Christliche Symbolik, Band 1

Christliche Symbolik, Band 1 – Wolfgang Menzel

Das vorliegende Werk, hier Band eins von zwei mit dem ersten Teil des Alphabets, unterscheidet sich von anderen Ikonologien durch bei weitem grössere Vollständigkeit, indem es sich nicht darauf beschränkt, konventionelle Attribute der Heiligen aufzuzeichnen, sondern den tieferen Grund und inneren Zusammenhang in der gesamten christlichen Bildersprache nachweist. Es erläutert alle Sinnbilder in der Heiligen Schrift, in Dogma und Kultus, in der Legende, in der Baukunst, Skulptur, Malerei und Poesie der Kirche. Die Kenntnis dieser Dinge ist so sehr verdunkelt, dass selbst viele Priester die alten Bilder in ihren eigenen Kirchen nicht mehr verstehen, und dass gerade die schönsten und geistreichsten Abhandlungen und Homilien der Kirchenväter und Mystiker, welche bildliche Auslegungen enthalten und Hauptquelle der kirchlichen Symbolik sind, zu den vergessensten Dingen im ganzen Bereich des menschlichen Wissens gehören.

Christliche Symbolik, Band 1

Christliche Symbolik, Band 1.

Format: Paperback, eBook

Christliche Symbolik, Band 1.

ISBN: 9783849666514 (Paperback)
ISBN: 9783849661694  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

A.

Erster Buchstabe in allen Sprachen, Zeichen des Anfangs. Das lange Ω im griechischen Alphabet, als letzter Buchstabe Zeichen des Endes. Ich bin das A und das O, spricht der Herr. Jesaias 41, 4. 44, 6. Offenb. Johannis 1, 8. Jenes Α und Ω findet sich oft auf alten Kirchenbildern am Haupt oder im Nimbus Gottes des Vaters, auch neben der Chiffre Christi. – An das Sprichwort: „Wer A sagt, muss auch B sagen,“ knüpft sich eine schöne Legende der beiden apokryphischen Evangelien infantiae Christi 49 und St. Thomae 7. Das Christkind sollte in der Schule das ABC lernen, blieb aber gleich beim A stehen und erläuterte die tiefe Bedeutung dieses ersten Lautes mit solcher Weisheit und so unerschöpflicher Gedankenfülle, dass der Lehrer erschrack und gar nicht bis zum B kommen konnte.

Aaron

Der Urpriester, wie sein Bruder Moses der Urprophet. Im Charakter Aarons treten neben der auf ihm ruhenden göttlichen Weihe und neben manchen heiligen Eigenschaften auch unheilige Schwächen hervor. Aaron ist daher Urbild des gesammten Priesterthums in seiner schlimmen, wie guten Seite. Wie er sich gelegentlich dem Volk accommodirte, ihm sogar das goldne Kalb machte, wie er so nichts für sich war ohne seinen grossen Bruder, den Propheten, und wie er sich doch auch wieder gegen diesen auflehnte; so hat das kastenmässige Priesterthum der weltlichen Macht und dem Volke sich nur zu oft zu accommodiren gestrebt. Das Grossartige, Ursprüngliche, unergründlich Geniale in den Büchern Mosis ist die göttliche Weisheit und Langmuth, die der Menschen Schwäche, Thorheit und Bosheit durch und durch kennt, aber in der schlimmsten Zeit tiefer sittlicher Versunkenheit dennoch auch unwürdigen Priestern die Weihe nicht entzieht, nur um die Tradition auf bessere Geschlechter fortzupflanzen. Unter den Juden in der Wüste sollte der die Hohepriesterwürde erhalten, dessen dürrer Stab blühen würde; alle Stäbe blieben dürr, nur Aarons Stab blühte. 4. Buch Mosis 17. – Aaron ist demnach Prototyp des Priesterthums und trägt die bischöfliche Mitra. Sofern aber der blühende Stab ein Sinnbild der Jungfräulichkeit wurde, bezog man ihn in Aarons Hand auch vorzugsweise auf die Ehelosigkeit der Priester. Dasselbe Wunder des blühenden Stabes wiederholte sich an Joseph, Mariens Gatten, weshalb der blühende Stab auch ein Sinnbild der Jungfräulichkeit Mariä ist. Daher der Vers aus dem handschriftlichen speculum humamae salvationis, mitgetheilt von Didron, manuel p. 100:

Virga Aaron protulit fructum sine plantatione,
Maria genuit filium sine virili conjunctione.
Virga florens Aaron dignum sacerdotium monstravit,
Maria pariens nobis magnum sacerdotem paravit.

 

Rupertus Tuit. 194. vergleicht Moses und Aaron mit dem Kaiser und dem Papst.

Aaronswurzel

Lat. Arum, in einem einzigen Scheideblatt eine dunkelviolette Kolbe, um deren Fuss die männlichen und weiblichen Befruchtungsorgane und die Nektarien dergestalt in drei Ringen liegen, dass sie mit ihren grossen und kleinen Warzen und Haaren den Weintrauben, Aehren und dem Gras ähnlich sehen. Das Kraut wächst im Mai in den Wäldern, und das Volk glaubt, an der gesunden Fülle oder dem krankhaften Zustande jener drei Ringe zu erkennen, ob es im laufenden Jahre viel oder wenig Heu, Getreide und Wein geben werde. Deshalb heisst es auch in Bayern Zeigkraut. Panzer, Beitrag zur deutschen Myth. 248. In Schwaben hörte ich von dem verstorbenen Professor Albert Schott die schöne Volkssage, die ihm ein altes Bauernweib erzählt hatte: Als Josua und Caleb in’s gelobte Land geschickt wurden, nahmen sie Aarons Stab mit und trugen an ihm die grosse Weintraube und die andern Früchte jenes Landes zurück. Nachdem sie dieselben abgeladen, steckten sie den Stab in die Erde, und wo er gesteckt hatte, wuchs nachher die Aaronswurzel, an welcher bis auf den heutigen Tag ein Abbild jenes Früchtesegens zu finden ist, den Josua und Caleb aus dem gelobten Lande brachten.

Aas

Sinnbild der Fleischlichkeit. Wo ein Aas ist, sammeln sich die Adler, d. h. wo es etwas zu geniessen, zu rauben oder zu beerben gibt, ist Jeder bei der Hand. – Von allem fleischlichen Leben bleibt nur Aas übrig, während die Seele sich mit einem reinern Leibe umkleidet. Daher wird der Rabe, der aus Noah’s Arche fliegt und nicht wiederkommt, weil er sich mit dem Aase der herumschwimmenden todten Thiere labt, von Rupertus Tuit. 44. sinnig mit dem Judenthum verglichen, das am alten und am fleischlichen Gesetze hängt, im Gegensatze gegen die Taube des Christenthums. – Aas ist das Wesen dessen, von dem die Wollust nur der verlockende und trügliche Schein ist. Auf dem Blocksberge merken die Hexen erst ganz zuletzt, dass die köstlichen Speisen, von denen sie zu essen gewähnt, nur Aas gewesen. In vielen Sagen werden liederliche Offiziere oder Studenten, die von einer dämonischen Dame in ein herrliches Schloss gelockt worden sind und in allen Genüssen geschwelgt haben, plötzlich auf den Schindanger versetzt und liegen im Morgengrauen neben dem Aas eines Pferdes.

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