Der Zauberer von Rom

Der Zauberer von Rom – Karl Gutzkow

Gutzkows großes Kulturgemälde verweist mit einem Fingerzeig auf die Möglichkeit einer Lösung des großen welthistorischen Problems der Versöhnung der lateinischen und germanischen Welt. Am Schluß des Werks legt der letzte Papst die Reform der Kirche im Geiste der reinen Liebe und Menschlichkeit in die Hände eines allgemeinen Konzils.

Der Zauberer von Rom

Der Zauberer von Rom.

Format: eBook

Der Zauberer von Rom.

ISBN eBook: 9783849655730.

 

 

Auszug aus dem Text:

 

Langen-Nauenheim ist eines jener nordhessischen Dörfer, die mitten im Herzen Deutschlands liegen und denen dennoch nicht so warm gebettet ist, wie es an der Brust einer so großen Mutter, wie das Vaterland, sein sollte.

Sieht man die verfallenen Hütten mit ihren Stroh-und Schindeldächern, die dünngesäeten wie frierenden Halme auf den Feldern, das spätreifende Steinobst an den wenigen Bäumen oberhalb eines der vielen Bäche, die da- und dorther von den rothen Felsen des Gebirges so behend niedereilen, als suchten auch sie, wie andere Murmelquellen, blumengeschmückte grüne Matten, so begreift man nicht, wie noch all der Kummer und das Elend es hergeben, daß in der Landeshauptstadt jeden Mittag Schlag zwölf Uhr eine so prächtige Wachparade mit goldgestickten Uniformen und stolzberittenen Husaren aufziehen kann.

Aber Langen-Nauenheim ist darum auch so gut regiert wie Klein-Bockenheim und Ober-Heddersheim, und hat am Eingang und Ausgang seinen bunten Pfahl mit den Landesfarben und den Namen des Regierungs- und Steueramtsbezirks, zu dem es auf Gottes Erdboden gehört, hat sein Amthaus, seine Spritzenordnung, seinen Feuerversicherungszwang, seinen Büttel, seinen Nachtwächter und seinen sogar landesherrlich salarirten Schulmeister.

Letzterer heißt Gottlieb Schwarz.

Gerade jedoch sein Häuschen ist keines von den schmuckern.

Es lehnt sich fast an die Kirche an, die selbst so grau und geflickt zwischen zwei kleinen Hügeln liegt wie ein großes Storchennest zwischen den Hörnern eines Strohdachgiebels. Es hat sogar Fenster, wo die Scheiben mit alten Schulheften geflickt sind; der Regen corrigirte die Schreibfehler und falschen Grundstriche der bildungsbeflissenen Jugend. Ein Gärtchen liegt dicht in der Nähe mit einem Staket von dürrem Reisig, zwischen dem im Juni manchmal einige Erbsen blühen, falls man im April sie zu säen nicht vergessen hat, was auch schon vorgekommen ist.

Vor Jahren … ja, damals war es noch anders.

Damals war Gottlieb Schwarz selbstverständlich noch jung, noch mit rosigen Hoffnungen aus einem hochlöblichen Landes-Schullehrerseminar hervorgegangen. Wie herrlich hatte sich das ausgenommen, wenn die jungen Volks-Lehramtscandidaten im Seminargarten Rosenstöcke veredelten und süße Birnen auf sauere Quitten pfropften! Auch Seidenzucht trieb man, versandte auch – wenigstens im Geiste – den köstlichsten Honig an die Lebküchler von Frankfurt am Main und Nürnberg! In der Theorie bewährte sich alles prächtig und vielleicht auch einige Jahre in der Praxis, wenigstens zu Langen-Nauenheim, am Diemel-, Demel-, Donners- und Dustersbach … die Geographen haben unter vier Bächen, an denen sie Langen-Nauenheim können liegen lassen, die Auswahl … dann aber … ja dann folgte vorzugsweise ein Weib, das nicht richtig gewählt war, folgten Kinder, sieben »lebendige«, nächstdem keine Beförderung, keine »Aufbesserung«, immer die aschgraue Zukunft und das vielbesprochene Leid eines deutschen Schullehrers, eines Berufes, den plötzlich eines schönen Morgens in Deutschland, dem Vaterlande des Gedankens, der Buchdrucker- und Buchmacherkunst, niemand mehr gewählt haben wird, weil allerdings bei der Locomotive den Ofen heizen einträglicher ist.

Gottlieb Schwarz erntete, vollends als Witwer, Brennesseln, wo er einst von oculirten Rosen geträumt hatte … von jenen saftigen, länglichen, so schön, so schön röthlich angesprenkelten Birnen, die man beim Dessert eines frankfurter Bankiers Tafelbirnen nennt und die selbst die eingeladenen Diplomaten nicht verschmähen in die Tasche zu stecken und sie ihren Kindern vom Diner mit heimzubringen …

Doch um von Kindern zu reden …

Gottlieb Schwarz wird soeben von seinen sieben »Lebendigen« eines »los«.

Das ist die Lucinde, die Aelteste! Dies mit der damals noch nachschimmernden Romantik des Seminars getaufte Kind Maria Ludovica Lucinda ist eben dreizehn Jahre alt und im Begriff die »Kinderlehre« zu absolviren. Ein nach dem unpoetischen Vergleich eines Fuhrmanns wie eine »langhalsige Flasche« aufgeschossenes Mädchen steigt in eine Kutsche zu einer vornehmen alten Dame, die sie nach der Residenz entführen will.

Maria Ludovica Lucinda, die mit solchem Staatsnamen Getaufte, die hätte der Vater eigentlich lieber behalten sollen. Sie war in seiner spät geschlossenen Ehe das erste spätgekommene Kind gewesen (als eines den Anfang gemacht, ging das Niederkommen rascher, die Natur hat ihre wunderlichen Gesetze); sie war noch, wie ihr Name zeigte, von leuchtenden Hoffnungen begrüßt gewesen, und Ida, Clara, Estrella, Balduin, Hugo, Achilles, Patroklus, was sollte nicht noch alles ihr nachfolgen! Doch blieb der hoffnungsvolle symbolische Aufschwung nur bei der Erstgeborenen, und die Spätern hingen schon alle von den Namen derer ab, die ihnen ein Pathengeschenk ins Tauftuch binden konnten. Lucinde, die Romantische, ein Nachhall verklungener Jugend-Zaubertöne, – goldenes Morgenroth des Lebens, daß wir dein Bild einst nur noch einmal wiedersehen, im Abendroth! – Lucinde verwerthete sich dem Witwer noch am besten von seinem reichen Kindersegen. Die »Lange« hatte Neigung zum Schulmeistern. Sie konnte zwar keinen Eierkuchen backen ohne ihn anzubrennen, aber sie stand dem Vater in seiner schon sogenannten »Schulfuchserei« bei. Sie sprach gerade nicht englisch, nicht französisch, aber an einer alten Wandlandkarte, die sich staatsinventariumsmäßig im Langen-Nauenheimer Schulhause erhalten hatte aus einer Zeit, wo man noch einige Inseln der Südsee und das Innere Afrikas nicht entdeckt hatte, konnte sie stundenlang stehen und ihrer Zuhörerschaft Wunder vortragen von den Pyramiden, die sie nach Amerika, von den Porzellanthürmen, die sie nach Afrika versetzte. Alle die Gegenden, wo es noch Bären und Wölfe gab, wurden der Langen-Nauenheimer Jugend von ihr im hintersten Indien gezeigt, womit freilich im Widerspruch stand, daß der Revierförster der zwei Dörfer weiter wohnenden Herrschaft dann und wann noch einen von »da drüben herüber«, dem Rhöngebirge, kommenden Wolf gegen Weihnachten geschossen hatte.

Gottlieb Schwarz war schon lange in der Stimmung, zu allem, was ihm das Leben bescherte, nur zu lächeln. Die wilden Verzweiflungen, wo der Mensch sich in die Haare fährt und »Gott! Gott! Gott! ist’s denn möglich!« oder dergleichen dumme Redensarten ausstößt, hatte er hinter sich. Er lächelte zu dem Abschied seiner Lucinde. Mußten die Kinder einmal »versorgt« werden, so fängt man ja von oben mit der »Latte« an. Die Nächste nach der »Latte«, ein Kind, das schon mit irdischerm Namen nach der Frau jenes Revierförsters Luise hieß, verstand sich zwar nicht so gut auf Geographie wie Lucinde, aber sie rechnete besser und ihre Eierkuchen brannten nicht an; Hannchen vollends, die Dritte – wieder nichts Mythologisches – war erst zehn Jahre alt, hatte aber mehr Sinn für die Wirthschaft als die beiden Aeltesten zusammengenommen; sie ließ sich nie die Mühe verdrießen, nach den geheimen Orten zu suchen, wohin die Hühner ihre Eier legten, sie pflanzte gern und hielt ihre kleinern Geschwister zum Kleiderschonen und Nasenputzen an. Endlich bestand der Rest der Nachkommenschaft des früh gealterten Männleins aus Knaben, und von denen konnten sich erst zwei die Hosen zuknöpfen.

Das Rathsame, warum erst Lucinde weggegeben werden mußte, lag besonders darin, daß sie sehr hübsch und etwas hoch hinaus war. Sie hatte kostspielige Liebhabereien. Schwarz von Namen und von Haar und Augen, pflegte sie sich gerade gern mit irgendeinem zinnober- oder purpurrothen Stück Zeug zu putzen, mit Bändern und Lappen, und hätten diese ringsum die Pachterstöchter oder die Frau Pfarrerin selbst schon nahe am Wegwerfen gehabt; die flocht sie in das dunkle, schwere und etwas rauhe, ja roßmatratzenmäßige, weil ungepflegte Haar. Sie hatte ferner die Liebhaberei, unendlich träge, gerade herausgesagt faul zu sein, sich den Sonnenschein so in den offenen kleinen, rothlippigen Mund scheinen zu lassen, daß dabei die weißen Zähne wie Perlen blitzten. Sie hatte die Liebhaberei, sich in einer Luke des verwitterten Hausdaches einen Taubenschlag zu halten. Kurz, der Vater ließ die Lucinde ziehen, und sie ging gern: ihre Leidenschaft war die Geographie und ihre Träume spielten »jenseit der Berge«.

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