Briefe an Olympias und Papst Innocentius

Briefe an Olympias und Papst Innocentius – Johannes Chrysostomos

In einer Auswahl der wichtigsten patristischen Werke müssen ohne Zweifel auch die Briefe des heiligen Chrysostomus vertreten sein, denn sie erheben gerechten Anspruch auf unser Interesse als reichhaltige Quellen für die damalige Geschichte der Kirche, als Beiträge zur Charakteristik des ehrwürdigen Verfassers, als ergiebige Fundgruben christlicher Lebensweisheit, ihrer formalen Vorzüge nicht zu gedenken. Selbstverständlich gehören dazu auch die Werke, die Chrysostomos während des Quasimartyriums einer dreijährigen Verbannung verfasst hat, und die sich vielfach zu Erbauungsschriften gestalteten. So ist es besonders mit den Briefen an Olympias, die einen reichen Schatz gesunder Aszese bergen und namentlich das Thema von der Heilsamkeit der Leiden in vielen Variationen und auf die ansprechendste Weise behandeln. Die heilige Diakonissin Olympias hingegen, an welche er siebzehn Briefe gerichtet hat, wird uns als eine in jeder Beziehung hervorragende Persönlichkeit geschildert. Sie war aus edlem Geschlecht, Enkelin des Ablavius, Obersten der kaiserlichen Leibwache unter Konstantin dem Großen. Nachdem sie schon in früher Kindheit ihre noch heidnischen Eltern verlor, hatte sie das Glück, dass die fromme Theodosia, Schwester des heiligen Amphilochus, sich ihrer mütterlich annahm. Als Erbin unermeßlicher Reichtümer, als vielbewunderte Schönheit, und zugleich geschmückt mit den herrlichsten Vorzügen des Herzens und des Geistes, wurde sie schon in zarter Jugend von hochgestellten Männern zur Ehe begehrt.

Briefe an Olympias und Papst Innocentius

Briefe an Olympias und Papst Innocentius.

Format: eBook/Taschenbuch

Briefe an Olympias und Papst Innocentius

ISBN eBook: 9783849660154

ISBN Taschenbuch: 9783849668037

 

Auszug aus dem Text:

 

Erster Brief.

1.

Dem römischen Bischof Innocentius, meinem ehrwürdigsten Herrn, dem gottseligen Bischof Innocentius Gruß im Herrn von Johannes.

Zwar glaube ich, daß ihr schon vor Ankunft meines Schreibens von dem Frevel gehört habt, der hier verübt worden ist; denn Das, was hier vorgekommen, ist so schrecklich, daß es fast kein Land in der bewohnten Welt gibt, wo nicht die Kunde von dem entsetzlichen Trauerspiel hingedrungen wäre; und das Gerücht hat diese Ereignisse selbst bis an die Grenzen der Erde hingetragen und überall große Trauer und Klagen hervorgerufen. Weil aber unsere Zustände nicht bloß Wehklagen, sondern auch Besserung fordern, und weil darauf Bedacht zu nehmen ist, diesem gewaltigen Sturm, der die Kirche heimsucht, ein Ziel zu setzen: darum habe ich für nothwendig gehalten, meine ehrenwerthen Herren, die frommen Bischöfe Demetrius, Pansophius, Pappus und Eugenius zu bestimmen, ihre eigenen Gemeinden zu verlassen und sich auf das weite Meer hinauszuwagen, die lange Reise zu unternehmen und zu euch hinzueilen, Alles genau zu berichten und möglichst schnelle Abstellung der Übelstände in’s Werk zu setzen. Auch habe ich ihnen meine ehrenwerthen und theuren Diakonen Paulus und Cyriakus als Begleiter mitgegeben und will nun selbst brieflich das Geschehene in Kürze mittheilen.

Gegen Theophilus, der mit der Leitung der Kirche von Alexandrien betraut ist, waren bei dem gottesfürchtigen Kaiser einige Klagen eingelaufen, weßhalb dieser ihn aufforderte, sich ohne Begleitung hierher zu verfügen. Theophilus erschien aber mit einem Gefolge von ägyptischen Bischöfen in beträchtlicher Anzahl, als ob er von vornherein bekunden wollte, daß er gekommen sei, um Krieg zu führen und einen Kampf zu beginnen. Angekommen in der großen und fromm gesinnten Stadt Konstantinopel hat er es dann unterlassen, nach der Gewohnheit und alt hergebrachten Ordnung die Kirche zu besuchen, er ist nicht mit mir zusammengekommen, hat nicht mit mir gesprochen und hat auch die Gemeinschaft des Gebetes und des heiligen Abendmahles gemieden. Er ist vielmehr, nachdem er das Schiff verlassen hatte, an den Pforten der Kirche vorüber geeilt und hat ausserhalb der Stadt seine Wohnung genommen; und obgleich ich ihn sowohl als seine Begleiter oft und dringend ersuchte, bei mir abzusteigen (es war nämlich Alles in Bereitschaft, Wohnungen und was sonst dazu gehörte), kamen weder sie noch er meiner Einladung nach. Mich erfüllten diese Erfahrungen mit großer Besorgniß und Verlegenheit, da ich nicht einmal einen Grund für diese ungerechte Feindseligkeit zu finden vermochte. Gleichwohl wurde von meiner Seite Nichts versäumt. Ich that, was Pflicht und Anstand erheischten; ich lud ihn wiederholt ein, mich zu besuchen und mir zu sagen, was ihn doch bewogen habe, sofort einen solchen Krieg zu eröffnen und in einer so großen Stadt den Samen der Zwietracht auszustreuen.

Da er sich nun aber nicht verantworten wollte, und andererseits seine Kläger ungestümer wurden, beschied mich der gottesfürchtige Kaiser zu sich und gab mir den Auftrag, mich zur Wohnung des Theophilus zu begeben und zu hören, was gegen ihn vorgebracht wurde. Man legte ihm nämlich gewaltthätige Angriffe, Mord und vieles Andere zur Last. Allein ich habe dieses Richteramt nicht angenommen, sondern sogar mit der größten Entschiedenheit ausgeschlagen. Denn ich kannte gar wohl die Gesetze der Väter; ich ehrte und achtete auch den Mann und ich besaß einen Brief von ihm, des Inhalts, es sei nicht zulässig, die gerichtlichen Klagen und Verhandlungen über die Grenzen der Provinz hinaus zu ziehen, und was in dieser oder jener Provinz vorgekommen, müsse auch in derselben Provinz erledigt werden. Um jetzt aber seine frühern Feindseligkeiten noch zu überbieten, rief Theophilus meinen Archidiakon zu sich, ganz wie ein unumschränkter Herrscher auftretend, und brachte durch dessen Hilfe, als ob die Gemeinde schon verwaist sei und keinen Bischof habe, die ganze Geistlichkeit auf seine Seite. Die Kirchen geriethen in Aufruhr, indem die Geistlichen an den Kirchen sich verführen ließen, und sich anschickten, mich zu verklagen und Klageschriften gegen mich einzureichen. Nachdem er es so gemacht, ließ er mich durch einen Boten vor Gericht fordern, obgleich er die gegen ihn erhobenen Anklagen noch gar nicht widerlegt hatte, — was doch sehr gegen die Kanones und gegen alle Gesetze verstieß.

 

2.

Ich wußte sehr gut, daß ich nicht vor einem Gerichte erscheinen sollte (denn dann wäre ich fürwahr tausend Mal zu kommen bereit gewesen), sondern vor einem Feind und Widersacher, wie die frühern und die letzten Vorkommnisse gezeigt hatten. Daher schickte ich zu ihm die Bischöfe Demetrius von Pisinus, Eulysius von Apamia, Lupicinus von Appiaria, und die Priester Germanus und Severus, und ließ ihm durch sie in bescheidener und geziemender Weise die Antwort überbringen: ich wolle nicht einem Gerichte ausweichen, wohl aber dem offenkundigen Gegner und unverkennbaren Feind. Denn der Mann, der schon vor dem Empfang von Klageschriften von Anfang an ein solches Verhalten beobachtet, der sich von der Gemeinschaft der Kirche, der heiligen Kommunion, des Gebetes losgerissen, der den Klerus verführt habe und die Kirche verwüste: ob Das der rechte Mann sei, um den Richterstuhl zu besteigen, der ihm in keiner Weise zukomme? Denn es sei nicht in der Ordnung, daß über Denjenigen, der in Thracien wohne, ein Ägyptier zu Gericht sitze, und Das noch gar ein Mann, gegen den selbst noch eine Anklage schwebe, überdieß des Verklagten Feind und Widersacher! Allein obschon ich damit kund gegeben hatte, daß ich bereit war, mich vor hundert und auch vor tausend Bischöfen von den Anschuldigungen zu reinigen, und meine Schuldlosigkeit zu beweisen (wie ich denn wirklich schuldlos bin), so ging er trotzdem nicht darauf ein, sondern eilte ohne Scheu zu vollenden, was er beschlossen hatte. Während ich abwesend war, an eine Synode appellirte, eine gerichtliche Untersuchung forderte, und mich nicht einem Verhör, sondern nur der offenkundigen Feindseligkeit zu entziehen suchte: ließ er sich trotzdem mit den Klägern ein, löste Diejenigen vom Banne, die ich von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen hatte, nahm von ihnen sogar Anklageschriften an, noch ehe sie sich wegen der ihnen zur Last gelegten Vergehen gerechtfertigt hatten, und ließ von ihnen Denkschriften ausarbeiten — was doch Alles gegen das Gesetz und gegen die Vorschriften der Kanones war. Wozu soll ich noch ausführlicher sein? Er ließ nicht ab, alles Mögliche in’s Werk zu setzen, bis er mich aus eigener Macht und Gewalt aus der Stadt und aus der Kirche vertrieben hatte, obgleich es bis in den späten Abend dauerte, und das ganze Volk hinter mir her zog. Ich wurde von dem Polizeibeamten mitten durch die Stadt gezogen, mit Gewalt geschleppt und abgeführt, in ein Schiff hineingeworfen und während der Nacht hinwegbefördert, ― weil ich zum Zwecke eines gerechten Verhörs an eine Synode appellirt hatte. Wer mag Das ohne Thränen anhören, hätte er auch ein Herz von Stein? Weil nun aber, wie ich schon vorhin sagte, die unheilvollen Zustände nicht bloß beklagt, sondern auch gebessert sein wollen, darum bitte ich eure Liebe dringend, sich zu erheben und unsere Schmerzen mitzufühlen, und Alles aufzubieten, damit dieses Unheil sein Ende finde. Denn damit hörte bei ihnen die Mißachtung aller Gesetze noch nicht auf, sondern es traten zu den alten weitere Vergehen zu Tage. Als nämlich der gottesfürchtige Kaiser sie nunmehr wegen ihres schamlosen Eindringens in die Kirche hinauswies, und viele der anwesenden Bischöfe, denen ihre allem Recht und Gesetz widersprechende Handlungsweise bekannt war, in ihre Gemeinden zurückkehrten und den Besuch jener Menschen scheuten und flohen wie eine Feuersbrunst, die Alles verheert: da wurde ich zwar in die Stadt und in die Kirche zurückgerufen, aus der man mich ungerechter Weise hinausgetrieben hatte (mehr als dreissig Bischöfe führten mich ein, und der fromme Kaiser hatte einen öffentlichen Schreiber dazu abgesandt); Jener aber [Theophilus] suchte sofort das Weite — warum und weßwegen? Ich ging dann zu dem gottesfürchtigen Kaiser und bat ihn, zur Bestrafung der vorgekommenen Vergehen eine Synode zu versammeln. Theophilus war sich seiner Übelthaten bewußt und fürchtete die Untersuchung; darum hat er, während kaiserliche Briefe, überall hingeschickt, Alle von allen Seiten her zusammen riefen, sich ganz heimlich und mitten in der Nacht in ein Schifflein geworfen und so sammt seinem ganzen Anhang die Flucht ergriffen.

 

3.

Ich hörte aber trotzdem nicht auf, da mir mein gutes Gewissen Muth und Vertrauen gab, dem gottesfürchtigen Kaiser wieder dieselbe Bitte vorzutragen. Er that, was seine fromme Gesinnung erwarten ließ: er sandte wieder zu ihm, um ihn und alle seine Anhänger wieder aus Ägypten herbeizurufen, damit sie sich wegen der vorgekommenen Ungehörigkeit verantworteten, und nicht etwa Das für eine genügende Rechtfertigung hielten, was so ungerechter Weise, von einer Partei, in meiner Abwesenheit und im Widerspruch mit so vielen Kirchengesetzen in’s Werk gesetzt war. Theophilus ließ sich aber auch durch den kaiserlichen Brief nicht bewegen zu kommen, sondern blieb zu Hause, wozu ihm ein Volksaufstand, d. h. der unzeitige Eifer einiger Leute, die allerdings zu ihm hielten, den Vorwand liefern mußte. Hatte ihn doch vor dem kaiserlichen Briefe eben dieses Volk mit vielen Schmachreden gescholten. Allein Das will ich hier nicht eingehend erörtern; ich habe es nur angeführt, um zu zeigen, daß er auf schuldbaren Handlungen ertappt worden ist. Übrigens habe ich mich auch da noch nicht beruhigt; ich drang vielmehr auf die Abhaltung eines Gerichtes, in welchem regelrecht mit Fragen und Antworten vorgegangen werden sollte; ich erklärte mich nämlich bereit zu zeigen, daß ich mich über Nichts zu verantworten, daß Jene sich aber der ärgsten Übertretungen schuldig gemacht hatten. Es waren von Denen, die früher mit ihm hier anwesend waren, einige Syrer hier zurückgeblieben, die auch das Ganze gemeinsam mit ihm hatten vollbringen helfen. Zu Diesen begab ich mich, bereit mich richten zu lassen, und ich lag ihnen wiederholt an mit dem Verlangen, mir die schriftlichen Eingaben oder die Klageschriften zu geben, oder mich über die Gegenstände der Klagen oder die Person meiner Ankläger zu unterrichten — und es ist mir in keinem Punkte willfahrt, ich bin vielmehr wieder aus der Kirche vertrieben worden. Wie soll ich nun erzählen, was da geschehen ist? Es ist ein Trauerspiel ohne Gleichen. Wo finde ich Worte, es zu schildern? und wer vermöchte es ohne Schauder zu hören?

Während ich auf den Forderungen beharrte, die ich eben erwähnt habe, drang auf einmal eine Schaar von Soldaten in die Kirchen ein, und zwar am großen Sabbath [Ostersamstag], als der Tag sich schon zum Abend neigte, trieb den ganzen Klerus, der zu mir hielt, mit Gewalt hinaus, und umstellte bewaffnet den Altar. Frauen, die schon zum Empfange der Taufe ihre Gewänder abgelegt hatten, ergriffen zur selben Zeit entkleidet die Flucht, durch diesen entsetzlichen Überfall in Furcht gejagt, und eilten von den heiligen Stätten hinweg, ohne daß ihnen auch nur verstattet war, sich anständig zu bedecken, wie es sich für Frauen ziemt. Viele wurden aber auch verwundet und so hinausgetrieben, und voll Blutes wurden die Taufbrunnen, vom Blute röthete sich das geweihte Wasser. Und auch damit hatten die Schrecken ihr Ende noch nicht erreicht. Die Soldaten, von denen Einige, wie ich später erfahren habe, nicht in die heiligen Geheimnisse eingeweiht waren, drangen auch da hinein, wo das Allerheiligste aufbewahrt wurde, sahen Alles, was drinnen war, und das heiligste Blut Christi wurde, wie es eben nur bei einer solchen Verwirrung vorkommen kann, diesen Soldaten über die Kleider ausgeschüttet. Alles Mögliche wurde verübt, wie wenn die Stadt durch Barbaren eingenommen wäre. Das Volk wurde auf das Feld hinausgetrieben, die große Menge der Einwohnerschaft hielt sich ausserhalb der Stadt auf, leer waren an dem hohen Festtag die Kirchen, mehr als vierzig Bischöfe, die nämlich mit mir in Gemeinschaft standen, wurden sammt dem Klerus und Volk muthwilliger Weise und ohne Ursache hinausgejagt. Überall Jammern und Wehklagen und Ströme von Thränen, auf den öffentlichen Plätzen, in den Häusern, auf den Feldern, in jedem Theile der Stadt, überall war man voll von diesen schrecklichen Begebenheiten. Denn wegen des Übermaßes der Frevel trauerten nicht nur Die, welche darunter zu leiden hatten, sondern mit uns trauerten auch Solche, denen Nichts widerfuhr, nicht die Rechtgläubigen allein, sondern auch Häretiker, Juden und Heiden, und wie wenn die Stadt mit Gewalt erstürmt worden wäre, dermaßen herrschte überall Verwirrung, Schrecken und Wehklagen. Und diese Frevel wurden begangen gegen die Willensmeinung des fromm gesinnten Kaisers, bei vorgerückter Nacht; Bischöfe waren die Anstifter, und überdieß an vielen Stellen die Anführer, indem sie sich nicht schämten, statt der Diakonen Unteroffiziere vor sich her schreiten zu lassen. Als es Tag geworden war, wanderte die ganze Bürgerschaft aus dem Gebiet der Stadtmauern hinaus, und feierte gleich zerstreuten Schafen, unter Bäumen und in Schluchten den Festtag.

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