Abhandlung des Daseyns der Gespenster

Abhandlung des Daseyns der Gespenster – Gerald van Swieten

Gerald van Swieten war ein holländischer Mediziner und Aufklärer. Sein Werk “Abhandlung des Daseyns der Gespenster” bot seinen Lesern eine völlig natürliche Erklärung für den Glauben an Vampire und Geister an. Er wies die Behauptungen über ungewöhnliche Vorgänge in der Nähe von Gräbern mit möglichen Ursachen wie Gärungsprozessen und Sauerstoffmangel als Gründe für die Verhinderung der Verwesung zurück. Als Reaktion auf das Buch erließ Kaiserin Maria Theresia ein Dekret, das alle traditionellen Maßnahmen der Bevölkerung verbot, wie das Pfählen, Enthaupten oder Verbrennen von Vampiren. Das Buch folgt der Ausgabe des Jahres 1768 und benutzt die damals gültige Rechtschreibung.

Abhandlung des Daseyns der Gespenster

Abhandlung des Daseyns der Gespenster.

Format: Paperback, eBook

Abhandlung des Daseyns der Gespenster.

ISBN: 9783849666484 (Paperback)
ISBN: 9783849661663  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

Vorrede.

Nichts ist dem Reiche der Wissenschaften schädlicher, als wenn in selbem der vielfältige Götze des Aberglauben, und der Vorurtheile verehret wird. Dieser Tyrann hat nicht nur allein dem gesammten Pöbel die Fessel angeschlagen, sondern auch viele unter denen, die ihren Witz dem Dienste der Musen geweihet haben, und von einer geschliffenen Denkensart glänzen wollen, mit seinen Banden bestricket. Es sind beinahe viele ganz außer Stande gesetzt, die Seile zu zerreissen, die sie fesseln. Wie viele Menschen, derer Geist erhaben scheinen will, glauben auch heutiges Tages noch, daß die Sterne das Schicksal der Menschen auf der Erde bestimmen; daß die Kometen schädliche Einflüsse mit sich führen, und gewiße Trauerfälle verkündigen etc.? Und sie wurden eher das Licht der Sonne, als den ihr Schicksal beherrschenden Einfluß des Gestiern läugnen. a) [1] Wie viele, welche die Begriffe des erhabenen Kautz, des berühmten dell’Osa, und des gelehrten Sterzingers über die Leisten ihres auswendig gelernten Lehrgebäudes nicht ziehen können, entrichten dem Götzen des Aberglauben verwerfliche Opferdienste, und bethen die ertraumte Thätigkeit der Zauberkunst für Wahrheiten an? Der jugendliche Eindruck hat sie gebunden, und da sie eralten, schlummern sie an den Ketten, die sie sich in ihrer Jugend geschmidet, und die Halsstärrigkeit nach Maaß der Jahren befestiget hat. Die aufgerafte Vorurtheile haben den Verstand verdunkelt, und sie sind die Ursache, daß viele in den Finsternissen ihrer Meinungen dahin wandeln, und das Licht verabscheuen, welches ihnen der mühsame Fleiß der Gelehrten anzündet und aufstecket. Ich könnte eine ganze Reihe der vorgefaßten Meinungen herstellen, um überzeugende Proben zu liefern, daß es Leute gebe, welche die jugendliche Eindrücke noch nicht unterdrücket haben, die in dem eisgrauen Alter noch im Tone der Kinder lallen.

Selbst diejenigen, die die Vernunft zum Wohnhause witziger und gelehrter Betrachtungen machen wollen, flechten dem aberglaubigen Götzenbild der Vorurtheile noch immer Kränze, und streuen Blumen und Weihrauche davor nieder, da sie die Gespenstergeschichten für Wahrheit ansehen. Ich werde es nicht wagen diese starken Geister von der Höhe ihrer Einbildung herabzubringen. Sie sind ihrer Meinung nach weit über die menschlichen Schwachheiten hinauf gestiegen, und schmeicheln sich tiefere Einsicht als andere Leute zu besitzen. Wurde ich mich erdreisten, ihre Vorurtheile aufzudecken, so weis ich schon zum voraus ihre Gedanken; sie wurden sagen:

Quodcunque ostendis mihi, sic incredulus odi.

 

Ich werde auch nicht begehren, daß sie den Vorzug ihrer rechthaberischen Weisheit fahren lassen. Noch weniger werde ich durch Lobeserhebungen ihres unsterblichen Nachruhms von ihnen den Beifall erbetteln. Nur bitte ich, sie möchten mich den Saddutzäern b)[2] nicht beizählen, oder unter denen Epikuräern c)[3] einen Platz anweisen. Vieleicht findet meine Bitte Gehör, da ich das ungehäuchelte Bekänntniß ablege, daß es mir sehr leid thue, daß ich mich mit ihnen, um die Wahrheit zu suchen, in dieser Abhandlung zertragen muß. Die Urtheile des Pöbels, oder vielmehr derjenigen, die nie zu denken gelernet haben, noch durch Nachdenken sich zu erheben bemühen, werden mich nicht irre machen. Sie kommen mir unter dem Sinnbilde der kleinen Würmer vor, die nie ihren Kopf von der Erde aus dem Staube erheben. Ich zweifle nicht, daß sie gleich bei dem ersten Anblicke dieser Schrift ein Vorurtheil gegen mich fassen werden, welches für mich nicht vortheilhaft seyn kann. Sie werden mich verketzern, und mit Bannflüchen gegen mich loswerfen. Sie werden glauben, ich werde mit dieser Abhandlung das Fegfeuer auslöschen wollen. Sie werden wohl gar (wie sie in nicht viel ungleichen Umständen gewünschet haben) diese geduldigen Blätter als eine freygeistige Mißgeburt den unbarmherzigen Flammen opfern. Alles dieses sind mögliche Sachen. Bei allem diesem aber habe ich ein sicheres wohlgesetztes Vertrauen, daß diejenigen, die die Vorurtheile abgeleget, und sich von gewißen Schwachheiten entfernet haben, mich von dergleichen Beschuldigungen, die ich wahrhaftig nicht verdiene, ganz gerne lossprechen werden.

 Ich weis, daß unsere Gottesgelehrten, die mit Nachdrucke und Gründlichkeit ihre Sätze verfechten, den katholischen Glaubensatz von dem Fegfeuer nicht aus dergleichen historischen Quellen herleiten, noch durch Erscheinungen, oder Gespenstermährchen beweisen. Ich schmeichle mir also, daß der Leser die Anfangs gefaßte Vorurtheile bei Durchgehung dieser Blätter überwinden, und die Ungerechtigkeit seines voreiligen Urtheils erkennen werde. Ich läugne zwar, daß es Gespenster gebe; ich verneine aber nicht, daß Geister erschienen sind. Wie kann man aber Gespenster läugnen, und zugleich Erscheinungen der Geister behaupten? Ich antworte, wie man verneinen kann, daß der Mensch über das Meer gehen, oder durch die Luft in entfernete Länder reisen kann, so kann man auch läugnen, daß Geister auf dieser Welt erscheinen, und sich sichtbarlich zeigen können, ob ich wohl dieses durch ein Wunderwerk zulasse, und die Erscheinungen, wenn sie hierzu die Kräften von der Allkraft GOttes erhalten haben, sowenig zu läugnen gedenke, als ich läugnen kann, daß Menschen durch Wunderwerke über das Meer gehen, oder durch die Luft in andere Länder übersetzt werden können. Sind übrigens, werthester Leser! meine Gedanken hie und da nicht deine Gedanken; so weise mich, wenn du Recht zu haben, dich aus bündigen Gründen überredest, mit Sanftmuth, und einer holden Bescheidenheit auf eine bessere Straße.

1. §. Was ist ein Gespenst?

Durch Worte pflegen wir andern unsere Gedanken zu erklären. Sie sind Zeichen, daraus ein anderer unsere Begriffe abnehmen kann. Wir müssen also vor allen nach der schönen Lehre des Freyherrn von Wolf a)[4] mit dem Worte Gespenst einige Begriffe verknüpfen, damit man weis, von wem wir reden, und was wir dadurch verstehen. Die Gespensterfreunde sagen uns, Gespenster sind Erscheinungen verstorbener Personen. Andere erklären sich also: Gespenster sind geistige Substanzen, die von dem Menschen mit Furcht und Schrecken empfunden werden. Der ersten Erklärung kann ich meinen Beifall nicht geben. Christus der HErr ist zehnmal nach seinem Tode erschienen; wer wird aber den Erlöser, der von sich selbsten sagt: Ich bin kein Gespenst: in die Reihe der Gespenster setzen? Es ist wahr, so oft ein Gespenst dem Menschen sich sichtbar darstellen würde, müßte selbes erscheinen: es könnte also kein Gespenst ohne Erscheinung geben. Ich läugne aber, daß, so oft eine Erscheinung vorkomme, auch ein Gespenst sich darstelle. Es ist zwischen einem erscheinenden Geiste und einem Gespenste ein Unterscheid zu machen. b)[5]

 Der zwoten Erklärung kann ich ebenfalls nicht beipflichten. Man sagt, ein Gespenst sey eine geistige Substanz, die mit Furcht und Schrecken empfunden wird. Man sagt, der Vater des Samsons hat die Gegenwart des Engels mit Furcht und Zittern empfunden. Wer wird aber einen erscheinenden Engel unter die Gespenster zählen? Was ist dann also ein Gespenst? die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, als man sich einbildet, und wir finden um so größere Beschwerniß, je mehr wir überzeuget sind, daß es keine Gespenster gebe. Wie sollen wir eine Sache erklären, die wir nicht für wirklich erkennen? Damit wir aber doch was sagen, obwohlen wir nichts eigentliches sagen können, und damit man doch wisse, mit was sich diese Abhandlung beschäftige, so sagen wir: ein Gespenst ist dasjenige, was die Menschen mit Angst und Entsetzen empfinden, ohne davon die nahe wirkende Ursache zu erkennen.

Ich will nicht läugnen, daß diese Erklärung die Gränzen einer vollkommenen Erklärung überschreite: mir ist genug, daß ich selbe auf alle Falle biegen, und anwenden könne. Einen wahren vollkommenen Begriff von einem Gespenste zu liefern, zu welchem sich in der besten Welt kein Urbild findet, deucht mir unmöglich zu seyn. Ich schmeichele mir dahero nicht ohne Grund, daß der Leser, der etwas höher sieht, und Vernunft mit Bescheidenheit in seinen Urtheilen paaret, diesen Fehltritt des Verstandes uns verzeihen werde. Denn dieser Unvollkommenheit in Bestimmung einer ächten Erklärung eines Gespenstes müssen sich die gelehrtesten Männer unterwerfen.

2. §. Vom Ursprunge der Gespenster.

Die Sündfluth ergoß sich über das ganze schuldige menschliche Geschlecht, um dessen Bosheit zu bestrafen. Sie hat sich wiederum gesetzet, aber die Bosheit der Menschen schwang sich nach selber noch höher empor. Wollen wir dem Alexandriner Bischofen Cyrillus a)[6] glauben, so war die Abgötterey vor dem Sündfluße eine unbekannte Sache. Nach demselben aber hat die undankbare Welt ihren Schöpfer verlassen, und sich GOttheiten erdichtet, die Undinge sind. Starke Finsternissen und scheußliche Wolken bedeckten die Welt, unter welchen der rohe Mensch seinen Sinnlichkeiten nachlief, und sogar das Licht der Natur unterdrückete.

Die Egyptier glaubten, die GOttheit regiere die Welt nicht unmittelbar, sondern durch untergeordnete Götter, die ihren Sitz in der Sonne, im Mond und Meer, und auf der Erde hatten; die den Einfluß aus dem Gestirne herabschicketen, und Gnaden austheilten, worauf das menschliche Schicksal beruhe. Diese war die Denkensart, diese waren die irrige Begriffe jener Völker, nach welchen sie sich selbsten Bildnissen entwarffen, oder am mindesten Sinnbilder vorstelleten, von denen man in der Folge der Zeiten das Sinn- und Lehrreiche wegließ, und sich selbsten GOttheiten daraus schuf. Die herrschende Neigung zum Sinnlichen trug sehr viel bei, um die gesetzte Schranken niederzureissen. Der sinnliche Mensch fand mehr Vergnügen an einem leeren Gegenstand, es gelüstete ihm mehr nach den eitlen Bildern als nach dem ächten Wege der Gerechtigkeit: er ließ also das Kernnichte der Religion fahren, und hielt sich an die Hülse. Er dachte bei seiner Anbethung weiter an nichts, als an die Bilder, die er aufgestellet sah; diese erklärte er sich nach seinen eigenen Gelüsten. Daher entstunden in Egypten die Fabeln, die Erscheinungen der Götter, die Verwandlungen nebst der ganzen Krame der verwirrten Götterlehre.

Nicht geringere Irrthümer enthielt die verworrene Lehre von der menschlichen Seele bei den Egyptiern. Sie glaubten, daß zwo Seelen in dem Körper wohnten. Eine sey die Triebfeder des thierischen Lebens, der Sitz der Gelüsten, und könnte zernichtet werden. Die andere sey eine vernünftige Seele, ihre Wesenheit sey aus Luft und allein den Göttern bekannt; sie könnte nicht zernichtet werden, weil sie unsterblich ist. Beide seyen miteinander enge verschwesteret, solange der Mensch lebe, nach dessen Tod stelle die Seele das Bildniß des Menschen noch vor, welches er im Leben hatte, würde aber wie ein Rauch verschwinden, wenn man es umfassen sollte. Homer b)[7] und viele andere geben dessen sicheres Zeugniß. Die erhabenen Seelen der Helden, und großen Männern, welche die Begierden besieget, und ihr Gemüth von den sinnlichen Gelüsten abgehalten haben, würden bei ihrem Tode von dem Bande der thierischen Seele aufgelöset, und unter die Reihe der Götter übersetzet. Niederträchtige Seelen aber, die den sinnlichen Gelüsten nachgelebet haben, hätten sich mit der thierischen Seele so enge vereiniget, daß sie sich von selber nicht losbinden könnten: sie müßten also nach dem Urtheile der Götter entweders mit ihrer Seele in die Hölle hinunterrollen, oder aber, wie Plato und Plutatch c)[8] vermeinen, bei ihren Gräbern auf dieser Erde herumschwärmen, bis gleichwohl die unsterbliche von der thierischen Seele rein, und befreyet wäre. Da nun sowohl die zu reinigende, als die ewig zu peinigende Seelen (welche unter dem Worte Larven vorkommen) sich zur Strafe bei ihren Gräbern auf der Erde aufhalten, wären sie öfters den Menschen erschienen, und hätten sich sichtbar dargestellet. d)[9] Doch stimmete die Lehre, welche die Heyden von der Seele hatten, nicht überein. Einige glaubten, daß die Seele den Leib so sehr liebe, daß sie von ihm nicht anders als durch die Fäule könne getrennet werden. Weil sie aber auch der groben Lehre der Seelenwanderung, e)[10] welche sie für eine Strafe der Götter hielten, beipflichteten, so haben sie die Leiber der Verstorbenen einbalsamirt, wie uns Servius bezeuget. f)[11] Diese einbalsamirten Körper werden heute zu Tage noch Mumien genennet. g)[12] Andere hielten dafür, daß diejenigen, welche eines gewaltsamen Todtes gestorben, bei den Gräbern so lange herumirren, erscheinen, und die Menschen schrecken müßten, als sie wurden gelebt haben, wenn sie ein gewaltsamer Tod aus der Zahl der Lebendigen nicht entrissen hätte. h)[13] Daher kommen annoch die vielen Geister-Erscheinungen und Gespenstermärchen bei den Richtplätzen, Schlachtfeldern etc.

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