Der Christbaum und die Hochzeit (Deutsche Neuübersetzung)

Der Christbaum und die Hochzeit – Fjodor Dostojewski

Der Erzähler beginnt damit, dem Leser mitzuteilen, dass er gerade auf einer Hochzeit gewesen war, sich aber an eine Weihnachtsfeier erinnert, die er interessanter gefunden hatte. Die Feier wurde unter dem Vorwand veranstaltet, ein Kinderfest zu sein, aber ihr eigentlicher Zweck war es, der wohlhabenden Gastfamilie die Gelegenheit zu verschaffen, mit reichen Mitgliedern der Gesellschaft über Geschäfte zu sprechen . Der wohlhabendste Gast war Julian Mastakovich, ein feister Großgrundbesitzer, der sich besonders für eines der Kinder interessierte …

Der Christbaum und die Hochzeit

Der Christbaum und die Hochzeit.

Format: eBook.

Der Christbaum und die Hochzeit.

ISBN: 9783849653750.

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Neulich sah ich eine Hochzeit . . . . Aber nein! Ich sollte lieber von einem Christbaum erzählen. Die Hochzeit war großartig. Sie hat mir sehr gut gefallen. Aber das andere Ereignis war noch schöner. Ich weiß nicht, warum mich der Anblick der Hochzeit an den Christbaum erinnerte. So ist es passiert:

Vor genau fünf Jahren wurde ich am Silvesterabend von einem Mann, der in der Geschäftswelt ganz oben stand, seine Verbindungen, seinen Bekanntenkreis und seine Intrigen hatte, zu einem Kinderball eingeladen. Es schien so, als wäre der Kinderball nur ein Vorwand für die Eltern, zusammenzukommen und über Themen zu diskutieren, die für sie von Interesse waren, ganz unschuldig und beiläufig.

Ich war ein Außenseiter, und da ich keine besonderen Dinge zu sagen hatte, konnte ich den Abend losgelöst von den anderen verbringen. Es war noch ein anderer Herr anwesend, der wie ich zufällig in diese Angelegenheit häuslicher Glückseligkeit gestolpert war. Er war der Erste, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sein Aussehen war nicht das eines Mannes von edler Abstammung oder aus einer hohen Familie. Er war groß, ziemlich dünn, wirkte sehr ernst und war gut gekleidet. Anscheinend hatte er keinen Spaß an Familienfeiern. In dem Moment, in dem er für sich in eine Ecke ging, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht, und seine dicken dunklen Augenbrauen zogen sich zu einem Stirnrunzeln zusammen. Er kannte niemanden außer dem Gastgeber und zeigte jedes Anzeichen von Langeweile, obwohl er tapfer den Anschein ausgelassenen Vergnügens bis zum Schluss aufrechterhielt. Später erfuhr ich, dass er ein Provinzler war, der wegen eines wichtigen, kniffligen Geschäftes in die Hauptstadt gekommen war, unserem Gastgeber ein Empfehlungsschreiben gebracht, und dieser ihn unter seine Fittiche genommen hatte, keineswegs con amore. Nur aus Höflichkeit hatte er ihn zum Kinderball eingeladen.

Man spielte keine Karten mit ihm, man bot ihm keine Zigarren an. Niemand kam mit ihm ins Gespräch. Möglicherweise erkannten sie schon aus der Ferne den Vogel an seinen Federn. So war dieser Herr, der nicht wusste, was er mit seinen Händen machen sollte, gezwungen, den Abend damit zu verbringen, seine Schnurrbarthaare  glattzustreichen. Seine Schnurrbarthaare waren wirklich großartig, aber er strich so eifrig über sie, dass man das Gefühl hatte, dass sie zuerst in die Welt gekommen waren und danach der Mann, um sie zu streichen.

Da war noch ein anderer Gast, der mich interessierte. Aber er war von einem ganz anderen Schlag. Er war eine Persönlichkeit. Sie nannten ihn Julian Mastakowitsch. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass er ein Ehrengast war und in der gleichen Beziehung zum Gastgeber stand wie der Gastgeber zu dem Herrn mit dem Schnurrbart. Der Gastgeber und die Gastgeberin überhäuften ihn mit Liebenswürdigkeiten, waren sehr aufmerksam, umsorgten ihn, schwirrten um ihn herum, stellten ihm Gäste vor, führten ihn aber selbst nie zu jemand anderem. Ich bemerkte, wie Tränen in den Augen unserer Gastgeber glitzerten, als Julian Mastakovwitsch bemerkte, dass er selten einen so angenehmen Abend verbracht hatte. Irgendwie fing ich an, mich in der Gegenwart dieser Person unwohl zu fühlen. Nachdem ich mich also an den Kindern erheitert hatte, von denen fünf, bemerkenswert gut ernährte Jugendliche, unserem Gastgeber gehörten, ging ich in ein kleines, völlig leeres Wohnzimmer und setzte mich ans Ende eines Wintergartens, der fast den halben Raum einnahm.

Die Kinder waren charmant. Trotz aller Versuche ihrer Mütter und Gouvernanten, weigerten sie sich vehement, ihren Eltern gleichen zu wollen. Im Handumdrehen hatten sie den Weihnachtsbaum bis zur letzten Süßigkeit abgeziert und es war ihnen bereits gelungen, die Hälfte ihrer Spielsachen kaputtzumachen, bevor sie überhaupt herausgefunden hatten, was wem gehörte.

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