Der Schritt zur Liebe

Der Schritt zur Liebe – Georges Ohnet

Ohnets Werk erzielte hohe Auflagen und gehört zu den Klassikern der französischen Literatur. Der Franzose Ohnet eroberte mit vielen seiner Werke die Herzen seiner Leser, wurde aber gleichzeitig von vielen Literaturkritikern in die Schublade der Trivialliteratur gesteckt.

Der Schritt zur Liebe

Der Schritt zur Liebe.

Format: eBook

Der Schritt zur Liebe.

ISBN eBook: 9783849656737.

 

Auszug aus dem Text:

Die Unterschrift der Post war erledigt. Trélaurier hatte soeben seinen Prokuristen herbeschieden und wärmte sich, eine Zigarre ansteckend, die Füße am Feuer des mächtigen Kamins in seinem Arbeitszimmer, dessen Fenster auf die Gärten der Lafayettestraße hinausgingen. Der Bankier konnte mit seinem Tagewerk zufrieden sein. Eine sehr heikle Operation, bestehend in einer auf Rechnung der türkischen Regierung ausgeführten Konversion armenischer Obligationen, war vollständig geglückt. Das Ansehen des Hauses Trélaurier in der Geschäftswelt hatte sich dabei wieder einmal bewährt und die Börsen von London und Berlin hatten die für den Erfolg seines Unternehmens nötige Haussebewegung begünstigt. Aus der Provinz waren die Bestellungen stoßweise eingetroffen, Telephon und Telegraph hatten vom frühen Morgen an gearbeitet und Trélaurier konnte, zwar ermüdet, aber befriedigt, mit dem angenehmen Bewußtsein, ein glücklicher Mensch zu sein, die bläulichen Rauchringe zur Decke hinaufblasen.

War ihm nicht alles gelungen im Leben? Sein Vater, ein Börsenmakler, hatte ihm ein schönes Vermögen hinterlassen, das er verzehnfacht hatte, indem er sich mit den großen Genfer Bankiers Vassard & Mainguet assoziierte. Sie waren die Begründer der Emissionsbank, an deren Spitze jetzt nur noch sein Name stand, ein allgemein geachteter Name, der jeder Finanzoperation, womit er sich befaßte, die Vorteile großer Geschäftskenntnis und den fleckenlosen Glanz der Redlichkeit einbrachte. Hatte er nicht mit achtunddreißig Jahren, als die ersten grauen Haare an seinen Schläfen sichtbar wurden, das Glück gehabt, die entzückende Annina kennen zu lernen, die er zu seiner Frau gemacht hatte, und die seiner geschäftlichen Stellung jenen Duft der Vornehmheit, jenen Schönheitszauber beigesellt hatte, der bei Freunden Bewunderung, bei Nebenbuhlern Neid hervorrief.

Die Anmut und der Geschmack seiner jungen Frau befriedigten alle seine Neigungen. Sie hatte es verstanden, ihm die glänzendste Häuslichkeit, den gewähltesten Freundeskreis zu schaffen, indem sie in ihrem Haus von Künstlern und Weltleuten vereinigte, was durch Talent oder persönliche Vorzüge Beachtung verdiente. Wenn sie bei ihren Festen die Spitzen der Gesellschaft empfing, geschah es mit der vollendeten Haltung der großen Dame, und doch war sie in großer Einfachheit, in puritanischer Umgebung aufgewachsen. Sie war eben die geborene Pariserin, die zur Welt kommt, um ohne Mühe alles zu begreifen, ohne Absichtlichkeit alle hinzureißen und allerorten zu siegen.

In Trélauriers Augen war sie der Inbegriff aller Tugenden, nur hatte sie ihm bis jetzt noch keinen Erben geschenkt. Aber er war erst vierzig Jahre alt, stramm auf den Beinen, gichtfrei, ohne Augenschwäche oder Neurasthenie, da er immer in Arbeit und Mäßigkeit gelebt hatte. Es war also durchaus kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. In Paris, wo die bösen Zungen so emsig sind, achtete man ihn als Ehemann, er hatte das seltene Glück, eine reizende Frau zu haben, von der man annahm, daß sie ihm allein gehöre. Annina lachte gern, aber mit Maß, sie war entgegenkommend und zugänglich, bewies aber dabei Takt und Sicherheit in hervorragendem Maß. Sogar die schöne Frau Roche, die schärfste Zunge von Paris, hatte an dem unberührten Ruf dieser Annina nichts auszusetzen gefunden und sich dafür durch eine Prophezeiung gerächt.

“Die kleine Trélaurier hat keine Liebschaften,” hatte sie gesagt, “das hindert indes keineswegs, daß sie einmal einen Geliebten haben wird. Wenn sie ihn aber einmal hat, mag ihr Mann sich in acht nehmen. Sie gehört zu denen, die Scheiben nicht eindrücken, sondern sie entzweischlagen, um hinausspringen zu können.”

Trélaurier, dem man diesen Ausspruch eilends zutrug, hatte gelächelt.

“Freuen wir uns, daß die Gegenwart gesichert ist, und warten wir die Zukunft ab. Wenn die Scheiben je in Gefahr kämen … nun dann müßte ich eben das Glaserhandwerk lernen, um sie auszubessern.”

Mittlerweile beunruhigte er sich gar nicht, freute sich vielmehr vertrauensvoll der Erfolge seiner Frau und betrieb sein Bankgeschäft mit erhöhtem Eifer in dem Gedanken, daß aller Gewinn Annina zu gute komme.

Der Prokurist trat ein. Es war ein breitschulteriger rothaariger Mann, namens Bernaut, der seine ganze Laufbahn an Trélauriers Seite zurückgelegt hatte und den einstigen Jugendgespielen heute noch duzte.

“Nun, wie weit seid ihr?” fragte der Bankier.

“So weit, daß ganz einfach heute nacht durchgearbeitet werden muß. Die Leute sind todmüde, aber sie lassen nicht nach, nichts spornt ja mehr an als der Erfolg, und man weiß, daß die Geschichte im Rollen ist.”

“Eine Extravergütung soll nicht ausbleiben.”

“Natürlich. Sie kennen dich ja und rechnen darauf – sollen sie auch haben. Das Personal reicht indes nicht aus, die ganze Abendpost zu erledigen, ich habe deshalb Hilfsarbeiter vom Finanzministerium eingestellt. Ich stehe für alles ein.”

“Schön! Brauchst du mich noch?”

“Durchaus nicht. Ich selbst werde nicht einmal bleiben. Nach Tisch will ich noch einmal die Runde machen in den Bureaus, weil mich die Geschichte interessiert, aber ich könnte getrost meinen Dienstag im Théâtre français mitnehmen, wenn ich Lust hätte. Die Abteilungsvorstände sind auf ihren Posten und die Maschine läuft wie geschmiert.”

“Unsre erste große internationale Operation, und sie ist geglückt. …”

“Es wird nicht die letzte sein, darauf kannst du dich verlassen! Die Regierungen werden es bald merken, wie vorteilhaft es für sie ist, ihre Geschäfte durch unsre Hände gehen zu lassen. Wir werden auf Rechnung des Padischah verschiedene Ersparnisse realisiert haben, die sich auf ungefähr fünfundzwanzig Millionen belaufen … und dabei büßen auch wir nichts ein!”

“Das will ich meinen! Dabei hat man aber niemand geschmiert. … Die Börsenblätter haben ja auch ein Wutgeheul angestimmt!”

“Und der Erfolg?”

“Ohne Erfolg! Der Presse gegenüber, einerlei ob finanzielle oder politische, gibt es nur eine Taktik – sie als gar nicht vorhanden zu behandeln. Ihre Macht besteht nur in der Angst, die man vor ihr hat. Nur muß man, um sich diesen Luxus gestatten zu können, reine Hände haben und nichts zu fürchten brauchen. Und das ist bei uns der Fall.”

“Ja, mein Freund, das ist bei uns der Fall. Ich weiß nicht genau, was es einträgt, ein Schurke zu sein, aber ich kann genau ausrechnen, wie sich die Ehrlichkeit rentiert.”

“Das habe ich von jeher gewußt, und ich möchte eigentlich nur wissen, warum es so viele Schurken gibt.”

“Weil die menschliche Natur von Haus aus schlecht ist, während die Anständigkeit erworben werden muß. Freilich sind nur die Anfangsgründe der Ehrlichkeit schwierig, aber vor diesen Anfangsgründen machen die meisten kehrt.”

….

 

 

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