Symphonie für Jazz

Symphonie für Jazz – René Schickele

John von Maray ist ein Jazzmusiker der sexuell und bewußtseinserweiternd fast alles erlebt hat. Aber eines möchte er noch erreichen, nämlich eine Symphonie für Jazz zu schreiben …

Symphonie für Jazz

Symphonie für Jazz.

Format: eBook

Symphonie für Jazz.

ISBN eBook: 9783849657109.

 

Auszug aus dem Text:

Bäbä, tu. Bäbä, tut. Tut! bäbä.

Ein Hurra – Bäbätu.

Auf das Känguruh!

Miau.

Die ganze Nacht hat es geregnet. Wie eine Mühle ging der Regen in der Finsternis, die Traufe machte dazu den rauhen, kurzpulsigen Lärm eines Motors: raduwalu, raduwalu.

Manchmal schwoll das Rauschen des Regens an, dann vernahm man das hellere Rascheln von Laub, ja sogar den Flug der Wassertropfen von Bäumen unterschied man. Einen Augenblick lag die Regennacht in einer andern Tonart.

Nur die Traufe arbeitete unverändert weiter. Raduwalu, raduwalu.

Brrrr – um! plotzt die Brandung. Brum! Krach der Kräche. Donnernder Applaus. Ein Zischen, Sausen:

Brr – rr – rr – rum!

Tagsommer.

Nachtsommer.

Wüste Zeit.

Fliegender Holländer auf einem Alkoholschiff.

Der geschminkte Mann im Pyjama am Flügel spielt Bach.

Vor ihm das Mädchen tanzt den Kreuzestod.

Kasse! Kasse! Schwarze Kasse!

Mi! au.

Bis aus dem Topasrauche deiner Augen
Auf einmal blaues Feuer schlug –

Die Motorräder belfern. Gestank von Asphalt und Benzin. Die Elektrische krächzt mit einer Kehlkopfstimme in der Kurve, ihre gesprungene Glocke schimpft die Straße zusammen. Aber den neuen Limousinen weht ein Rauschen von Wohlhabenheit voran! Um sie herum knurren und spucken die Autos, die geschäftlichen Zwecken dienen. Schreie im Gewühl, metallene Schreie, Schreie, als kämpften Maschinen ums Leben.

In einer Pause, vom blauen Himmel gefallen, hört man eine Mönchsgrasmücke. Taktaktaktak-fiieh-je! lockt das Tierchen, bevor es singt.

Der Asver – wenn er je so weit käme – würde seine eigene Regierung stürzen. In ihm haben wir das letzte Exemplar des romantischen Revolutionärs. Niemand fürchtet ihn mehr, nicht einmal der demokratische Reichstagsabgeordnete Kommer. Kurt Kommer nennt Asver den indanthrenroten Stänkerer.

Und dennoch ist ein Kalikönig unglücklich. Man denke!

Wer hat es denn heute noch gut?

Ei, der Josephus Samtaug, der nur ›piepsi, piepsi‹ zu lächeln, braucht, damit die goldbraun gebrutzelten Tauben ihm in den Mund fliegen.

Sonst niemand?

Doch. Vielleicht. Der Musikant.

O schöne Fahrt, so leicht der Wind,
Vor dem Fernen sich entfalten –

Hip-hip-hurra! für John van Maray und seine Frau Johanna.

Bäbä, tu. Bäbä, tut! Mi! au.

 

Zuerst die Vorgeschichte.

Ein Maray kam gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts (vermutlich aus Ungarn) in die Schweiz und heiratete die Tochter eines Züricher Handwerkers. Sie bekamen viele Kinder. Von deren Schicksal kennt man nur das Glück des ältesten Sohnes. (Wahrscheinlich hat es daran bei den andern gefehlt.) Der Bursche trat, gemeinsam mit seinem Freund, einem nichtsnutzigen Patriziersproß, in holländische Dienste. Er begann als Gemeiner, gleich als Offizier der Freund. Beide gewannen das Spiel, der Gemeine gleichzeitig mit dem Offizier, sie kehrten nicht in die Schweiz zurück, sondern heirateten Holländerinnen und starben als goldbetreßte Obersten im Land ihres Glücks und ihrer Frauen.

Augen, Mund, Hände, Glück und Leid, Trotz, Zorn, Liebe, Erbarmen, Röte und Blässe – es sind dieselben wenigen Wörter, die immer wiederkehren, und die Musik davon ist so tief!

›Spinnweb, Spinnweb an der Wand –‹

Ein Sohn des einen Obersten ehelichte die Tochter des andern, und der ehemalige Schreinergeselle und Gemeine im holländischen Kolonialdienst Maray sah und genoß es einen endlos verzauberten Lebensabend lang, wie ein Amsterdamer Geschlecht unter seinem Namen wie einem halbbarbarischen Feldzeichen die Stufen des Reichtums und der öffentlichen Würden emporstieg. Von dieser Zeit an hieß die Familie: van Maray.

Das Geld saß locker bei dem Geschlecht, und zwar merkwürdigerweise gerade bei solchen, die den Namen van Maray führten. Die Töchter entschlüpften in standhafte Familien und kamen oft genug in die Lage, Bruder und Bruderskinder verleugnen zu müssen. Nur eines blieb der Sippe durch die Zeiten als Privileg erhalten: der höhere Kolonialdienst. Von Geschlecht zu Geschlecht floh immer wieder einer in das rettende Eden von Sumatra, Borneo, Java. Sie kamen in ziemlich unordentlichem Zustande an, staffierten sich aber bald heraus. Hätte Holland keine Kolonien gehabt, so wäre das Geschlecht der Maray längst von der Oberfläche der Gesellschaft verschwunden.

Auch der Vater John van Marays diente seine Zeit in Holländisch-Indien. Er kam in späteren Jahren hin als die andern, denn er war etwas weniger leichtsinnig. Dafür ging er auch früher wieder fort und kaufte sich ein Haus in Zabern, Europa, Deutschland, Bezirk Unterelsaß.

Die Wahl des Vogesenstädtchens an der Grenze Lothringens bedeutete einen Ausgleich zwischen den Wünschen der Frau, einer französischen Lothringerin, die das Heimweh plagte, und dem Abscheu des Mannes vor dem Königreich der Frösche jenseits der Zaberner Steige.

John van Maray wuchs in Zabern auf, und da er Holländer war, fühlte er sich als Elsässer. Bald nach Kriegsausbruch erkrankte die Mutter. Um sie zu zerstreuen, wollte ihr John vorlesen. Er wählte, was er über alles liebte, das Hohe Lied. (Ein überheller Tag, in dem es nächtig rauscht.) Sie unterbrach ihn:

“Mein armer Junge, du hast den holländischen Knödel im Hals. Spiele lieber Klavier, da hört man es weniger.”

….

 

 

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