Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer

Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer – Johannes Chrysostomos

Kaum ein anderes Buch der Heiligen Schrift ist so oft und mit so viel Aufwand von geistiger Kraft, freilich auch mit so weit auseinandergehenden Resultaten von den christlichen Theologen aller Jahrhunderte kommentiert worden wie der Brief des Heiligen Paulus an die Römer. Dass der Römerbrief den Scharfsinn der Theologen zur Untersuchung reizte, mehr als jede andere der heiligen Schriften, liegt in der gewaltigen Gedankenmacht, die in ihm beschlossen ruht. Die schwierigsten Probleme der christlichen Glaubenslehre wirft er auf, wie: Heilserlangung durch alttestamentliche Gesetzestreue und neutestamentlichen Glauben, das Verhältnis von Sünde und Gesetz, Verdienst und Gnade, eigener Mitwirkung zum Heil und göttlicher Vorherbestimmung, die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung durch Christus, und handelt über diese Fragen in oft recht verwickelten Gedankengängen.

Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer

Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer.

Format: eBook/Taschenbuch

Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer

ISBN eBook: 9783849660161

ISBN Taschenbuch: 9783849668044

 

Auszug aus dem Text:

 

ERSTE HOMILIE. * Einleitung. *

1.

Einleitung

Immer wenn ich aus den Briefen des hl. Paulus vorlesen höre — und es ist dies wöchentlich zweimal der Fall, oft aber auch dreimal und viermal, wenn wir nämlich Gedächtnistage heiliger Märtyrer feiern —, erfreue ich mich daran, den Schall dieser geistigen Posaune zu genießen. Ich gerate in Entzücken und erglühe vor Sehnsucht, wenn ich diese mir so liebe Stimme vernehme, und es kommt mir vor, als sähe ich den Apostel, im Sprechen begriffen, wie leibhaftig vor mir stehen. Ich bedaure es, und es tut mir weh, daß nicht alle diesen Mann kennen, wie sie es sollten, sondern daß manche so wenig Kenntnis von ihm haben, daß sie nicht einmal die Zahl seiner Briefe genau wissen. Das kommt aber nicht von Wissensunfähigkeit, sondern weil sie nicht beständig mit diesem Heiligen vertrauten Umgang pflegen wollen. Denn auch wir danken unser Wissen von ihm, wenn wir ein solches besitzen, nicht unserer Begabung und Geistesschärfe, sondern dem beständigen Umgang mit diesem Manne und unserer innigen Verehrung für ihn. Denn geliebte Menschen kennen vor allen andern gerade die gut, welche sie lieben, weil sie ihnen am Herzen liegen. Das will auch unser Heiliger ausdrücken, wenn er im Briefe an die Philipper sagt; „Wie es billig ist, daß ich für euch diese Gesinnung hege, weil ich euch im Herzen habe, in meinen Banden und bei der Verteidigung und Befestigung des Evangeliums“ 1. Wenn ihr darum nur der Vorlesung (aus dem Apostel) mit Zuneigung folgen wollt, so braucht ihr nichts weiter; denn untrüglich ist das Wort Christi, das er gesprochen hat: „Suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden“ 2. Weil aber die Mehrzahl der hier Versammelten die Sorge um die Kindererziehung, um Weib und Hausstand auf sich hat, sind sie nicht in der Lage, sich ganz einer solchen Arbeit hinzugeben. Darum seid wenigstens bereit, die von andern gesammelten Gedanken anzunehmen, und laßt euch die Anhörung ihres Vortrages wenigstens so sehr angelegen sein wie den Erwerb von Geld. Wenn es auch fast eine Schande ist, nur eine solche Sorgfalt von euch zu verlangen, so bin ich doch damit zufrieden, wenn ihr nur diese aufbringt. Unzählige Übelstände schreiben sich her von der Unkenntnis der hl. Schriften; von da quillt der Schlamm der vielen Irrlehren auf, darauf geht das sorglose Leben so vieler zurück, davon kommt es her, daß ihre Arbeiten ohne Ertrag sind. Denn gerade so wie die des Augenlichtes Beraubten nicht ihre geraden Wege gehen können, ebenso müssen die, welche kein Auge haben für das Licht, das aus den göttlichen Schriften strahlt, in vielen Dingen und beständig irren, da sie ja in dichtester Finsternis dahinschreiten. Damit dies nicht geschehe, wollen wir unsere Augen für die Lichtstrahlen der apostolischen Worte offen halten. Denn die Sprache dieses Apostels überstrahlt ja an Glanz die Sonne, und alle andern übertrifft er durch seinen Lehrvortrag. Weil er sich mehr als sie abgemüht hat, darum hat er auch die Gnade des Hl. Geistes in vollem Maße auf sich gezogen. Das kann ich nicht bloß aus seinen Briefen beweisen, sondern auch aus der Apostelgeschichte. Denn wenn es irgendwo erforderlich war, öffentlich aufzutreten, wiesen (die andern Apostel) dies immer ihm zu. Darum wurde er von den Heiden für Hermes gehalten, weil er das Wort in seiner Gewalt hatte.

Im Begriff, auf den vorliegenden Brief überzugehen, müssen wir zunächst die Zeit bestimmen, um die er geschrieben worden ist. Er ist nämlich nicht, wie viele meinen, früher als alle andern Briefe geschrieben, wohl aber früher als alle aus Rom geschriebenen, jedoch später als die andern, wenn auch nicht später als alle andern. Die beiden Briefe an die Korinther sind vor diesen abgeschickt worden. Das ist nämlich aus einer Stelle am Schlusse des vorliegenden Briefes ersichtlich, wo es heißt: „Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, den (dortigen) Heiligen einen Dienst zu leisten; Mazedonien und Achaia haben es nämlich für gut befunden, eine Sammlung zu veranstalten zugunsten der Armen unter den Heiligen in Jerusalem 3. Den Korinthern schreibt der Apostel: „Wenn es dafür steht, daß auch ich reise, so sollen sie mit mir reisen 4; er meint damit die, welche das (gesammelte) Geld dorthin überbringen sollten. Daraus geht hervor, daß ihm zur Zeit, als er an die Korinther schrieb, seine Reise (nach Jerusalem) noch zweifelhaft war, als er aber an die Römer schrieb, sie ihm bereits feststand. Hält man dies zusammen, so ist ersichtlich, daß der Brief an diese nach dem an jene geschrieben ist. Der Brief an die Thessalonicher scheint mir aus noch früherer Zeit zu sein als der an die Korinther. Denn im ersten Brief an sie erwähnt er auch diese Almosensammlung, wenn er sagt: „Was aber die Bruderliebe betrifft, so haben wir nicht nötig, auch darüber zu schreiben; ihr seid ja von Gott selbst belehrt, daß ihr einander lieben sollt; ihr tut dies ja auch allen Brüdern gegenüber“ 5. Dann erst schrieb er den Korinthern und brachte ihnen dasselbe zur Anzeige, wenn er sagte: „Ich kenne ja eure Bereitwilligkeit, beizusteuern, von der ich zu eurem Lobe den Mazedoniern rühmend erzähle, daß Achaia schon seit Jahresfrist damit fertig ist; und gerade der Wetteifer mit euch war es, der viele angespornt hat“ 6. Damit zeigt er an, daß er mit ihnen vorher bereits darüber gesprochen hatte. Der Römerbrief ist also aus späterer Zeit als diese Briefe, aber der erste unter den aus Rom geschriebenen. Denn der Apostel hatte die Stadt der Römer noch nicht betreten, als er den vorliegenden Brief schrieb. Dies deutet er an, wenn er sagt: „Ich sehne mich, euch zu sehen, damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile zu eurer Stärkung“ 7 . Von Rom aus schrieb er den Philippern; darum heißt es: „Es lassen euch alle Heiligen grüßen, besonders die aus dem Hause des Kaisers“ 8. Den Hebräern schrieb er ebenfalls von da aus. Darum sagt er, daß sie alle die aus Italien grüßen lassen 9. Auch der Brief an Timotheus schickte er von Rom aus ab, als er in Banden lag. Dieser Brief scheint mir der letzte von allen zu sein. Es geht dies aus dem Schlusse desselben hervor: „Denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meiner Auflösung steht bevor“ 10. Daß aber Paulus sein Leben in Rom beschloß, ist allgemein bekannt. Auch der Brief an Philemon ist einer der letzten; denn der Apostel schrieb ihn in seinem letzten Greisenalter. Darum heißt es in demselben: „Als der Greis Paulus, nun aber auch in Banden um Christi Jesu willen“ 11. Dem Brief an die Kolosser freilich geht er noch voran; und das ist wieder aus der Schlußstelle ersichtlich. Den Kolossern nämlich schreibt Paulus: „Tychikus wird euch alles kundtun, den ich mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, geschickt habe“ 12. Es war dies aber derselbe Onesimus, dessentwegen er den Brief an Philemon geschrieben hatte. Daß es nicht ein anderer war, der denselben Namen hatte wie jener, geht aus der Erwähnung des Archippus hervor. Diesen hatte sich nämlich Paulus im Briefe an Philemon zum Mitfürsprecher in der Angelegenheit des Onesimus erkoren; denselben führt er auch im Briefe an die Kolosser an, wenn er sagt: „Sagt dem Archippus: Hab acht auf das Amt, das du übernommen hast, damit du es voll verwaltest!“ 13. Mir scheint auch der Brief an die Galater dem an die Römer voranzugehen. Wenn er in der Bibel eine andere Stelle einnimmt, so ist das nichts Auffallendes. So lebten ja auch die zwölf Propheten der Zeit nach nicht hintereinander, sondern weit voneinander entfernt; in der Reihenfolge der Bibel jedoch kommen sie hintereinander. Aggäus, Zacharias und der Engel(prophet) 14 weissagten nach Ezechiel und Daniel und lange nach Jonas und Sophonias und den andern allen; gleichwohl stehen sie in derselben Reihe mit jenen allen, von denen sie doch der Zeit nach so sehr abstehen.

2.

Niemand halte diese Arbeit für eine nebensächliche und eine solche Untersuchung für eine überflüssige Spielerei; denn die Zeit, in welcher die einzelnen Briefe abgefaßt worden sind, unterstützt uns nicht wenig bei unsern Untersuchungen. So sehe ich, daß Paulus an die Römer und an die Kolosser über dieselben Dinge schreibt, aber nicht in gleicher Weise über dasselbe, sondern an jene mit großer Herablassung (zu ihren falschen Ansichten), wenn er z. B. sagt: „Den, der schwach ist für den Glauben, nehmt auch auf, nicht um Meinungen zum Austragen zu bringen; denn der eine glaubt alles essen zu dürfen, der Schwache aber ißt nur Gemüse“ 15. Den Kolossern schreibt er über denselben Gegenstand, aber mit mehr Geradheit: „Wenn ihr abgestorben seid mit Christus, was stellt ihr noch Regeln auf, als lebtet ihr in der Welt: ‚Faß ja nicht an, koste nicht, rühr’ nicht an’? Alles das sind Dinge, die Verderben bringen durch Mißbrauch, zur Überwindung des Fleisches sind sie nichts nutze” 16. Ich finde für die Verschiedenheit keinen andern Grund als die Zeit, in der es geschah. Am Anfang war es nötig, sich herabzulassen, nachher nicht mehr. So kann man den Apostel noch an vielen andern Stellen dieselbe Schreibweise befolgen sehen. So pflegen es ja auch der Arzt und der Lehrer zu machen. Der Arzt behandelt die Kranken am Anfange ihrer Krankheit nicht ebenso wie gegen Ende derselben, und der Lehrer geht mit den Kindern, welche die Anfangsgründe des Wissens lernen, nicht ebenso um wie mit Schülern, die der Vollendung ihres Wissens obliegen.

Den andern (Christengemeinden) schrieb der Apostel durch irgendeine (bestimmte) Ursache und Veranlassung bewogen; im Brief an die Korinther bringt er dies zum Ausdruck, wenn er sagt: „Worüber Ihr mir geschrieben habt“ 17, und den Galatern hält er (die Veranlassung des Briefes), gleich eingangs und während des ganzen Briefes vor Augen. Aus welchem Grunde und warum schrieb er den Brief an die Römer? Er scheint ihnen ja das Zeugnis zu geben, daß sie ganz guter Gesinnung vollkommen seien, voll jeglichen Wissens, imstande, sogar andern Ermahnungen zu geben. Warum schrieb er also einen Brief an sie? „Wegen der Gnade Gottes“, sagt er, „die mir gegeben ist dazu, ein Diener Jesu Christi zu sein“. Deshalb sagt er eingangs: „So bin ich, was an mir liegt, bereit, auch euch, die ihr zu Rom seid, das Evangelium zu verkünden“ 18. Wenn er sagt, sie könnten sogar andern Ermahnungen geben und Ähnliches, so ist das mehr eine Verneigung vor ihnen und ein Mittel, sich ihre Gunst zu erwerben; denn auch für sie war es eine Notwendigkeit, durch einen Brief auf den rechten Weg gewiesen zu werden. Weil er noch nicht zu ihnen hatte kommen können, darum weist er diesen Leuten den rechten Weg auf eine doppelte Weise: durch den Nutzen, den sie aus dem Briefe ziehen konnten, und dadurch, daß er ihnen sein (persönliches) Erscheinen in Aussicht stellt. So war diese heilige Seele geartet: die ganze Welt nahm er in sein Herz auf und trug alle darin. Als die nächste Verwandtschaft betrachtete er die, welche aus dem (gleichen) Verhältnis zu Gott hervorgeht. Als ob er der Vater aller geworden wäre, so liebte er sie, ja eine größere Liebe noch als jeder (leibliche) Vater legte er an den Tag. So ist die Gnade des Hl. Geistes; sie geht über das natürliche Kindschaftsverhältnis und ist der Quell einer noch innigeren Liebe. Das ist besonders an der Seele des Paulus zu sehen. Unter dem Einfluß dieser Liebe nahm er gewissermaßen Flügel an; beständig war er auf dem Wege, alle zu besuchen, nirgends machte er Halt und rastete aus. Nachdem er das Wort Christi gehört hatte: „Petrus, liebst du mich? Weide meine Schafe“ 19, womit dieser den höchsten Ausdruck der Liebe gekennzeichnet hatte, befliß er sich desselben mit überschwänglichem Eifer.

Ahmen also auch wir den Apostel nach! Haben wir nicht die ganze Menschheit, ganze Städte und Völker zu lehren, so führe ein jeder wenigstens seine Hausgenossen, sein Weib, seine Kinder, seine Freunde, seine Nachbarn auf den rechten Weg! Niemand wende mir ein: „Ich bin zu ungelehrt, zu schwerfällig dazu.“ Niemand war ungelehrter als Petrus, niemand schwerfälliger als Paulus. Dieser gesteht es ja selbst und schämt sich dessen nicht, wenn er sagt: „Bin ich auch schwerfällig in der Rede, so doch nicht in der Erkenntnis“ 20. Und doch haben dieser Schwerfällige und jener Ungelehrte unzählige Weltweise überwunden, unzählige Schönredner zum Schweigen gebracht. Das haben sie alles zustande gebracht durch ihren Eifer und die Gnade Gottes. Welche Entschuldigung werden wir haben, die wir nicht zwanzig Leute gewonnen, nicht einmal unsern Hausgenossen das Heil gebracht haben? Alles leere Ausrede und eitler Vorwand! Nicht Ungelehrtheit, nicht Unbeholfenheit hindert die Unterweisung, sondern Trägheit und Schläfrigkeit. — Laßt uns also abschütteln diese Schläfrigkeit, laßt uns allen Eifer aufwenden für unsere Angehörigen, damit wir hienieden in reichem Maße Seelenfrieden genießen, wenn wir die, welche uns nahe stehen, auf den Weg der Furcht Gottes führen, und im Jenseits unendlicher Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, durch den und mit dem Ehre sei dem Vater zugleich mit dem Hl. Geiste in alle Ewigkeit. Amen.

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