Briefe eines Narren an eine Närrin

Briefe eines Narren an eine Närrin – Karl Gutzkow

Gutzkows erster Roman in der Manier von Jean Paul prangert alles an, was ihm in seiner Zeit gegen den Strich ging – vom Adel über die Kirche bis zum Staatswesen.

Briefe eines Narren an eine Närrin

Briefe eines Narren an eine Närrin.

Format: eBook

Briefe eines Narren an eine Närrin.

ISBN eBook: 9783849655723.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Wenn ich von meiner Freundin schriftliche Ergüsse ihrer Liebe erhalte, so sollte sie billig selbst nicht ausbleiben, um Zeuge der Aufnahme zu sein, die ich ihnen angedeihen lasse.

Wie die Flammen mir zur Seite aufprasseln! wie die Düfte des wohlgefälligen Brandopfers in die blaue Ferne des Himmels wirbeln! Mit andächtigem Entzücken kniee ich an den Stufen des Altars, auf dessen Oetahöhen sich Dein gesammelter Briefwechsel dem Herculischen Opfertode weiht, um wie der entfesselte Gott am Mahle der Unsterblichen Theil zu haben.

Hörst zu denn nicht in dem Resonanzboden Deiner Thäler das siebenfache Echo meiner Gesänge, wenn ich durch die dunkeln Laubengänge ziehe, die Urne mit Deiner epistolarischen Phönixasche in der Hand, wie ich des Augenblicks lausche, da sich der Vasendeckel – ein Sargdeckel zum Leben – hebe, und der Wundervogel seine goldenen Schwingen ausbreite?

Noch ist Alles, was Du denkst, für mich Traum; in dem Zauber Deines Geistes schlaf ich wie im Kelche einer Lotosblume. Schon senkt sich auf mein dunkles Auge Dämmerung nieder, nicht Dämmerung zur Nacht, sondern Morgengrauen.

Jeden Deiner Briefe ehr’ ich dadurch, daß ich ihn für die Liebe halte, die sich an meinem Grabe opfert. Wie eine Glocke häng’ ich dann im brennenden Stuhle des Thurms, und läute fort in meinen bangen, pochenden Herzensschlägen, immer leiser und dumpfer, bis ich schmelzend verstumme.

Mit dem Aschenkruge Deiner Briefe, Geliebte, will ich die Alpenhöhen erklimmen, und hoch über den Wolken die Wimpel meiner Gedanken lustig flaggen lassen. Der kleine Kreis dieser Grotte beengt mich. Ein Glühwurm leuchtet wie aufs weiße Papier. Ein Schmetterling setzt sich wie ein Wetterhahn auf die Fahne meiner Schreibfeder. Eine Nachtigall muthet meinem Sinnen gar zu, daß ich ihre Sangesweise zum Thema, und meine Empfindungen zu diesen Variationen mache.

Du hast mir ein Boot geschickt, auf dem wir eine ferne Insel suchen wollten. Aber warum ist der Mast auf ihm nicht so hoch, daß ich die Welt im verjüngten Maßstabe sehe? daß ich einen Punkt habe, von dem ich Alles und Alles zugleich sähe? warum ist überhaupt kein Mast darauf?

Du wirst mich ungeduldig nennen, Deine Liebe wird mich tadeln wollen, aber ich bin ein Kind meiner Zeit, und heut’ einmal gerade stolz darauf. Gegen die Wind- und Wetterhosen, in denen die Jahrhunderte über die Erde schreiten, gehen wir ewig in den Kinderröcken, und treten die ersten Schuhe nicht aus. Die größten Ideen, die die Geschichte aufweisen kann, waren für die, die in ihnen lebten, nur Spielzeug. Ich werde die Wahrheit nie lieben, ohne auch an ihr meine Freude zu haben. Und da das Letztere in unsern heißen Tagen unmöglich ist, so wird die Wahrheit, wenn nicht gehaßt, doch nicht gesucht. Es fehlt unserer Zeit ein Ideenhanswurst, ich vermag die Tage, die einen solchen besaßen, zu preisen, und bin mit der Gegenwart doch zufrieden.

Du sprachst die Wahrheit. Es lebten einst Völker, die jedes Wort aus dem Munde ihres Richters, jede begeisterte Rede des Propheten auf die unmittelbare Eingebung eines göttlichen Geistes zurückführten. In die Schatten geweihter Höhlen legten sich die Völker mit allen ihren Schmerzen und Freuden hin, und im Traume nahte sich ihnen der Gott, der die Leiden linderte, und die Glücklichen nur an den Wankelmuth des Glückes, nie an das geringere Verdienst, so glücklich zu sein, erinnerte. Für eine verhüllte Sage aus dem verachteten Judäa, für ein über Länder und Meere nur dämmerndes Licht himmlischer Hoffnungen legten einst Tausende im fernen Occident ihre Häupter auf den blutigen Henkersblock. Für die Erlaubniß, mit seinem Munde ein geweihtes Brod berühren zu dürfen, stieg ein Kaiser von seinem Throne, warf ein härenes Gewand um, und litt Tage lang büßend den harten Frost des Winters. Wenn ich von solchen Betrachtungen mein Auge aufschlug, so nahm ich ein Licht, und suchte in der Welt vergebens einen Gedanken, für den noch einige Hundert zu sterben bereit wären. Ein Anderer, Du z.B., würdest das Licht ausgelöscht, und Dich in die tiefe Nacht Deines Schmerzes begraben haben, mich erfüllte diese Täuschung nur mit Entzücken; denn ich liebe diese Zeit, weil ich Ungebundenheit, Zerstörung, Auflösung liebe.

Du hast mir ein Boot gesandt, um mit mir aus der Welt zu fliehen. Aber man muß ein Ruder haben, mit dem man durch die Wogen steuert. Man muß ein Segel aufziehen können, um dem Winde eine solche Richtung zu geben, daß man dabei sein Fortkommen hat.

Die allgemeine Verwirrung der Gegenwart läßt sich darum so leicht verstehen, weil überhaupt kein Gesetz herrscht, weil Jeder das Bedürfniß fühlt, sich verständlich zu machen. Jetzt, da kein Gedanke mehr an der Spitze steht, vor dem die Völker sich in den Staub würfen und anbeteten, hat eine jede Meinung das factische Recht ihrer Gültigkeit. Kein geheimnißvoller Spruch wird jetzt noch Tausende zu Handlungen verleiten, die sie hinterher meist immer bereut haben; und wenn es heilige Gräber wieder zu erobern gibt, so liegen sie in dem gelobten Lande der eigenen Brust. Kreuzzüge unternehmen jetzt nur Skeptiker, und selbst die sind schon aus der Mode gekommen. In den Processen der Gährung und Zersetzung ist der befriedigendste Standpunkt die völlige Unbefangenheit. Wer über einen Abgrund einen Unglücklichen schweben sieht, den er doch nicht retten kann, macht seinen Fall nur um so fürchterlicher, je länger er ihn an dem Zipfel seines Rockschooßes zurückhält; der Fallende sammelt so eine größere Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte.

Ich zweifle sehr, ob Du ein Recht hast, Dich so bestimmt gegen alle Mode zu erklären. Bald trägst Du Dich nach antiker, bald nach orientalischer Sitte, trägst abwechselt einen spanischen Mantel mit Barett und fliegender Feder, dann wohl wieder einen Reifrock, Tituskopf und Fächer. So bist zu, ohne es zu wollen, eine Sklavin der Mode, nur daß Du sie nicht auf die Putzläden der Galanteriehändler, sondern auf die Garderobe des Theatercostümiers begründest. Ich trage meine Kleider und meine Meinungen immer nach dem neuesten Schnitt. Denn je länger ich Nein sage, desto öfter werd’ ich künftig Ja sagen müssen. Je mehr ich mir meine Anhänglichkeit an die alte Sitte gestände, desto schwerer wird mir die Annahme der neuen werden. Ich wohne schon lange nicht mehr im ersten oder zweiten Stockwerk meines Hauses, sondern auf dem Dache, und werde mich, wenn einst der Sturm losbricht, wohl hüten, noch hinunter zu steigen und meine Habseligkeiten zu holen.

Du hast mir einen Nachen gesandt, um mit mir eine neue Welt zu entdecken. Aber mein fröhlicher Ton muß Dich wohl belehren, daß ich nicht zu den Mißvergnügten gehöre; ich bleibe gern in diesem Chor von hunderttausend Narren, weil ich in ihm zu leben weiß. An einer abgeküßten Zehe einer Christusstatue kann ich Dir die Geschichte nicht nur des Christenthums, sondern aller Religion und Kirche demonstriren. Ich mache mich anheischig, an die Bandschleife Deines Hutes alle Tendenzen unserer Zeit anzuknüpfen. In dem Augenblick verstand ich die Wahrheit dieses Jahrhunderts, als sie Paganini vor einer bezaubernden Menge auf der G-Saite geigte.

Willst Du aber doch noch mit den eilenden Wolken, den Seglern der Lüfte, davonziehen, so wird Dich meine Liebe begleiten, nur laß uns jene G-Saite als Mast unseres Entdeckungsschiffs aufziehen. Wenn die Gräfin Rossi noch Rossignol wäre, so müßten die Luftwirbel vor ihrem süßen Munde wie erwünschter Wind uns forttrillern. Ich kenn’ einen deutschen Gelehrten, der jedes Lied in die Melodie des Dessauer Marsches zu zwingen verstand, auf unserer Fahrt wirst Du mir erlauben, eine Chronik des neunzehnten Jahrhunderts nach der Melodie der Barcarole zu singen.

Aber ich will dem Kleinode meines Herzens Nichts verschweigen, ich habe Deinen Plan errathen, und nicht umsonst bin ich auf das neapolitanische Fischerlied gekommen. Einen Eroberungszug wolltest Du mit mir unternehmen nach den Gewässern des Mittelmeeres; jenes neue Eiland, die Ferdinands- oder Grahamsinsel, im Namen der deutschen Freiheit in Besitz nehmen, und alle Deine Brüder und Schwestern einladen auf dies großartige Zeugniß ewig dauernder Schöpfung auszuwandern. Doch gewiß ist Dir nicht unbekannt geblieben, daß jener insularische Säugling der Natur vor Kurzem an den Folgen des Besitzergreifungsstreites zwischen England und Neapel, entweder an dem mal de Naples oder an der englischen Krankheit verstorben ist. Dieser Fall hat mich so in Erstaunen versetzt, daß ich mich nicht eher trösten konnte, bis ich Deine Absicht mit mir zu fliehen erfuhr. Da könnt’ ich Gottes gütige und weise Vorsicht nicht genug erheben: denn ich gestehe Dir, noch weil’ ich gern unter meinen Brüdern. Aber ich weiß nicht, war es das meinem Herzen entstammende Gefühl der Dankbarkeit für seine wunderbare Einmischung, für den bekannten Finger Gottes, oder war es Wehmuth über die geringe Dauer des menschlichen Lebens – ich stand auf und hielt folgende Leichenrede an dem Sarge einer früh gestorbenen Insel:

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