihnen, weil ich sie treu erfunden habe. Das letztere ist kein Glauben, das ist Fühlen, das ist Wissen, ein innerliches Überzeugtsein auf Grund ganz bestimmter Proben und Erlebnisse. Aber an Menschen glauben, wenn so viel Täuschung erlebt ist, an Menschen glauben, wenn man so viel Schweres in und unter den Menschen erfahren muß, das ist eine Kraft des Willens, die nicht auf Erfahrung gründet, was sie glaubt, sondern es auf Erfahrung erst anlegt. Ich glaube an Menschen, das setzt eine solche Fülle von Willenskraft in Bewegung, daß man sich sagt: und wenn alle Berechnungen, die ich mit diesem Menschen anstelle, fehlschlagen und alle Erfahrungen, die ich mit ihm machen muß, mich täuschen, so will ich doch glauben, daß im tiefsten Grunde er es recht meint. Nicht: ich glaube ihm, sondern: ich glaube an ihn, obwohl ich ihm nicht glaube.

 Ich glaube an mich. Die meisten unter uns werden sagen: das ist ein leichtes Ding, an sich zu glauben. Als ob nicht der Mensch sich selbst das größte Rätsel wäre und das Menschenherz ein trotziges und verzagtes Ding (Jer. 17 9), ein Abgrund, aus dem Gedanken heraufsteigen, die nur Einer wissen muß und keiner wissen darf. Als ob das Menschenherz nicht ein unruhvoll bewegtes Meer wäre, in dessen tiefstem Grund Geheimnisse wohnen, die dem nur kund sind, der das Meer in seinem Wesen beschloß. Je älter ein Mensch wird, desto mehr wundert er sich über sich selbst: das hätte ich nie von mir gedacht und nie von mir erwartet. Die meisten Menschen kommen deshalb so leicht durchs Leben, weil sie nie Zeit haben, sich mit ihrem Innern zu beschäftigen. Sie kennen sich nicht und lernen sich erst kennen, wenn es zu spät ist, nämlich in der Stunde, da alle Schleier zerreißen und die Rollen ausgespielt sind, die Seele allein mit sich ist und an sich denken muß. Die meisten Menschen tändeln durch das Leben, weil das Leben ihnen nur eine Summe von Abwechselungen und nicht eine Summe von Pflichten ist. Wer aber den Mut hat, sich mit sich selbst in rechter Weise zu beschäftigen, der ist gezwungen an sich zu glauben, soll er nicht an sich verzweifeln, so gewiß er geneigt ist, sich mit Geduld zu tragen. Du kannst einen jeden Menschen leichter tragen als dich, wenn du es ernst nimmst. Wenn du freilich in dich verliebt bist, kannst du dich leicht tragen; dann stören dich die Sandkörner im Wesen deines Nächsten ebensosehr, als dich deine Bergeslasten von Unarten unangefochten lassen; dann ärgerst du dich des Splitters in deines Bruders Auge deswegen, weil du des Balkens in deinem Auge nicht gewahr wirst. (Matth. 7 3.) Je mehr der Mensch sich mit sich selbst in rechter Weise beschäftigt, desto mehr Geduld muß er mit sich tragen: ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? (Röm. 7 24.) Jeden Morgen die gleiche Last und jeden Abend das gleiche Schuldbewußtsein, und Jahr um Jahr nicht mit sich fertig werden und immer wieder unter sich leiden und unter sich dulden! Da müßte der Mensch an sich verzweifeln! Doch – er lernt an sich glauben. Denn hinter dieser schweren Last hat einer Stellung genommen, der der Menschheit ganzen Jammer auf sich gezogen und an sich getragen hat, und spricht: Werde nicht müde; denn ich bin mit dir; fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst! (Jes. 43 1.)

Dann tritt die Kraft ein, welche in zwei schlichten Buchstaben, in einem armen Wort, die höchste Willensfülle und die höchste Lebenskraft und die Ewigkeitsgröße in sich schließt: ich glaube an. Ich glaube an Gott! Das spricht sich aus so leichthin und so schnell und ist doch das Werk einer täglichen Willenshingabe, eines alle Ohnmacht des Lebens eingestehenden Ernstes und einer über alle Ohnmacht reichenden Hoffnung auf die Allmacht. Das ist das Ergebnis eines auf allen Linien des Lebens gleichmäßig eingetretenen Waltens Gottes: was mir Gewinn war, ist mir Schaden geworden (Phil. 3 7), und woran mein Herz hing, das hat mich getäuscht. Ich suchte Weisheit und sie hat mich betrogen. Ich begehrte Frieden und er mied mich. Ich verlangte Ruhe und als ich hinkam, war sie eben weggegangen. Ich baute und der nächste Sturmhauch riß es ein. Ich riß ein und der nächste Tag baute wieder auf. Ich begrub meine Toten und der Hauch des Heiligen ließ sie lebendig werden. Ich suchte mir Erfahrungen zu sammeln, da kam das unerfahrene Widerfahrnis und alles, was ich gesammelt hatte, ward zerstreut. Ich hing mein Herz an die Erscheinung der Dinge und wurde gewahr, daß die Erscheinung trügt, und hinter die Dinge kam ich nicht. Und wenn ich mich ihnen näherte, warfen sie die Schleier über sich und ich blieb allein. So geht es durch das Leben des Menschen als eine vollkommene Zerstörung aller Werte. Ich sahe an alles, was unter der Sonne geschieht, und siehe da, es war lauter Eitelkeit. (Pred. Sal. 1 14.) Da tastet die Hand, die so oft nach einem Schatten gehascht hat, und müde am Körper herabsank, ein letztes Mal und findet eine ihr begegnende Hand, die zitternde eine starke, die tastende eine gewisse, die schwache und welke eine lebensfrische und lebenskräftige. Und die zitternde legt sich in die starke und durch die Seele geht es wie ein ungeahntes Glück: ich glaube an Gott!

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