An heiligen Wassern

An heiligen Wassern – Jakob Christoph Heer

Ein Roman aus dem Schweizer Hochgebirge. Wasser bedeutet Leben für die Bergbauern, die das kostbare Nass in hölzernen Leitungen an den Gletschern anbringen. Doch dieser Lebensstrom fordert auch immer wieder seine Opfer, deshalb sprechen die Walliser ehrfürchtig vom “Heiligen Wasser”. Wieder einmal droht die Lawine am Gletscherrand. Wenn sie kommt, zerschmettert sie unweigerlich die Leitungen, die das Wasser an den Wildwänden entlangführen. Und dann versiegen die Brunnen in St. Peter. Wieder findet sich ein Freiwilliger, der in die Wand geht, um die Dorfbewohner zu retten. Wieder spielt sich das Schicksal zwischen Abhängigkeit, Mißgunst, Eifer, Hass und Liebe ab. Wird die mutige Arbeit eines einzelnen eine Änderung bringen? Wird sein Werk schliesslich den unsinnigen Menschenopfern ein Ende machen? Und wird die geliebte Frau auf ihn warten?

An heiligen Wassern

An heiligen Wassern.

Format: eBook

An heiligen Wassern.

ISBN eBook: 9783849655877.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Dörfer und Flecken, selbst eine kleine Stadt, deren Wahrzeichen zwei altersgraue Ruinen auf kahlem Felsen sind, erheben sich mit südlichen Silhouetten am Strom, der seine grauen Wellen aus dem Hochgebirge wälzt.

Im Thalwind erzittern die schlanken Ruten der Silberweiden und die Blätter der Pappeln, welche die Wasser säumen, über die Hütten neigen sich der Kastanien- und der Feigenbaum, die Rebe klettert über das Gestein, das Land ist licht und üppig, als wär’s der Traum eines italienischen Malers.

Von Stelle zu Stelle aber schaut durch grüne Waldeinschnitte ein fernes, in sonniger Schönheit aufleuchtendes Schneehaupt in die Stromlandschaft und erinnert den Wanderer, daß er just da im Hochgebirge geht, wo es seine Zinken und Zacken am höchsten erhebt.

Emsige Wildwasser, die aus dunklen Schluchten hervorbrechen, reden von stillen Seitenthälern, die hinter träumenden Lärchenwäldern versteckt bis an die ewigen Gletscher reichen.

Fast unvermittelt berühren sich in dieser Gegend Nord und Süd.

Vom alten Flecken Hospel, auf den ein graues Schloß niederschaut, führt eine schmale, doch fahrbare Straße in eines dieser Seitenthäler, in das vier Stunden lange Glotterthal, aus dessen, Hintergrund die Krone, eines der erhabensten Bergbilder des Landes, mit dem Licht ihrer Firnen bis zum Strome herniedergrüßt.

Ein heißer, brümelnder Junimittag. Auf dem Glotterweg, der sich zuerst in manchen Kehren durch die Weinbergterrassen von Hospel windet, fährt ein leichter Leiterwagen langsam bergan. Der Mann, der neben ihm geht, ein halb sonntäglich gekleideter Vierziger, der für einen Gebirgsbauern zu vornehm aussieht, trägt im glattrasierten Gesicht, das ein dunkler Filz überschattet, und in der ganzen Erscheinung doch das Wesen der Gebirgsbewohner dieser Gegend: hünenhafte Kraft, Ruhe und eine gewisse Verschlagenheit.

“Guten Tag, Presi,” rufen die Frauen, die mit umgeschlagenen roten Tüchern im Sonnenbrand der Reben stehen. “Wohl, wohl, das langt wieder eine Weile!” Und sie deuten lachend auf das Fäßchen, das auf einer Strohunterlage im Wägelchen liegt.

“Ja, es thut’s!” erwiderte er den Gruß kurz, doch mit freundlichem Wort. Er bläst die Rauchwolken einer Zigarre in die Luft und tätschelt den Hals des Tieres: “Kleiner, es geht bergan, wehre dich, am Schmelzwerk wartet die Galta auf dich, wehre dich.”

Als habe das struppige zähe Pferd Verständnis für seine Zurede, reißt es mit jeder Liebkosung stärker an den Strängen, aber von Zeit zu Zeit nötigt es der steile ausgewaschene Weg, mit dem Wägelchen stille zu stehen und Atem zu schöpfen. Dann fliegt ein Zug der Ungeduld über das Gesicht des Mannes, doch er faßt sich, legt einen Stein unter das Rad und wartet ruhig, bis das Tier von selber den mühsamen Zug wieder aufnimmt.

Langsam geht die Fahrt, doch wer ins Glotterthal fuhrwerkt, ist sich dessen gewöhnt.

“Am Schmelzwerk wartet die Galta auf dich,” wiederholt der Führer. Aber von Hospel bis zum Schmelzwerk sind es drei Stunden zu Fuß, mit dem Fuhrwerk noch mehr, und dann ist es noch eine Stunde nach dem Dorfe St. Peter, das weltverloren unter den Firnfeldern der Krone liegt.

Der Weg windet sich, wenn er die Rebberge von Hospel verlassen hat, in eine Felsenschlucht, über der alte Föhren ihre blaugrünen Schirme halten, dann berührt er in dem sich weitenden Thal die Dörfer Fegunden und Tremis, die mit sonngedunkelten Holzhäusern auf grüner Wiesenhalde liegen, und wird eben.

Tief unter ihm gischtet der Fluß in der Felsenschlucht, die altersgrauen Lärchen neigen sich darüber und schwanken im Luftzug, Bergnelken hangen über die Ränder und verzieren den Abgrund mit blühendem Rot.

Nur das Rauschen der Glotter und das gleichförmige Ticktack der Merkhämmer einer großen Wasserleitung, die in entlegener Höhe dahinführt, unterbrechen die Stille des Thales.

Die Leitung heißt, das “helige Wasser” und befruchtet die sonnenglühenden Weingärten, die Aecker und Wiesen Hospels und der fünf Dörfer, die um den Flecken liegen.

Wenn man drei Stunden bergauf und ebenhin über schmale Mattenstreifen gegangen ist, kommt man zu der alten verwitterten Kapelle der Lieben Frau, wo der Weg auf einem vielhundertjährigen vermoosten Brückenbogen über die Schlucht nach dem Schmelzwerk St. Peter hinüberspringt.

Um die halb zerfallenen Gebäude des ehemaligen Bergwerkes dehnt sich des Teufels Garten.

Auf Hügeln alter verglaster Schlacken blüht der rote Mohn, die Königskerze reckt ihre goldigen Blütenschäfte, das Singrün spinnt seine blauen Blumenketten um die Scherben, allerlei blühender Wust und viele Brennesseln wuchern zwischen ihnen empor, stahlblaue Fliegen und Schmetterlinge gaukeln über die wilde Pracht.

An einem verkrüppelten Ahorn stand an jenem Nachmittage, wo Peter Waldisch, der Präsident von St. Peter, durchs Thal fuhr, eine Mauleselin angebunden. Sie schüttelte den Kopf, scharrte mit dem linken Vorderfuß und erhob trotz dem Schatten, den ihr die Ruine spendete, von Zeit zu Zeit ein klägliches Geschrei. Dann tauchte aus der wilden Ueppigkeit der bunt bekränzte Schwarzkopf eines Mädchens auf, das auf den bloßen braunen Armen ein übermächtiges Bündel von Blumen trug. “Ich komme. Galta, ich komme,” rief sie dem Tier begütigend zu, dann verschwand die ganze Gestalt wieder in den Wogen des Sommerwustes, bis sie so viel Blumen an die Brust drückte, als ihr Arm fassen konnte. Da watete sie endlich aus der Wirrnis. Ihr kurzes Röckchen schützte sie nur bis wenig unter die Kniee, aber gewandt wie ein Wiesel wich sie den vielen Brennesselbüschen aus, die ihre nackten Füße und Waden bedrohten. Eine lebendig gewordene Bronzefigur, Gesicht, Arme, Füße sonnengebräunt, war sie fast so wild wie die Wildnis, die sie durchschritt, im Kopf standen ein paar feurige Augen, wie die einer Zigeunerin; doch sah man dem Mädchen gleich an, daß es kein Bauernkind war, dafür war alles an ihr zu zart und zu fein.

Sie eilte mit leichten Füßen über die Brücke zu der alten Kapelle, kniete nieder und steckte ihre Blumen in das hölzerne Vorgitter des kleinen Gotteshauses, so daß es bekränzt war wie für ein Fest.

“Das wird die Mutter Gottes freuen!” sagte sie, ihr Werk betrachtend.

Plötzlich horchte sie neugierig und verwundert in die blaue warme Luft. Ein Rollen wie von fernem Gewitter ging durch die Stille des Nachmittags. Es war Lawinendonner, den die Luft von den Bergen herniedertrug. Am schmalen Himmelsband über dem Thal waren weiße Föhnstriche hingeweht, die Schläge der Frühsommerlawinen und kleinen Gletscherbrüche lebhafter denn sonst.

Jetzt blickte sie von der Kapelle den Weg hinab und legte die Hand zum Schutz gegen die brennende Sonne über die dunklen Augen.

Der Vater kam noch nicht, dafür zwei Kinder mit Tragkraxen, beide mit Bergstöcken in der Hand.

…..

 

 

Dieser Beitrag wurde unter H, Heer-Jakob Christoph, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.