Apostolische Konstitutionen und Kanones

Apostolische Konstitutionen und Kanones – Dr. Ferdinand Boxler

Die unter dem Namen “Constitutiones Apostolicae” bekannte Schrift kommt in ihrer gegenwärtigen Gestalt erst in der kirchlichen Literatur des vierten Jahrhunderts zum Vorschein. Sie umfaßt acht Bücher von ziemlich ungleichem Umfang, die in Kapitel eingeteilt sind. Die sechs ersten Bücher bilden sozusagen den Kristallisationskern der ganzen Sammlung, scheinen längere Zeit als selbstständiges Werk in Gebrauch gestanden zu haben und sind, inhaltlich betrachtet, in gewissem Sinn ein geschlossenes Ganzes, unabhängig von den zwei folgenden Büchern, die zum Teil Wiederholungen, ja sogar Widersprüche zu den sechs ersten darbieten. Zu Anfang des sechsten Jahrhunderts erschienen die apostolischen Kanonen bereits als 47. Kapitel des achten Buches der apostolischen Konstitutionen und bildeten den Schluß dieses Werkes . In den Kodizes der Konstitutionen sind unsere Kanones regelmäßig in 76 Nummern zerlegt, in den Handschriften der alten Canonensammlungen dagegen in 85, wie wir es schon bei Johannes Scholastikus vorfinden.

Apostolische Konstitutionen und Kanones

Apostolische Konstitutionen und Kanones.

Format: eBook/Taschenbuch

Apostolische Konstitutionen und Kanones.

ISBN eBook: 9783849660680

ISBN Taschenbuch: 9783849667726

 

Auszug aus dem Text:

Einleitende Notizen

Die sogenannten Apostolischen Constitutionen u. Canonen

 Diese beiden Schriftwerke sind zwar apokryphisch und rühren in der Gestalt, in welcher sie auf uns kamen, weder von einem einzelnen der Apostel, noch von deren Gesammtheit her, wie der Inhalt klar ersehen läßt. Zwar las man die apostolischen Constitutionen in alter Zeit da und dort in den Kirchen öffentlich vor; allein schon Väter des 4. Jahrhunderts zogen deren apostolischen Ursprung zum mindesten in Zweifel oder stellten ihn auch geradezu in Abrede. Günstiger war — wenigstens im Orient — das Urtheil bezüglich der apostolischen Canonen.

Die griechische Synode im Trullo (zu Constantinopel) 692 erklärt: „Die hl. Synode beschließt, daß die 85 Canones der hl. Apostel jetzt und in Zukunft fest und unverrückt bleiben sollen. Weil uns aber in diesen geboten wird, auch die von Clemens gesammelten Constitutionen derselben Apostel anzunehmen, welche die Ketzer schon lange durch unächte der Kirche fremde Zusätze verdorben und dadurch das schöne und reine Bild göttlicher Dogmen verdunkelt haben, so haben wir für dienlich erachtet, diese Constitutionen aus der Zahl der hl. Schriften zu entfernen.„ Somit waren die Constitutionen im Gegensatze zu den Canones, welche man im Orient für ein Werk der „heiligen und ehrwürdigen Apostel“ hielt, auch in der morgenländischen Kirche officiell als unächt verworfen, und im Abendlande, wo schon das decretum Gelasianum sie kurzweg als Apokrypha erklärt hatte, geriethen sie fast ganz in Vergessenheit bis ins 16. Jahrhundert.

Im Abendlande hatte man auch die apostolischen Canonen, soweit sie dort verbreitet waren, schon früher als nichtapostolisch erkannt (Hefele, Concil. Gesch. Bd. I. S. 769). Als daher im 16. und 17. Jahrhundert wieder eingehendere Untersuchungen über die Constitutionen und Canonen angestellt wurden, ward deren apostolischer Ursprung nur mehr sehr vereinzelnt vertheidigt. Dermalen erscheint ihre Unächtheit als wissenschaftlich ausgemacht. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß vieles Einzelne in ihnen aus den Zeiten der Apostel kommen könne.

Beide Schriften kommen bald vereinigt vor, so daß die Canones dem achten Buche der Constitutionen als 47stes Kapitel angehängt sind, bald von einander getrennt, wie sie es auch der äußeren Form nach schon sind; wir ziehen dieselben in gegenwärtiger Einleitung ebenfalls gesondert in aller Kürze in Betracht.

1. Die apostolischen Konstitutionen.

Die unter dem Namen „constitutiones apostolicae“ (διαταγαίδιατάξεις oder auch διδαχα τν ποστόλων) bekannte Schrift kommt in ihrer gegenwärtigen Gestalt erst in der kirchlichen Literatur des vierten Jahrhunderts zum Vorschein. Sie umfaßt 8 Bücher von ziemlich ungleichem Umfange, die in Kapitel zerfällt sind.

Die sechs ersten Bücher bilden so zu sagen den Krystallisationskern der ganzen Sammlung, scheinen längere Zeit als selbstständiges Werk in Gebrauch gestanden zu haben und sind, inhaltlich betrachtet, in gewissem Sinn ein geschlossenes Ganzes, unabhängig von den zwei folgenden Büchern, die zum Theil Wiederholungen, ja sogar Widersprüche zu den sechs ersten darbieten.

Das erste Buch (περ λαϊκν) enthält in 10 Kapiteln Mahnungen gegen Geiz, Haß, Rachsucht, Luxus, Trägheit und gegen die Lectüre heidnischer Schriften; dagegen wird die Lesung der hl. Schriften dringlich empfohlen, sofort noch von den schlimmen und guten Eigenschaften der Frauen gehandelt.

Das zweite Buch verbreitet sich ohne feste Ordnung in 63 Kapiteln über die Eigenschaften und Pflichten hierarchischer Personen (περ πισκόπωνπρεσβυτέρων κα διακόνων); es handelt besonder eingehend unter steter Bezugnahme auf die Paulinischen Pastoralbriefe von den Eigenschaften, der Stellung und Hirtenthätigkeit des Bischofs, zumal in Beziehung auf die Sünder; sehr ausführlich sodann auch von den Diakonen und ihrem Wirkungskreis, verhältnißmäßig kurz von den Priestern. Auch vom christlichen Gottesdienste und seiner Besorgung durch den Klerus ist in Kürze die Rede.

Das dritte Buch umfaßt 20 Kapitel, die zum großen Theil von den Wittwen handeln, den moralischen Eigenschaften, Pflichten und Rechten derselben, sowie von den liturgischen Functionen, deren Vornahme ihnen untersagt ist.

Kap. 16—18 verbreitet sich über die Taufe, Kap. 19 bis 20 über die Eigenschaften der Diakonen und die Ordination der Bischöfe.

Das vierte Buch handelt von den Armen und insbesondere von den Waisen, für deren Erziehung unter Leitung des Bischofes weise Obsorge zu tragen ist. Die Mittel zur Unterstützung der Armen und Waisen sind aus den kirchlichen Oblationen zu entnehmen, von deren Darbringung aber gewisse Gattungen Menschen grundsätzlich auszuschließen sind. (Kap. 1—10.) Zuletzt wird das Verhältniß von Eltern und Kindern, Herren und Knechten, Obrigkeit und Unterthanen (Kap. 11—13) besprochen und verhältnißmäßig kurz auch über den Stand der Virgines das Nöthigste bemerkt.

Im fünften Buch (περ μαρτύρων) wird Kap. 1—12 die Sündhaftigkeit im Bekenntniß des Glaubens bis zum Blutvergießen nach Christi und seiner Heiligen Vorbild und im freudigen Hinblick auf die künftige Auferstehung verherrlichet, auch von dem Gegentheile, nämlich dem Glaubensverrath, sowie vor dem gewarnt, was zu ihm führt; auch wird den Verfolgern gegenüber Klugheit empfohlen.

Kap. 13—20 enthalten interessante Aufschlüsse über Festfeier und Fasten in altchristlicher Zeit.

Das sechste Buch (περ σχισμάτων) spricht sich im Hinweis auf das jüdische und christliche Sektenwesen gegen alle Spaltungen aus und stellt den häretischen Verirrungen gegenüber die Lehre der Apostel als das hin, woran man fest zu halten habe (Kap. 1—14); dann werden noch einige specielle Irrthümer in Disciplinarsachen zurückgewiesen (15—16) und sofort in Kap. 17 von der Ehe und respective dem Cölibat der Geistlichen gehandelt. Nach wiederholter Warnung vor Häresie wird schließlich das Verhältnis des Christenthums speciell zum Judenthum (merkwürdige Auffassung des letzteren!) und zum Heidenthum des Näheren besprochen und vor jüdischen wie heidnischen Verirrungen gewarnt. (Kap. 18—30).

Diese ersten sechs Bücher sind ohne Zweifel das Werk eines Verfassers, welcher die Apostel sagen läßt, was er sagen wollte, und so die kirchlichen Einrichtungen, wie sie zur Zeit und in der Gegend des Verfassers waren, als bereits und in allweg von den Aposteln getroffen darstellt. „Er wollte ein Buch schreiben. aus welchem sich jeder Christ über seine Religion und über das Christenthum, wie es damals in der Wirklichkeit bestand, sollte belehren und von dem Einzelnen und Ganzen sich einen solchen Begriff verschaffen können, daß er verstände, was sich im Leben der Kirche bewegte und seinerseits darin einzugreifen fähig wäre; oder um es in der Sprache unserer modernen Büchertitel auszudrücken, er wollte ein Religionshandbuch für seine Zeit schreiben.”1 Damit dieses um so größeres Ansehen genieße, fingirt er die Apostel als Verfasser, was ihm um so weniger als bedenklich erscheinen mochte, da er wohl der festen Ueberzeugung gewesen sein wird, die Einrichtungen u. s. w., die er beschreibe, stammen — wenn nicht alle, so doch zum größern Theil — aus der apostolischen Zeit. Drey ist auf Grund eingehender Untersuchungen bezüglich des Inhaltes der ersten sechs Bücher zu dem jetzt fast allgemein als richtig acceptirten Resultate gelangt, dieselben seien in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts und zwar in Syrien verfaßt worden. 2 Selbstverständlich ist, daß viele der Gesetze, Einrichtungen u. s. w., von denen sie uns berichten, in eine frühere Zeit hinaufreichen; nicht wenige mögen wirklich apostolischen Ursprunges sein. —

Im siebenten Buche werden von Kap. 1—21 die zwei Wege, der Weg des Todes und des Lebens, gekennzeichnet, die Sünden, welche der Christ meiden, die Tugenden, welche er üben soll, des Nähern besprochen; man hat diese erste Parthie des Buches ganz passend als Sittenspiegel der Christen bezeichnet. Der zweite Theil (Kap. 22—49) ist eine Art liturgisches Sammelsurium, enthält doppelten (Kap. 22 und zusammenhängend Kap. 39 bis 45) Bericht über die Taufe, dann zahlreiche Gebetsformularien, deren einige bei der Meßliturgie, andere außerhalb derselben in Anwendung gebracht werden konnten. Das ganze Buch trägt die passende Überschrift: περ πολιτείας (= christliche Disciplin) κα εχαριστίας (Opferfeier) κα τς κατ Χριστν μνήσεως (Katechumenat und Taufe), hat unstreitig einen anderen Verfasser als die ersten sechs Bücher und ist in der Zeit des Überganges vom Sabellianis- mus zum Arianismus, also zu Anfang des vierten Jahrhunderts verfaßt. (Drey a. a. O. S. 84—103.)

Das achte Buch kann man — abgesehen von einigen fremdartigen Zuthaten — als ein Pontificale der alten Kirche bezeichnen. Es enthält außer einem vollständigen Formular für die Meßliturgie auch Formularien für die Weihe von Bischöfen. Presbytern, Diakonen und Subdiakonen, Lektoren, Exorcisten, ein Formular für Öl- und Wasserweihe, den Ritus der Tagzeiten, welche öffentlich und feierlich gehalten werden (Matutin-, Laudes- und Lucernar- Vesper), auch Vorschriften über Erstlinge, Zehnten u. s. w.

Während die sechs ersten Bücher die Gestalt eines langen Sendschreibens haben, von welchem sich im Eingange die Apostel als Verfasser ankünden, im Übrigen aber die Rede ununterbrochen fortläuft wie in einem Briefe, woran das siebente Buch wie eine Fortsetzung sich anschließt, nimmt das achte Buch auf einmal die Gestalt von dem Protokoll einer gesetzgebenden Versammlung an. Die Apostel erscheinen als an einem Ort versammelt, und es tritt nun einer nach dem andern auf und macht ein Gesetz mit der Formel: Ich N. N. sage oder verordne. Die einzelnen Vorschriften des Buches präsentiren sich als διατάξεις der einzelnen, sich mit Namen nennenden Apostel. Schon diese, dem achten Buch ganz eigenthümliche Art der Conception läßt — von vielen andern Gründen ganz abgesehen —- mit Sicherheit erschließen, daß sein Verfasser resp. Redactor (denn es ist eine Sammlung) von dem der andern Bücher verschieden ist. In seiner gegenwärligen Gestalt dürfte das 8. Buch aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts zu datiren sein; übrigens gehören die mehreren seiner Bestandtheile sicherlich einer früheren Zeit an, was ganz besonders von der herrlichen Meßliturgie gilt, welche so recht als die kostbarste Perle der apostolischen Constitutionen erscheint und in ihren Grundzügen wirklich apostolischen Ursprungs sein dürfte. 3

Nach Drey hätte der Verfasser des 8. Buches auch die Verbindung desselben mit den sieben andern Büchern bewerkstelliget, und zwar bald nach der Mitte des 4. Jahrhunderts, und würden hiernach die apostolischen Constitutionen als Ganzes, als vollständige Sammlung aus der bezeichneten Zeit zu datiren sein.

„Für den Theologen und insbesondere für den Freund der Kirchengeschichte erscheinen die Constitutionen immer als ein Werk, welches eine so anschauliche Darstellung des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Verhältnisse darbietet und darüber einen solchen Reichthum von Nachrichten enthält, wie kein anderes …. Der Kenner der Dogmengeschichte wird in der Dogmatik unserer Constitutionen ein getreues Bild von der Entwicklung des christlichen Lehrbegriffes finden, soweit sie unmittelbar vor dem Ausbruch des Arianismus gediehen war… Der Freund der Liturgie wird erfreut sein, das älteste Muster der christlichen Gottesverehrung, in seiner ganzen Gestalt vom Anfang des vierten Jahrhunderts, in seinen wesentlichen Elementen aber viel älter, vor sich zu haben und in der Anpassung dieser Liturgie an die besondern geistigen Bedürfnisse der verschiedenen Klassen von Menschen, in welche die Gemeinde zerfällt, in der Universalität und Mannigfaltigkeit, womit sie alle Arten der christlichen Andacht ausdrückt, sowie in der Weise, wodurch sie die Anwesenden zum Mitempfinden, Mitbeten, Mithandeln nöthigt, die schöpferische Kraft der Kirche bewundern. Der Forscher der Geschichte des Kirchenrechtes und der Kirchenverfassung sieht hier das Kirchenregiment in seiner ersten Einfachheit: den Körper der Kirche auf eine der damaligen, von außen bedrängten, von innen durch ächte christliche Bruderliebe und die Macht der Geduld starken Lage entsprechende Weise organisirt. Die Veränderung der Zeiten und Verhältnisse hat jene Organisation aufgelöst, und diese Auf- lösung hat ein Zerfließen in freier Selbstigkeit, aber dann auch ein Zerrinnen des christlichen wie des kirchlichen Gemeingeistes zur Folge gehabt. Um so theilnehmender verweilt der Blick bei jener Organisation, welche kaum mehr herzustellen und durch Nichts zu ersetzen ist. Im Ganzen aber stellen die Constilutionen das Bild der orientalischen Kirche von der Mitte des dritten bis gegen die Mitte des vierten Jahrhunderts dar: jünger ist von allen Einzelnheiten Nichts, älter aber natürlich Vieles, was sich aus Begleichung mit anderen alten Schriften finden läßt: was nicht in diese Klasse fällt, gehört der gedachten Periode an. Die Constitutionen füllen daher in der Reihe der kirchenhistorischen Quellen glücklich eine Lücke aus, indem es uns gerade von der Mitte des dritten bis gegen die Mitte des vierten Jahrhunderts daran am meisten fehlt.“ (Drey a. a. O. S. 198 ff.)

Die beste der früheren Druckausgaben der apostolischen Constitutionen ist die von Cotelier (Cotelerius), Paris 1672 (später wiederholt gedruckt in Antwerpen und in Amsterdam); sie bietet den griechischen Originaltext sammt lateinischer Übersetzung und sehr gelehrten Anmerkungen. Neuestens wurden Ausgaben besorgt von Ültzen (1853) und von Lagarde (1863). Unserer Übersetzung ist die Ausgabe von Cotelier zu Grunde gelegt.

  …

Dieser Beitrag wurde unter Die Schriften der Kirchenväter veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.