Homilien über den Brief an die Hebräer

Homilien über den Brief an die Hebräer – Johannes Chrysostomos

Kaum ein anderes Buch der Heiligen Schrift ist so oft und mit so viel Aufwand von geistiger Kraft, freilich auch mit so weit auseinandergehenden Resultaten von den christlichen Theologen aller Jahrhunderte kommentiert worden wie der Brief des Heiligen Paulus an die Römer. Dass der Römerbrief den Scharfsinn der Theologen zur Untersuchung reizte, mehr als jede andere der heiligen Schriften, liegt in der gewaltigen Gedankenmacht, die in ihm beschlossen ruht. Die schwierigsten Probleme der christlichen Glaubenslehre wirft er auf, wie: Heilserlangung durch alttestamentliche Gesetzestreue und neutestamentlichen Glauben, das Verhältnis von Sünde und Gesetz, Verdienst und Gnade, eigener Mitwirkung zum Heil und göttlicher Vorherbestimmung, die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung durch Christus, und handelt über diese Fragen in oft recht verwickelten Gedankengängen.

Homilien über den Brief an die Hebräer

Homilien über den Brief an die Hebräer.

Format: eBook/Taschenbuch

Homilien über den Brief an die Hebräer

ISBN eBook: 9783849660178

ISBN Taschenbuch: 9783849668051

 

Auszug aus dem Text:

 

Erste Homilie.

I.

 Kap. I.

 

1. 2. Mannigfaltig und auf vielerlei Weise hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten geredet, zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns durch den Sohn geredet, den er zum Erben des All gesetzt, durch den er auch die Welt gemacht hat.

„Wirklich, als die Sünde überschwenglich war, wurde die Gnade noch überschwenglicher.“1 Auf diese Wahrheit deutet der heilige Paulus auch hier im Eingange seines Briefes an die Hebräer hin. Denn weil diese von Mühen und Beschwerden fast aufgezehrt waren und darnach die Dinge beurtheilten, und für sie der Schluß nahe lag, daß sie selbst geringer als alle Anderen wären: so zeigt er, daß sie einer viel größern, ja überschwenglichen Gnade gewürdiget seien, und gibt gleich in den ersten Worten des Briefes dem Zuhörer eine besondere Anregung. Darum sagt  er: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten geredet, zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns durch den Sohn geredet.“ Warum stellt er sich selber den Propheten nicht gegenüber? War er doch weit größer als diese, da ihm Größeres anvertraut war. Das thut er aber nicht. Warum? Erstens, weil er sich selber nicht rühmen wollte; zweitens, weil die Zuhörer noch nicht die nöthige Reife besaßen; drittens, weil er sie zu heben beabsichtigte und zeigen wollte, daß sie einer großen Auszeichnung theilhaftig würden, – als wollte er sagen: Was Großes liegt darin, daß Gott zu unseren Vätern die Propheten gesandt, da er uns seinen eigenen eingebornen Sohn geschickt hat? – Recht schön beginnt er mit den Worten: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise;“ denn er zeigt, daß nicht einmal die Propheten Gott geschaut haben, wohl aber der Sohn ihn geschaut hat. Denn der Ausdruck: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise“ hat die Bedeutung: in verschiedenen Gesichten und Gleichnissen; denn er spricht: „Ich mehre die Gesichte und erscheine in Gleichnissen durch die Propheten.“2 Das ist also nicht der einige Vorzug, daß zu Jenen zwar Propheten gesandt wurden, zu uns aber der Sohn, sondern daß auch keiner der Propheten Gott geschaut hat, wohl aber der eingeborne Sohn. Das aber schreibt er nicht gleich im Anfang, sondern beweist es erst im Folgenden, wo er von der Menschheit (Christi) spricht: „Denn zu welchem der Engel sprach Gott je: Du bist mein Sohn?“ und: „Setze dich zu meiner Rechten.“3 Betrachte seine große Klugheit. Zuerst zeigt er die durch die Sendung der Propheten ihnen gewordene Auszeichnung, und nachdem er Dieß als Thatsache dargelegt hat, beweist er das Übrige, daß nämlich Gott zu Jenen durch die Propheten, zu uns aber durch seinen  Eingeborenen gesprochen. Hätte er aber sogar durch Engel zu ihnen geredet (und in der That haben Engel mit ihnen verkehrt), so hätten wir auch in dieser Beziehung den Vorzug, und zwar in so weit, als zu uns der Herr, zu Jenen aber die Diener geredet; denn die Engel sind wie die Propheten nur Diener. Schön spricht er auch: „Zuletzt in diesen Tagen;“ denn auch Das richtet sie auf und tröstet sie in ihrer Betrübniß; wie er denn auch an einer anderen Stelle schreibt: „Der Herr ist nahe, seid nicht ängstlich besorgt;“4 und wieder: „Denn jetzt ist unser Heil näher, als da wir gläubig wurden;“5 so auch hier. Was will nun Paulus damit sagen? Daß ein Jeder, der im Kampfe seine Kräfte erschöpft hat, sobald er das Ende des Kampfes vernimmt, ein wenig ausathmet, indem er weiß, daß nun das Ende der Mühen und der Anfang der Ruhe gekommen. – „Zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns in dem Sohne geredet.“ Die Worte: „in dem Sohne,“ „durch den Sohn“ spricht er gegen Diejenigen aus, welche behaupten, Dieß passe auf den heiligen Geist. Siehst du, daß das „in“ dem „durch“ entspricht? Ferner haben die Ausdrücke: „einst“ und „zuletzt in diesen Tagen“ ihren besonderen Sinn. Welchen denn? Nach Verlauf einer geraumen Zeit, da wir der Strafe gewärtig waren, die Gnadengaben aufgehört hatten, es keine Aussicht auf Erlösung gab, als wir von allen Seiten Verluste befürchteten: da erlangten wir größeren Vortheil. Nun erwäge, wie klug er sich ausdrückt! Er sagt nicht: „Christus hat geredet,“ obgleich er es war, der so gesprochen, sondern da sie noch schwach waren und Das, was auf Christus Bezug hatte, nicht zu fassen (zu hören) vermochten, sagt er: „Er hat zu uns durch den Sohn geredet.“ Was sagst du? Gott hat durch den Sohn geredet? Ja. Wo ist dann der Vorzug? Denn hier hast du gezeigt, daß das neue und  das alte Testament denselben Urheber haben, was doch keinen Vorzug (des neuen vor dem alten) in sich schließt. Darum läßt er eine Erörterung in den Worten folgen: „Er hat zu uns durch den Sohn geredet.“ Siehe, wie Paulus die Sache zu einer gemeinschaftlichen machte und sich seinen Schülern gleichstellt mit den Worten: „Er hat zu uns geredet.“ Hat er doch nicht zu ihm gesprochen, sondern zu den Aposteln und durch sie zur Schaar (der Gläubigen). Allein er hebt sie und zeigt, daß er auch zu ihnen geredet; gleichzeitig aber tadelt er gewisser Maßen auch die Juden; denn beinahe Alle, zu denen die Propheten gesprochen, waren schlechte und verruchte Menschen. Ohne sich hierüber weiter zu verbreiten, redet er über die von Gott gespendeten Wohlthaten. Darum fügt er auch bei: „Den er zum Erben des All gesetzt.“ Hier meint er das Fleisch (die Menschen), wie auch David im zweiten Psalm sagt: „Begehre von mir, so will ich dir geben die Heiden zu deinem Erbe!“6 Denn nicht mehr ist Jakob des Herrn Antheil noch Israel sein Erbe, sondern Alle sind es. Was besagen die Worte: „Den er zum Erben gesetzt hat“? Sie besagen: Diesen hat er zum Herrn über Alles gesetzt. Dasselbe sagt auch Petrus in der Apostelgeschichte: „Zum Herrn und zum Christus hat Gott ihn gemacht.“7 Den Ausdruck „Erbe“ hat er gebraucht, um ein Zweifaches anzuzeigen, nämlich daß er wirklicher Sohn sei, und daß ihm deßhalb die Herrschaft nicht entrissen werden könne. Erbe des All soll so viel heissen als: Erbe der ganzen Welt. Sodann führt er die Rede wieder auf das Frühere zurück: „Durch den er auch die Welt8 gemacht hat.“

 

II.

Wo sind Diejenigen, die da sprechen: Es war eine Zeit, wo er nicht war? Dann steigt er stufenweise höher und spricht sich weit erhabener als im Gesagten in folgenden Worten aus:

3. 4. Welcher, da er der Abglanz ferner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist, durch das Wort seiner Kraft Alles trägt und, nachdem er uns von Sünden gereiniget hat, sitzet zur Rechten der Majestät in der Höhe; der um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat.

Ha! welch apostolische Weisheit! Jedoch nicht so fast über die Weisheit des Paulus, als über die Gnade des heiligen Geistes müssen wir staunen; denn so sprach er nicht aus selbsteigener Erkenntniß, noch hat er eine solche Weisheit aus sich selber geschöpft. Woher hat er sie denn? Etwa vom Messer oder von den Häuten oder aus der Werkstätte? Nein! Eine solche Sprache ist göttliches Werk. Denn diese Gedanken waren nicht das Erzeugniß seines Verstandes, welcher damals so ärmlich und so gering war, daß er nicht mehr besaß als Einer aus dem gewöhnlichen Volke. Denn wie konnte Derselbe auch, der sich mit Handelsgeschäften und Häuten befaßte, einen größeren Aufschwung haben? Aber die Gnade des heiligen Geistes, welche nach freier Wahl ihre Werkzeuge wählt, zeigte ihre Kraft. Denn wie Jemand, der einen kleinen Knaben auf eine Höhe, die bis zum Himmelsscheitel hinaufreicht, bringen wollte, Dieß  allmählig und in kleinen Absätzen thun und von unten ihn hinaufführen würde; dann, wenn er oben stände und den Kleinen abwärts blicken hieße und diesen dann bestürzt und ängstlich und schwindelig sähe, – ihn nehmen und auf einen niedriger liegenden Punkt hinabführen würde, auf daß er aufathmen könnte, dann den Neugekräftigten wieder bergan und wieder bergab führen würde -: so macht es auch der heilige Paulus sowohl bei den Hebräern als an allen anderen Orten, wie er es ja von seinem Meister gelernt hatte. Bald führt er feine Zuhörer hinauf in die Höhe, bald geleitet er sie wieder hinab und läßt sie nicht lange auf demselben Standpunkt verweilen. So betrachte ihn auch hier, wie er sie über viele Stufen hinaufführt und sie auf den Gipfel der Gottseligkeit stellt, dann aber, ehe sie von Verwirrung und Schwindel ergriffen werden, sie wieder tiefer hinabführt und sie aufathmen läßt, indem er spricht: „Er hat zu uns geredet durch den Sohn;“ und wieder: „Den er zum Erben des All gesetzt hat.“ Denn der Name „Sohn“ hat in soweit eine gemeinsame Bedeutung. Wird nun darunter der wirkliche Sohn (Gottes) verstanden, so ist er über Alles erhaben; wie er aber in diesem Betrachte sei, zeigt er im Folgenden, wo er darthut, daß er von oben ist. Sieh’ aber, wie er sie vorerst auf eine niedrigere Stufe hinstellt, indem er sagt: „Den er zum Erben des All gesetzt hat.“ Denn die Worte: „Zum Erben hat er gesetzt“ haben einen gewöhnlichen Sinn. In dem Zusatze: „Durch den er auch die Welt gemacht hat“ stellt er ihn auf eine höhere Stufe; dann stellt er ihn auf die höchste, über welche hinaus keine mehr ist, mit den Worten: „Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist…“ Wahrhaftig, er hat ihn zum unzugänglichen Lichte, zum Abglanze selbst hingeführt. Und siehe, wie er ihn, ehe sich die Dunkelheit ausbreitet, wieder allmählig erniedrigt, indem er sagt: „Welcher durch das Wort seiner Kraft Alles trägt und, nachdem er uns von Sünden gereiniget hat, sitzet zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Er  sagt nicht einfach: „er sitzet,“ sondern: „nachdem er uns von Sünden gereiniget hat;“ denn er übernahm die Menschwerdung, wodurch er etwas Unerhabenes ausspricht. Hierauf spricht er wiederum Hohes, indem er sagt: „zur Rechten der Majestät in der Höhe,“ und fügt alsdann nochmals die mehr niedrigen Worte hinzu: „Der um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat.“ Hier spricht er nämlich von seiner menschlichen Natur, da der Ausdruck: „besser geworden“ keinen Bezug hat auf seine mit dem Vater gleiche Wesenheit, – denn diese ist nicht geworden, sondern gezeugt, – sondern auf seine menschliche Natur, – diese ist geworden. Jedoch über die Wesenheit spricht er jetzt nicht, sondern wie Johannes mit den Worten: „Der nach mir kommen wird, ist vor mir gewesen, denn er war eher als ich,“ darthun will, daß er größerer Ehre werth und ruhmreicher sei, – so will auch hier Paulus, da er sagt: „Um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat,“ erklären, daß er höher stehe und gepriesener sei. Du siehst, daß hier von der Menschheit die Rede ist; denn den Namen: „Gott das Wort“ hatte er immer und nicht etwa später ererbt; auch wurde er nicht erst damals besser als die Engel, nachdem er uns von Sünden gereiniget hatte, sondern er war immer besser und zwar unvergleichbar besser. Paulus spricht demnach über seine menschliche Natur, sowie auch wir, wenn wir von einem Menschen sprechen, über ihn Hohes und Niedriges auszusagen gewöhnt sind. Denn wir sagen: Nichts ist der Mensch, Erde ist der Mensch, Staub ist der Mensch, so benennen wir das Ganze nach seinem geringeren Bestandtheile. Wenn wir aber sagen: Ein unsterbliches Wesen ist der Mensch, der Mensch hat Vernunft und Verwandtschaft mit den himmlischen Wesen, so bezeichnen wir hinwieder das Ganze nach seinem edleren Bestandtheile. So redet auch Paulus bald von seiner geringeren, bald von seiner höheren  Wesenheit, je nachdem er über die Menschwerdung handeln oder über dessen pure Natur belehren will.

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