Der ideale Gatte (Deutsche Neuübersetzung)

Der ideale Gatte – Oscar Wilde

“Der ideale Gatte” ist ein Stück in vier Akten des berühmten irischen Schriftstellers Oscar Wilde, in dem es um Erpressung und politische Korruption geht und das die Themen öffentlicher und privater Ehre berührt. Es wurde erstmals 1895 am Haymarket Theatre in London aufgeführt und erlebte 124 Vorstellungen. Daneben wurde es in vielen Produktionen fürs Theater verarbeitet und für Kino, Radio und Fernsehen adaptiert. Die vorliegende deutsche Neuübersetzung stammt aus dem Jahre 2021.

Der ideale Gatte (Deutsche Neuübersetzung)

Der ideale Gatte (Deutsche Neuübersetzung).

Formate: Taschenbuch/eBook

Der ideale Gatte.

ISBN Taschenbuch: 9783849661588

ISBN eBook: 9783849666446

 

1. AKT

 

Schauplatz: Der Oktagon-Raum in Sir Robert Chilterns Haus am Grosvenor Square.

[Der Raum ist hell erleuchtet und voller Gäste. Am oberen Ende der Treppe steht Lady Chiltern, eine Frau von gravitätischer, hellenischer Schönheit, etwa siebenundzwanzig Jahre alt. Sie begrüßt die Gäste, wenn diese heraufkommen. Über der Treppe hängt ein riesiger Kronleuchter mit Kerzen, die einen großen französischen Wandteppich aus dem 18. Jahrhundert beleuchten, der den “Triumph der Liebe” nach einem Entwurf von Boucher darstellt und an der Wand des Treppenhauses aufgehängt ist. Auf der rechten Seite befindet sich der Eingang zum Musikzimmer. Leise ist die Musik eines Streichquartetts zu hören. Der Eingang auf der linken Seite führt zu anderen Empfangsräumen. Mrs. Marchmont und Lady Basildon, zwei sehr hübsche Frauen, sitzen zusammen auf einem Louis-Seize-Sofa. Sie sind von grazilem, fast zerbrechlichem Aussehen. Ihr affektiertes Auftreten hat einen unterschwelligen Charme. Watteau hätte sie vermutlich  gerne gemalt.]

Mrs. Marchmont. Gehen Sie heute Abend auch zu den Hartlocks, Margaret?

Lady Basildon. Ich denke schon. Und Sie?

Mrs. Marchmont. Ja. Ihre Partys sind immer schrecklich langweilig, nicht wahr?

Lady Basildon. Schrecklich langweilig! Ich weiß nicht, warum ich überhaupt hingehe. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt irgendwo hingehe.

Mrs. Marchmont. Heute Abend bin ich hier, um mich weiterzubilden.

Lady Basildon. Ach! Ich hasse es, mich weiterzubilden!

Mrs. Marchmont. Ich auch. Man fühlt sich dabei so gewöhnlich, nicht wahr? Aber die liebe Gertrude Chiltern sagt mir immer, man müsse im Leben ein ernsthaftes Ziel verfolgen. Also bin ich hier, um eines zu finden.

Lady Basildon. [Sieht prüfend durch ihre Stielbrille] Ich sehe hier heute Abend niemanden, den man so bezeichnen könnte. Der Mann, der mich hierher einlud, hat dabei die ganze Zeit über seine Frau gesprochen.

Mrs. Marchmont. Wie gewöhnlich von ihm!

Lady Basildon. Schrecklich gewöhnlich! Worüber hat der Mann, der Sie eingeladen hat, gesprochen?

Mrs. Marchmont. Selbstverständlich über mich.

Lady Basildon. [Langsam] Und nun? Sind Sie interessiert?

Mrs. Marchmont. [Schüttelt den Kopf] Nicht im Geringsten.

Lady Basildon. Was sind wir doch für Märtyrer, liebe Margaret!

Mrs. Marchmont. [Steht auf] Und wie gut uns diese Rolle steht, Olivia!

[Sie erheben sich und gehen in Richtung Musikzimmer. Der Vicomte de Nanjac, ein junger Attaché, der für seine Krawatten und seine Anglomanie bekannt ist, nähert sich mit einer tiefen Verbeugung und nimmt an ihrer Unterhaltung teil].

Mason. [Kündigt weitere Gäste vom oberen Ende der Treppe aus an] Mr. und Lady Jane Barford. Lord Caversham.

[Auftritt Lord Caversham, ein alter Herr von siebzig Jahren, trägt das Band und den Stern des Hosenbandordens. Ein feiner Pinkel, der Whig-Partei angehörig, der aussieht wie ein Porträt von Lawrence].

Lord Caversham. Guten Abend, Lady Chiltern! Haben Sie meinen Taugenichts von einem Sohn gesehen?

Lady Chiltern. [Lächelnd] Ich glaube, Lord Goring ist noch nicht eingetroffen.

Mabel Chiltern. [Auf Lord Caversham zugehend] Warum nennen Sie Lord Goring einen “Taugenichts”?

[Mabel Chiltern ist ein perfektes Beispiel für die englische Definition von Schönheit, dem Typ “Apfelblüte.”. Sie duftet wie eine Blume und verhält sich ganz ungezwungen. In ihrem Haar fängt sich ein Sonnenstrahl nach dem anderen, und der kleine Mund mit den geschürzten Lippen sieht erwartungsvoll aus, wie der eines Kindes. Sie vereint die faszinierende Tyrannei der Jugend und den erstaunlichen Mut der Unschuld. Gescheiten Menschen würde sie nicht an ein Kunstwerk erinnern. Tatsächlich sieht sie aber aus wie eine Tanagra-Statuette und wäre ziemlich verärgert, wenn man ihr das sagen würde].

Lord Caversham. Weil er ein Müßiggänger ist.

Mabel Chiltern. Wie können Sie so etwas sagen? Nun, er reitet morgens um zehn Uhr in der Row, geht dreimal die Woche in die Oper, wechselt mindestens fünfmal am Tag seine Kleidung und geht jeden Abend in der Saison auswärts essen. Nennen Sie so jemanden etwa einen Müßiggänger?

Lord Caversham. [Betrachtet sie mit einem freundlichen Funkeln in den Augen] Sie sind eine ganz bezaubernde junge Dame!

Mabel Chiltern. Wie nett von Ihnen, das zu sagen, Lord Caversham! Kommen Sie doch öfters zu uns. Sie wissen, wir sind mittwochs immer zu Hause, und Sie sehen so gut aus mit Ihrem Stern!

Lord Caversham. Ich gehe nirgendwo mehr hin. Habe die Londoner Gesellschaft satt. Hätte nichts dagegen, meinem Schneider vorgestellt zu werden; immerhin wählt er die richtige Partei. Aber ich weigere mich dagegen, mit dem Hutmacher meiner Frau essen zu gehen. Konnte Lady Cavershams Hauben noch nie ausstehen.

Mabel Chiltern. Oh, ich liebe die Londoner Gesellschaft! Ich finde, sie hat sich ungemein verbessert und besteht derzeit nur noch aus hübschen Idioten und brillanten Verrückten. Genau, wie eine Gesellschaft sein sollte.

Lord Caversham. Hm! In welche von beiden Klassen gehört Goring? Zu den hübschen Idioten oder in die andere?

Mabel Chiltern. [Ernst] Ich würde Lord Goring in eine Klasse für sich stecken. Aber er entwickelt sich hervorragend.

Lord Caversham. In was?

Mabel Chiltern. [Mit einem leichten Knicks] Ich hoffe, es Ihnen bald verraten zu können, Lord Caversham!

Mason. [Der weitere Gäste ankündigt] Lady Markby. Mrs. Cheveley.

[Auftritt Lady Markby und Mrs. Cheveley. Lady Markby ist eine angenehme, freundliche, beliebte Frau, mit grauem Haar à la marquise. Mrs. Cheveley, ihre Begleiterin, ist groß und ziemlich schlank. Ihre sehr dünnen Lippen sind grell gefärbt und wirken wie eine scharlachrote Linie quer durch ihr blasses Gesicht. Sie hat rötlich-blondes Haar, eine Adlernase und einen langen Hals. Rouge akzentuiert die natürliche Blässe ihres Teints. Ihre graugrünen Augen bewegen sich ohne Unterlass. Sie trägt ein lila Kleid, mit Diamanten abgesetzt. Sie sieht fast aus wie eine Orchidee und fordert die Neugierde jedes Betrachters heraus. Jede ihrer Bewegungen ist äußerst anmutig. Im Großen und Ganzen ein Kunstwerk, das von zu vielen Schulen beeinflusst wurde].

Lady Markby. Guten Abend, liebe Gertrude! Wie nett von Ihnen, dass ich meine Freundin, Mrs. Cheveley, mitbringen durfte. Zwei so charmante Frauen sollten sich unbedingt kennenlernen!

Lady Chiltern. [Geht freundlich lächelnd auf Mrs. Cheveley zu. Dann hält sie plötzlich inne und verbeugt sich eher distanziert] Ich glaube, Mrs. Cheveley und ich sind uns schon einmal begegnet. Ich wusste nicht, dass sie ein zweites Mal geheiratet hat.

Lady Markby. [Herzlich] Ach, heutzutage heiraten die Leute doch so oft sie können, nicht wahr? Es ist einfach sehr in Mode. [Zur Herzogin Maryborough] Liebe Herzogin, und wie geht es dem Herzog? Immer noch bei schwachem Verstand, nehme ich an? Nun, das ist nur zu erwarten, nicht wahr? Seinem guten Vater ging es ebenso. Es geht doch nichts über gute Erbanlagen, finden Sie nicht auch?

Mrs. Cheveley. [Spielt mit ihrem Fächer] Sind wir uns wirklich schon einmal begegnet, Lady Chiltern? Ich kann mich nicht erinnern, wo. Ich war so lange nicht in England gewesen.

Lady Chiltern. Wir waren zusammen in der Schule, Mrs. Cheveley.

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