Schillers Heimatjahre

Schillers Heimatjahre – Hermann Kurz

Ein kulturhistorischer biografischer Roman rund um das Leben des deutschen Dichterfürsten. Der schwäbische Schriftsteller Kurz gehörte zu den Begründern des historischen, realistischen und sozialen Erzählens im deutschen Vormärz.

Schillers Heimatjahre

Schillers Heimatjahre.

Format: eBook

Schillers Heimatjahre.

ISBN eBook: 9783849656157.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Der Sonntag schien hell durch das einzige Fenster des kleinen Gaststübchens, in welchem der junge Heinrich Koller noch in tiefem Schlafe lag. Er mußte etwas Angenehmes träumen, denn ein leichtes Lächeln belebte seine frischen Züge. Endlich aber störte ihn das Sonnenlicht, das ihm gerade ins Antlitz fiel. Eben schlug die Glocke auf dem nahen Turm, und die Hähne ließen wetteifernd ihre ländlichen Stimmen ertönen. “Im Haus ist noch alles still,” sagte Heinrich, indem er aus dem Bette sprang und sich ankleidete, “es ist noch früh am Tage, und doch schon so hell zu dieser Jahreszeit. Sei mir gegrüßt, o Licht! In Tübingen hast du mich nie so früh geweckt. Es ist doch etwas Herrliches ums Landleben, alles so hell und so still! Jetzt kann ich eben noch einen Spaziergang in der schönen Gegend machen und vielleicht dem Liebchen ein Schneeglöcklein, das sich vorwitzig ans Tageslicht gewagt hat, mitbringen. Sie wird noch sanft und heilig schlummern, das holde Kind!”

Er eilte in den großen Pfarrgarten hinab, um an dessen Hintermauer den unmittelbaren Ausgang ins Freie zu gewinnen. Da sah er ein gelbes Hütchen durch die dichtstehenden, noch unbelaubten Bäume blinken; er schlich leise hinzu und hielt dem schlanken Mädchen, das, halb städtisch, halb ländlich gekleidet, in leichter knapper Tracht an einem Baume lehnte, die Hände vor die Augen. “Schelm!” rief sie und schlug ihn drauf, “ich kenne dich schon, ich habe dich kommen hören.” – Sie wandte ihm ein zärtliches Gesicht mit zwei hellen blauen Augen zu und bot ihm willig den Mund zum Kusse.

Er schlang den Arm um sie, und sie wandelten durch den Garten ins Freie. Lottchen sang: “Üb immer Treu’ und Redlichkeit!” und ihre reine Stimme klang lieblich in den Morgen hinaus. Das enge Tälchen, in welches der Pfad sich hinabwand, hatte schon einen Anflug von dem grünen Teppich, der es nun bald bekleiden sollte, die Anhöhen zu beiden Seiten lagen in einem warmen Glanz, aus geringer Entfernung schimmerte das Schloß von Vaihingen herüber, in der eigentümlichen Beleuchtung der frühen Februarsonne scharf hervortretend; hinter den Liebenden ragte der Kirchturm des Dörfchens Illingen hervor, das sie soeben lustwandelnd verlassen hatten. Unser Pärchen sog mit unendlicher Wonne den Hauch des frischen und doch warmen Morgens ein. “Diesmal,” sagte Heinrich, “verdient der Frühling seinen Namen; es ist ein seltenes Fest, wenn schon im Februar die Natur aus dem starren Winterschlaf erwacht und neu zu leben beginnt. Laß uns glauben, mein Lottchen, freundliche Geister haben unserer Liebe zu Ehren den Freund der Liebenden, den Lenz, erweckt, und er schicke sich nun fröhlich an, unser Glück mit Blumen und grünen Zweigen zu bekränzen!”

“Fast möchte ich’s auch glauben!” rief Lottchen, entwand sich ihm und hüpfte über den kleinen Bach, der das Tälchen mitten durchschnitt.

Sie hatte mit ihren hellen Augen jenseits zwei Veilchen entdeckt und eilte, sie zu pflücken. “Sieh, Liebster,” sagte sie und steckte ihm die beiden Blümchen an die Brust, “sieh, dies ist das Erste, was das Jahr uns bringt, das Beste, was dir meine Liebe geben kann. Laß es dir ein Sinnbild sein! Wie diese armen bescheidenen Blümchen ist auch meine Liebe arm und unscheinbar, und kann dir nichts bedeuten; aber wie du die zarten Pflanzen an deine starke Brust nimmst und um meinetwillen behütest und wert hältst, so tue auch mit deinem Mädchen, das dir weiter nichts gelten kann, als daß sie dir so überaus von ganzem Herzen gut ist.”

Heinrich war von diesen einfachen Worten aufs innigste gerührt, und keine von den prächtigen Redensarten, die ihm sonst so leicht wurden, wollte ihm über die Lippen gehen. Er küßte sie herzlich, aber ehe er etwas erwidern konnte, vernahmen sie laute Stimmen in der Nähe; sie blieben hinter einer dichten Einfassung stehen und blickten hinaus. Einige Bauern kamen von der Anhöhe, hinter welcher sich die Felder ausbreiteten, gegen das Wiesentälchen heruntergegangen.

“Seht einmal, ihr Mannen!” rief einer von ihnen und blieb stehen, “meiner Treu! das Tal kriegt schon ein neues Bärtlein. Da sieht’s getreu aus, wenn’s schon im Februar maielt! Da kommt alles ins Treiben, und nachher nimmt’s der Frost.”

“Ist mir doch immer lieber,” sagte ein anderer mit finsterem Gesicht, “wenn’s von selber zu Grund geht. Es gibt keine größere Narrheit für uns Leute, als wenn wir uns viel um unsere Saat bekümmern. Geht’s schlecht, so lamentiert alles zusammen, und geht’s gut, gleich ist’s Wild bei der Hand und frißt, was ihm schmeckt, und was stehen bleibt, das geht bei der nächsten Jagd zu Schanden.”

“Das ist auch wahr, Schmiedpeter,” fiel ihm der erste bei.

“Das gibt wieder eine Mahlzeit für die Sauen, Hansjörg,” fuhr der Schmied in seiner finsteren Laune fort, “wenn’s der Ernte zugeht, und der Dinkel grad recht in der Milch steht, da laden sie sich wieder ein.”

“Und wenn sie meinetwegen noch für den Hunger fressen täten, Gott verzeih mir’s, ich wollt’s ihnen noch gönnen,” sagte Hansjörg ärgerlich, “aber ‘s ist ihnen um die pure Wollust zu tun; sie sehen’s als Nachtisch an; da raufen sie die Frucht handvollweis aus dem Boden und quetschen’s nur so aus, und wenn sie die Milch gesogen haben, werfen sie’s wieder weg. Es sind verflucht delikate Bestien.”

“Freilich ja,” bemerkte der Schmied, “das lernen sie von dem vornehmen Umgang.”

Die anderen lachten. “‘s ist wahr,” sagte einer, “man sollte sich noch für die gnädige Ehre bedanken.”

“O wenn nur,” so brach ein anderer jetzt aus, “wenn nur das heilige siedige Donnerwetter die gnädigen Herren und Sauen und die Jagd mitsamt uns und dem ganzen Ländlein dreitausend Klafter tief unter den Boden schlüg’!”

“Behüt uns Gott!” versetzte einer mit etwas gereistem Akzent, “nur nicht gleich oben hinaus! Schicket euch in die Welt, denn es ist eine böse Welt!”

“In die Zeit heißt’s, Schneidermichel,” rief der bibelfestere Hansjörg dem Geduldprediger zu. “Aber wahr ist’s, die Welt ist schlimm. Der Liebste von allen ist mir noch der Herr selber. Er red’t doch noch mit unsereinem, wie wenn er seinesgleichen wär’; ja, er ist viel bescheidener gegen den gemeinen Mann als seine Bedienten und Amtleute, die doch weniger sind als er. Glaubt mir, Mannen, wenn alle Oberamtleute und Pfleger und das ganze G’schmeiß, wenn die so wären wie der Herzog, so hätten wir bessere Tage.”

“O,” rief der Schneider, “jetzt wird’s erst schlimm werden! Da kommt der Schulmeister. Der studiert vermutlich auf seinem Morgenspaziergang eine Abdankung, oder, wie er’s lieber heißt, eine Leichenrede. Bon dies, Herr Schulmeister! Woher geht die Fahrt?”

Der Angeredete, ein hagerer langer Mann von absolut unzufriedenem Aussehen, hatte eben noch die letzten Worte vom Lobe des Herzogs gehört und brach, ohne die Zwischenfrage zu beachten, alsbald gegen den Redner los, indem er eine erkleckliche Anzahl von Majestätsbeleidigungen aufeinander häufte, welche freilich, wie er sicher rechnen konnte, von seinen Bauern noch weniger als von den Vögeln unter dem Himmel weitergetragen wurden; denn jene waren viel zu sehr von seiner Tüchtigkeit überzeugt, als daß sie ihm etwas hätten geschehen lassen, und sie pflegten ihre Meinung von ihm mit den Worten auszudrücken: “Er ist ein ganzer Schulmeister; daß er unsere Buben gehörig herhaut, herstriegelt und herrichtet, das muß man ihm lassen; aber freilich, ein bös’ Maul hat er.” Der Zusatz sollte keineswegs ein Verwerfungsurteil sein, denn dieses böse Maul sprach oft genug eine Meinung aus, die ihre eigene war; da sie aber an dem Inhaber desselben allerlei Schwachheiten kannten, so spielte er bei ihnen doch keine so große Rolle, als er sich einbilden mochte, und gehörte darum zu den vielen Leuten in der Welt, welche mehr reden, als sie gelten. Dieses Bewußtsein aber, wenn es ihm jemals klar wurde, hielt ihn nicht ab, seine Rede fortzusetzen. “Was?” rief er, “einen Tyrannen verteidigen, der eure Felder verwüstet, das Mark des Landes aussaugt, der eure Söhne aus den Betten reißt und steckt sie in seine steife Montur–”

“Aber,” fiel der Schneider etwas schüchtern ein, “das ist doch nicht mehr so arg, seit die Herren von der Landschaft mit dem Herzog Prozeß geführt haben.”

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter K, Kurz-Hermann, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.