Das Geheimnis eines Lebens

Das Geheimnis eines Lebens – Walther Kabel

“Die goldene Zeit der Krimis” war eine Ära klassischer Kriminalromane, die vor allem die 1920er und 1930er Jahre bestimmten. Die gleichnamige Serie bietet dem Fan dieser “Evergreens” eine große Auswahl von Titeln, die damals entweder bereits als eigenständige Bücher, oder aber als Fortsetzungsromane in diversen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Dieser 1920 erschienene Roman wurde bereits 1911 unter dem Namen “Marie Wielands Geheimnis” in einer längeren Fassung herausgegeben.

Das Geheimnis eines Lebens

Das Geheimnis eines Lebens.

Format: Taschenbuch

Das Geheimnis eines Lebens.

ISBN Taschenbuch: 9783849666538.

 

Auszug aus dem Text:

In das Arbeitszimmer des Ingenieurs Wieland flutete durch das breite Fenster der warme Junisonnenschein hinein und zeichnete auf dem glänzenden Fußboden und dem vor dem Schreibtisch liegenden Eisbärfell leuchtende, unregelmäßige Vierecke. Ein einzelner Strahl hatte sich auf das Haupt der jungen Frau verirrt, die zusammengekauert in einem der Sessel nahe dem Fenster saß. Dieser Strahl ließ die dunkelblonden Flechten ihres Haares im goldigen Glanze schimmern und bildete eine eigenartige Krone über Maria Wielands weißer Stirn.

In dem Zimmer herrschte eine drückende Stille. Die drei Personen, die mit ihren Sorgen in den kleinen Raum geflüchtet waren, empfanden dieses Schweigen nur zu deutlich wie ein unbekanntes, näherschleichendes Unheil. Da erhob sich Karl Wieland mit ungeduldiger Bewegung und begann erregt auf und ab zu gehen. Sein von einem elegant gestutzten Vollbart umrahmtes, gutmütiges Gesicht war verdüstert, und wenn er zu seiner Gattin hinüberblickte, gruben sich die Falten auf seiner Stirn regelmäßig tiefer ein.

Endlich blieb er vor ihr stehen und sagte halblaut, mit seltener Härte im Ton:

„Ich werde trotz Deiner Bitten die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen. Denn so geht das nicht weiter. Ich, – wir alle, reiben uns bei diesen Sorgen auf. Irgend etwas muß geschehen!“

Maria Wieland schwieg, und ihr Gatte schaute zu ihr herab und schüttelte dann wehmütig den Kopf.

„Mia,“ bat er wieder, „habe doch Vertrauen zu mir! Willst Du denn unser Glück durch einen unbegreiflichen Trotz zerstören! Siehst Du denn nicht ein, daß mich Dein Benehmen – mißtrauisch machen muß! – Mia, denke doch an die vier Jahre unserer bisher so selten harmonischen Ehe –“

Ein wildes Schluchzen unterbrach ihn. Die junge Frau hatte die beringten Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte fassungslos, weinte, daß ihr schlanker Körper zuckte und bebte. – Der Ingenieur stand dabei, und ein tiefer Seufzer rang sich aus seinem bekümmerten Herzen los. Dann wandte er sich seiner Schwester zu, die mit trostlosen Augen am Kamin lehnte.

„Begreifst Du das alles, Anna?“ meinte er traurig. Und seine blonde Schwester warf nur einen vorwurfsvollen Blick auf die Weinende.

Da richtete sich Maria auf. Mit zitternder Stimme klang’s in Tönen, die einen Stein hätten rühren können.

„Karl – nur das nicht – nur das nicht. Ich flehe Dich an: Geh’ nicht zur Polizei! Der Papa wird ja zurückkommen, schreiben – depeschieren. Mein Gott, was soll ich nur sagen, damit das eine nicht geschieht –“ – Wieder das Wimmern der weinenden Frau, und dazu die durch den Teppich gedämpften Schritte des rastlos auf und ab gehenden Mannes. – Dann kam Anna Wieland langsam vom Kamin auf die Weinende zu und umfaßte sie liebevoll.

„Es ist doch zu Deinem Besten, Mia, – begreifst Du denn das nicht! – Dein Vater ist’s, um den wir uns Sorgen machen, ihn wollen wir Dir doch wiedergeben, den wir alle lieb haben. Und jeder Tag, jede Stunde der Verzögerung vergrößert nur unsere Angst, kann dem Verschwundenen vielleicht auch Schaden bringen. Es muß ihm doch etwas Ernstliches zugestoßen sein, sonst hätte er uns nicht drei Tage ohne jede Nachricht gelassen.“ Und indem sie die Schwägerin fester an sich zog, bat sie weiter: „Mia, schenke doch wenigstens Karl Vertrauen! Du mußt doch irgend einen Grund dafür haben, daß Du die Hilfe der Behörden so – so ängstlich von Dir weist! – Mia, sag’s doch wenigstens Deinem Manne allein, ich will mich ja nicht in Deine Geheimnisse eindrängen. Aber er, – was soll er nur von Dir denken –“

„Quält mich doch nicht, – habt doch Erbarmen!“ – Wie ein wilder Schrei klang’s durch das Zimmer. Maria Wieland war aufgesprungen und zu ihrem Manne hingeeilt. An seiner Brust weinte sie weiter. Und er strich ihr liebkosend über das volle Haar, flüsterte ihr leise, zärtlich etwas zu. Langsam beruhigte sie sich. Und der blonde Riese, der sie um Kopfeslänge überragte, führte sie jetzt behutsam zu dem Sessel zurück und sagte dann weich:

„Auch ich will nicht weiter in Dich dringen. Aber so lasse ich die Dinge nicht fort gehen. Ich werde mich an Dreßler wenden. Er wird raten. – Oder willst Du auch das nicht, Liebling?“ – Sie nickte nur.

„Ich treffe ihn jetzt um die Mittagszeit sicher zu Hause an. Ob er mich aber sehr freundlich empfangen wird?!“ – Da sagte Anna Wieland in ihrer ruhigen, kühl überlegenen Weise:

„Dreßler ist nicht der Mann, der es uns verargt, daß wir ihn in den letzten Tagen vernachlässigt, ihn auch nicht ins Vertrauen gezogen haben. Er, der gute Menschenkenner, hat uns ja schon gestern sehr deutlich gesagt, daß uns irgend etwas ängstigen müsse, daß wir anders seien als sonst. Wenn Du jetzt zu ihm hingehst, Karl, wird er Dich empfangen wie immer. Auch ich meine, daß er der einzige ist, der uns helfen kann.“

Die junge Frau drückte wie in stummer Abbitte zärtlich die Hand ihres Mannes. Ermattet lag sie zusammengesunken in dem tiefen Sessel. Und jetzt, wo Karl Wieland in dem hellen Tageslicht ihr verweintes Gesicht sah, schrak er beinahe zusammen, so sehr hatten die Sorgen der letzten Tage die frische Farbe aus den sonst so liebreizenden Zügen verdrängt. Um die dunklen Augen lagerten tiefe Schatten, und ein ungesundes Grau um den schöngezeichneten Mund ließ die kaum Vierundzwanzigjährige um ein Jahrzehnt gealtert erscheinen. Da beugte er sich über sie und drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn.

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