Christliche Symbolik, Band 2

Christliche Symbolik, Band 2 – Wolfgang Menzel

Das vorliegende Werk, hier Band zwei von zwei mit dem ersten Teil des Alphabets, unterscheidet sich von anderen Ikonologien durch bei weitem grössere Vollständigkeit, indem es sich nicht darauf beschränkt, konventionelle Attribute der Heiligen aufzuzeichnen, sondern den tieferen Grund und inneren Zusammenhang in der gesamten christlichen Bildersprache nachweist. Es erläutert alle Sinnbilder in der Heiligen Schrift, in Dogma und Kultus, in der Legende, in der Baukunst, Skulptur, Malerei und Poesie der Kirche. Die Kenntnis dieser Dinge ist so sehr verdunkelt, dass selbst viele Priester die alten Bilder in ihren eigenen Kirchen nicht mehr verstehen, und dass gerade die schönsten und geistreichsten Abhandlungen und Homilien der Kirchenväter und Mystiker, welche bildliche Auslegungen enthalten und Hauptquelle der kirchlichen Symbolik sind, zu den vergessensten Dingen im ganzen Bereich des menschlichen Wissens gehören.

Christliche Symbolik, Band 2

Christliche Symbolik, Band 2.

Format: Paperback, eBook

Christliche Symbolik, Band 1.

ISBN: 9783849666149 (Paperback)
ISBN: 9783849661700  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

L.

Labyrinth.

Sinnbild der Welt mit ihren Irrgängen und Verführungen. Picinelli, mundus symb. II. 66. Die Seele irrt durch das Labyrinth der Welt, wird aber von Christo an einem langen Faden aus der Ferne geleitet. Herm. Hugo, pia desideria, Antv. 1624. p. 135. Die sogenannten Labyrinthe in den Kirchen sind (wie die Irrgänge in Gärten) künstlich verschlungene Lineamente für die Bittgänge, zu dem Zweck angelegt, auch in engem Raume einen längeren Weg durchmessen zu können. Kreuser, Kirchenbau I. 146.

Lamech.

Derjenige Nachkomme Kains, von welchem nach Gen. 4, 18 f. alle heidnischen Culturvölker im Gegensatz gegen das fromme Hirtengeschlecht Seths abstammen. Dieser Gegensatz der Völker vor der Sündfluth ist Vorbild des nachsündfluthlichen. Lamech macht sich auf zweierlei Weise bemerklich, einmal dadurch, dass er zwei Weiber nimmt. Somit stellt er sich an die Spitze aller der Völker, die sich der Vielweiberei ergeben und insofern auch grösserer Corruption ausgesetzt sind. In der ganzen Reihe der Patriarchen von Seth bis Noah kommt kein ähnlicher Fall vor. Nur Kains Geschlecht treibt Vielweiberei. Lamech gilt ferner wegen Gen. 4, 23. und 24. als der Erfinder des Schwertes und, sofern er in diesen Versen das Schwert besang, als der erste Dichter. Hier treten also Krieg und Dichtkunst als neue Momente der Cultur hervor, die sich in Kains ackerbauendem Geschlecht entwickelt, während Seths Geschlecht der frommen Hirteneinfalt treu bleibt. Der Sinn obiger Verse ist: Lamech ist von einem Jüngling beleidigt worden und hat ihn mit dem Schwert erschlagen, und freut sich, dass, wie schon Kain die ihm von Abel widerfahrene Beleidigung gerächt, er mit noch schärferer Waffe die ihm widerfahrene bestraft hat. Die Lust des Schwerts, die Lust der Rache ist es, was jenes erste Lied auf Erden preist. Vgl. Herder, zur Theol. VII. 195. Lamech zeugt sofort mit seinen beiden Weibern den Jabal, der die ersten Hütten baut, den Jubal, der das Geigen und Pfeifen erfindet, und den Tubalkain, der in Erz und Eisen Meister ist; also lauter Repräsentanten der höheren Cultur und im Gegensatz gegen Seths einfaches Hirtengeschlecht. Das ist derselbe Gegensatz, der noch lange nach der Fluth abermals hervortritt zwischen den gebildeten Aegyptern, Phöniziern, Syriern und Babyloniern einer-, und den israelitischen Hirten andrerseits.

Buttmann hat sich in seinem Mythologus I. 164. viel Mühe gegeben, in dem Jubal den Apollo, im Tubalkain den Vulkan und die erzkundigen Telchinen (die griechischen Berggnomen) wieder zu erkennen, indem er meint, die Genesis sey sehr spät abgefasst, in einer Zeit, wo die Juden schon den Apollo und Vulkan kannten. Eine willkührliche Wortspielerei. Kains kunstreiches Geschlecht bedeutet die ganze Cultur der alten Welt und ihre Corruption in einem gedrängten und doch erschöpfenden Vorbilde. Gegenüber der so grossen Bedeutung sind jene Namenanklänge etwas ganz Gleichgültiges.

Mit dieser Symbolik steht eine andere im Widerspruch. Das Speculum hum. salvat. 20. fig. 2. macht den Lamech, sofern er von seinen beiden Weibern gegeisselt wird, zum Vorbilde der Geisselung des Heilandes, indem das eine Weib das Judenthum, das andere das Heidenthum bedeuten soll. Doch kommt in der Bibel selbst von dieser Geisselung Lamechs nichts vor, und nur Comestors hist, scholast. 28. erwähnt einer schlechten Behandlung Lamechs durch seine Weiber. Vgl. Piper, Myth. I. 150.

Lamm

Sinnbild des Heilandes als das stumme Opferlamm, Jesaias 53, 7. Als das Lamm, das der Welt Sünde trägt. Joh. 1, 29. Offenb. Joh. 5, 6. Christus opferte sich für die Menschheit und verglich bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls seinen Leib und sein Blut mit dem des Osterlammes, welches vorher zu derselben Osterzeit die Juden zu schlachten und zu essen pflegten. Vgl. 1. Kor. 5, 7. 1. Petri 1, 19. Ueber dieses Osterlamm der Juden kann man vergleichen, Bochart (hier. I. 551.) darüber zusammengetragen hat. Das Osterlamm der Juden hat eine symbolische Beziehung zu dem Widderzeichen am Himmel um die Tag- und Nachtgleiche des Frühlings und stimmt mit Lammopfern überein, die auch die Heiden darbrachten. Gleichwohl ist Sinn und Bedeutung des christlichen Lammsymbols himmelweit verschieden vom jüdischen und heidnischen. In Griechenland werden noch jetzt zu Ostern Lämmer gegessen.

Ausland 1841. Nr. 9. Die förmliche Anbetung des Lammes wurde als eine zu heidnische und zweideutige Sitte im 7ten Jahrhundert von der Kirche untersagt. Augusti, Denkw. XII. 364.

In der Offenbarung Johannis 21, 23. wird Christus als Lamm zugleich identificirt mit dem reinsten Lichtquell, mit der Sonne der Geisterwelt; denn es heisst hier vom neuen Jerusalem, daselbst werde keine Sonne mehr scheinen, sondern der Seligen Leuchte werde allein das Lamm seyn.

Sofern das Lamm in der Offenbarung Johannis 5, 6. am Weltende als der höchste Weltrichter thront, trägt es sieben Hörner, welches sind sieben Geister Gottes. Das ist in christlicher Anwendung das himmlische Widderzeichen, welches nach dem langen Winter des Erdenlebens endlich den ewigen Frühling bringt. Die männliche Natur und die Hörner (Sinnbild der Stärke) kommen dem allmächtigen Richter über die Lebendigen und Todten zu. Dennoch ist der gewaltige Widder immer nur das sanfte Opferlamm, und der Grundgedanke bleibt, dass der Richter zugleich das Opfer und als Opfer der Erlöser ist. Das Lamm öffnet das Buch der sieben Siegel und wird vom ganzen Himmel angebetet. Das grossartigste Bild dieser Anbetung des Lammes durch die himmlischen Heerschaaren und Chöre der Heiligen ist das auf dem berühmten Genter Altar. In der Jesuitenkirche zu Rom befindet sich ein Bild, auf welchem nicht nur der Himmel, sondern auch die Hölle an dieser Anbetung Theil nimmt. Das Lamm nur von Engeln allein angebetet, malte Coyper. Vier Engel um das Lamm auf einem alten Schnitzwerk in St. Gallen, Didron, icon. p. 330.

Widder und Lamm tragen, wenn sie den Heiland bedeuten, immer den Kreuznimbus der nur den drei Personen der Dreieinigkeit zukommt. Didron, man. 46. man. 245. Zuweilen trägt das Lamm (statt der Widderhörner) auf dem Kopfe ein Kreuz. Aringhi, Roma sott. I. 295. 425. Bosio, p. 335. Oder die heilige Namenschiffre Christi , das I. 293.

Mit dem rechten Vorderfusse pflegt das Lamm Gottes einen langen Kreuzstab zu tragen, Aringhi II. 295. Didron, icon. 46. Twining, symb. pl. 9. Noch öfter hängt an diesem Stabe eine Fahne, das ist dieselbe Siegesfahne, die Christus in den Auferstehungsbildern zu tragen pflegt. Twining, pl. 10. Didron, ic. 332. Ausnahmsweise trägt der Widder einen Krummstab (Hirtenstab), Aringhi I. 557.

Oefters steht das Lamm Gottes auf einem Felsen, aus dem vier Flüsse strömen (die vier Evangelien). Didron, ic. p. 68. 327. 333. Bosio, Roma sott. 63.

Das Lamm hat einen Kelch vor sich, Twining, pl. 10. Auf neuern Bildern fliesst oft aus einer Brustwunde des Lammes Blut in den Kelch.

Das Lamm und ein Löwe halten einen Altar. Twining, pl. 12. Der Löwe ist ein Sinnbild des Heilandes, wie das Lamm, und bedeutet die Allmacht, wie jenes die göttliche Liebe; doch kommt in einer Hymne des Prudentius bei Fortlage, christl. Gesänge 34., das Lamm auch als Ueberwinder des reissenden Löwen (der Welt) vor.

In einem Lorbeerkranz steht das Lamm (als ein Zeichen des Sieges). Twining, pl. 9.

Auf den ältesten christlichen Grabdenkmalen der Katakomben steht öfters das Lamm Gottes unter zwölf andern Lämmern (den Aposteln). Aringhi I. 307. Twining, pl. 53. Auch einmal nur unter sechs Lämmern, Bosio 63. Der Hirt unter den zwölf Lämmern, Didron, ic. 335. Twining, pl. 53. Die zwölf Lämmer allein mit verschiedenen Symbolen, Aringhi I. 277.

Weil nach Joh. 1, 29. 36. Johannes der Täufer auf Jesum hinwies: “Siehe, das ist das Lamm Gottes!“ wird er sehr oft mit dem Lamme zugleich abgebildet. Das Lamm muss dann immer durch Nimbus oder Kreuz und Fahne als das göttliche erkennbar seyn. Die neueren Bilder, auf denen das Kind Johannes nur mit einem gewöhnlichen Lamme spielt, lassen die Bedeutung des letzteren in Zweifel. Noch weniger sind die modernen Nebeneinanderstellungen des Christkindes mit einem Lamme, mit dem es spielt oder auf dem es reitet, zu rechtfertigen. In der alten Kirchenmalerei wurde das Lamm nie neben Christus gestellt, sondern man findet entweder das Lamm oder den Gottmenschen allein. Zu der modernen Spielerei gehören auch viele Herrnhuterlieder, in denen die Liebe zum Lamm allzu kindisch wird.

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