Das Katzen-Palais

Das Katzen-Palais – Walther Kabel

“Die goldene Zeit der Krimis” war eine Ära klassischer Kriminalromane, die vor allem die 1920er und 1930er Jahre bestimmten. Die gleichnamige Serie bietet dem Fan dieser “Evergreens” eine große Auswahl von Titeln, die damals entweder bereits als eigenständige Bücher, oder aber als Fortsetzungsromane in diversen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Als in Berlin-Charlottenburg der Rentner Gottfried Marschall durch mehrere Stiche in die Brust ermordet wird, muss sich erneut Detektiv Fritz Schaper in die Ermittlungen einschalten und Licht ins Dunkel bringen.

Das Katzen-Palais

Das Katzen-Palais.

Format: Taschenbuch

Das Katzen-Palais.

ISBN Taschenbuch: 9783849666521.

 

Auszug aus dem Text:

Rechtsanwalt Heiling erreichte den Stadtbahnzug auf dem Bahnhof Börse noch im letzten Augenblick. Jetzt, wo die Millionenstadt Berlin nach dem abendlichen Geschäftsschluß das unzählige Heer der Angestellten ausspie wie ein übersättigter, müder Moloch, waren die Züge nach den westlichen Vororten mehr als überfüllt. Aber Ernst Heiling hatte Glück. Wie er sich noch mit knapper Not in ein Abteil zweiter Klasse hineinschwang, winkte ihm zwischen einer älteren Dame und einem fast überelegant gekleideten Herrn ein freies Plätzchen.

Er setzte sich, rückte den von dem eiligen Lauf etwas nach vorn gerutschten Klemmer auf seiner schmalen, feingebauten Nase an die richtige Stelle und entfaltete die Abendzeitung. Seine Aktenmappe, in der sich dringende Papiere befanden, die er daheim erledigen wollte, stellte er neben sich.

Aber zum ungestörten Genuß der Blätter sollte er sobald nicht kommen. Sein Nachbar, in dessen fahlem Gesicht das Einglas wie festgemauert saß, duftete derart aufdringlich nach einem süßlichen Parfüm, daß der Rechtsanwalt sich schleunigst eine Zigarette anzündete, obwohl die Luft in dem Abteil bereits von Rauchschwaden erfüllt war und Heiling sonst schon aus Rücksicht auf die anwesenden Damen auf seine geliebte Manoli verzichtet hätte. Doch dieser widerlich süße Duft, der seine Nase fortgesetzt belästigte, war anders nicht zu ertragen.

Als die Zigarette brannte, lehnte er sich weit in die Polster zurück und betrachtete nun erst einmal genauer diesen Herrn, der seine Mitmenschen mit diesem unausstehlichen Parfüm derart zu peinigen wagte. Das Gesicht des Betreffenden ließ mit seiner ungesunden Farbe und den feinen Fältchen um Mund und Augen keinen sicheren Schluß auf das Alter zu. Anfang der dreißiger, schätzte Heiling, dem das scharfe Beobachten anderer bei seinem Beruf zur zweiten Natur geworden war. Kleidung zu gigerlhaft, überlegte der Anwalt weiter. Der Kragen könnte getrost ein paar Zentimeter niedriger sein, und der Stein in der Nadel der lose geschlungenen Krawatte dürfte auch nicht ganz echt sein – also Talmi-Eleganz, wie man sie in Berlin in gewissen Kreisen, die Heiling durch seine Tätigkeit mehr als gut kannte, nur zu häufig antrifft.

Bei alledem schien den in so unfeiner Weise parfümierten Menschen eine fast krankhafte Unrast zu peinigen. Er klebte nur gerade noch auf dem vordersten Rande des Polsters und saß auch nicht einen Augenblick ruhig. Bald fuhr sein von einem spiegelblanken Zylinderhut gekrönter Kopf nach dieser Seite hin, bald nach der anderen, indem er durch sein Monokel die vorbeihuschenden Häuser und Straßenzüge aufmerksam betrachtete. Offenbar hatte er es sehr eilig und erwartete mit höchster Ungeduld das endliche Eintreffen am Ziele seiner Fahrt. Eine Ledermappe, die in Größe und Farbe der des Anwalts vollkommen glich, hielt er ängstlich an den Körper geklemmt unter dem linken Arm.

Auf dem Bahnhof Friedrichstraße füllte sich das Abteil noch mehr. Auch der Mittelgang war jetzt von Leuten, die keinen Sitzplatz mehr gefunden hatten, völlig gefüllt. Nur mit Mühe gelang es Heiling, der sich inzwischen schon ein wenig an den aufdringlichen Geruch gewöhnt und dem der Stutzer bereits wieder herzlich gleichgültig war, seine Zeitung zu entfalten.

Da – kurz vor dem Einlaufen in den Lehrter Bahnhof wurden die Bremsen plötzlich mit aller Gewalt angezogen. Es gab einen so starken Ruck, daß die Insassen des Abteils, in dem der Rechtsanwalt sich befand, gründlich durcheinandergeworfen wurden. Erst nach einer Weile gelang es Heiling, seine Aktentasche, die vom Sitz heruntergefallen war, wieder an sich zu nehmen.

In demselben Augenblick riß auch schon ein Schaffner die Tür auf und rief den bestürzten Fahrgästen zu, daß die Maschine entgleist sei und alles sich zu Fuß nach dem nahen Lehrter Bahnhof den Gleisen entlang begeben müsse.

Mit einem halb unterdrückten Fluch sprang als erster Heilings Nachbar auf und drängte sich rücksichtslos nach der offen gebliebenen Tür durch.

„Nette Wirtschaft – verdammter Aufenthalt!“ hörte der Anwalt den Fremden murmeln. Dann verlor er ihn aus den Augen.

Eine Viertelstunde später befand sich Heiling, der eine elektrische Straßenbahn zur Weiterfahrt benutzt hatte, in seiner in Charlottenburg gelegenen Privatwohnung. Schon unterwegs hatte er bemerkt, daß der geringfügige Eisenbahnunfall ihm doch in einer Beziehung verhängnisvoll geworden war. Fraglos hatte er nämlich seine Aktentasche mit der des parfümierten Herrn, die gleichfalls ihrem Besitzer entglitten war, vertauscht. Denn deutlich fühlte er durch das Leder – leider zu spät, woran nur die allgemeine Aufregung Schuld trug – in der Mappe mehrere harte, längliche Gegenstände, während seine eigene nur ein paar dünne Aktenhefte enthalten hatte.

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