Der Stern des Glücks

Der Stern des Glücks – Nataly von Eschstruth

Ein romantischer Trivialschmöker aus dem 19. Jahrhundert. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Der Stern des Glücks

Der Stern des Glücks.

Format: eBook

Der Stern des Glücks.

ISBN eBook: 9783849657192.

 

Auszug aus dem Text:

Jean Baptiste Sternberg, der hochbewährte Kammerdiener, räumte in seiner sorgsamen Weise den Schreibtisch Seiner Exzellenz, des ehemaligen Finanzministers auf, wie vor dreißig Jahren, als dieser sich noch im Wirbelsturm der Geschäfte ganz und gar auf seinen getreuen Sternberg verlassen und den Diplomatentisch voll hochgestapelter Papiere, Mappen und Broschüren dem Ordnungssinn seines Kammerdieners überlassen konnte.

Jetzt lagen weder Akten noch Broschüren, noch eilig aufgerissene Briefumschläge auf dem grünen Tuch; die Tinte war längst zu Staub zusammengetrocknet, die Feder verrostet, und die Pendule, von zwei edelsteingeschmückten Mohren getragen, tickte so schläfrig und müde, wie das Herz in der Brust ihres alten, verabschiedeten Herrn.

Die Zeit war abgelaufen für ihn und für sie, – aber Jean Baptiste wollte es nicht Wort haben, er räumte den Schreibtisch auf, – einen Tag wie den andern – obwohl keine, gar keine Unordnung darauf zu sehen war, obwohl kein Federzug mehr aus dem Tintenfaß geschrieben, kein einziger geheimer Brief mehr in die braunlederne Mappe geschoben ward. Exzellenz hatte sich schon lange, lange von Welt und Leben zurückgezogen, hierher in sein stilles, einsames Schloß, das ehemals nur die erquickende kleine Ruheinsel in dem stürmischen Lebensmeer des Ministers gewesen.

Freiherr von Floringhoven zahlte ehemals zu den besten und bevorzugtesten Mitgliedern des Kabinetts. Glückliche, erfolggesegnete Unternehmungen machten seinen Namen bekannt und beliebt, seine äußerst liebenswürdige, geistreiche und repräsentable Persönlichkeit erwarb ihm die Sympathien aller Gesellschaftskreise, und sein hohes Wissen, sowie seine außerordentliche diplomatische Tüchtigkeit sicherten ihm durch lange Jahre hindurch eine hervorragende Stellung unter den leitenden Vertretern des Staates. Ein Leben voll ununterbrochener geistiger Anstrengung zehrt. – Auch Freiherr von Floringhoven empfand die Last der Jahre, und die schnell sich folgenden herben Schicksalsschläge, die seine engste Familie heimsuchten, machten ihn vor der Zeit zum lebensmüden Greis. Seine beiden einzigen Kinder sanken vor ihm in das Grab.

Der Sohn, ein blühender, zu den besten Hoffnungen berechtigender Kavallerieoffizier, verunglückte bei einem Manöverritt in einem Graben, über den das Regiment in scharfem Galopp, eingehüllt von schier undurchsichtigen Staubwolken, hinwegsetzte.

Das Pferd des Leutnants von Floringhoven sprang zu kurz und brach zusammen, und nachstürzende Reiter begruben den jungen Offizier unter sich, dem ein Aufschlag die Brust zermalmte. Wenige Stunden danach erlag der einzige Sohn des Ministers seiner schweren Verletzung.

Und just, als sei das Unheil gekommen, um nicht wieder von der Schwelle des Hauses zu weichen, folgte die Mutter dem Sohn durch einen ebenso jähen Tod. Eine Herzlähmung raffte die immerhin noch rüstige, allgemein verehrte und geliebte Frau von der Seite ihres Gatten.

Schwer gebeugt zog sich Floringhoven in längerem Urlaub von seinem anstrengenden und verantwortlichen Posten zurück, Kraft und Erholung in dem Hause seiner verheirateten Tochter zu suchen. Sie hatte einem Vetter Floringhoven die Hand zum Bunde gereicht, ein seinerzeit viel bejubeltes und von der Familie innig ersehntes Ereignis, das nun doch einen Floringhoven zum Erben und Nachfolger von Schloß Floringhof machte, nachdem der einzige Sohn des Ministers ohne Nachkommen gestorben war.

Aber die Menschen denken – und Gott lenkt.

Als ob ein unbarmherziges Schicksal dem alten Herrn alles nehmen wollte, woran sein Herz voll Liebe und Zärtlichkeit hing, entriß es ihm auch die Tochter, sein letztes und liebstes Kleinod, das er besaß. Und doch nicht sein letztes!

Ein kleines, rosiges Ebenbild seiner Margarete lächelte ihm durch Tränen aus der Wiege entgegen. Sein Enkelkind, der einzige Überrest von all dem großen, vielbeneideten Glück!

Die Welt war für den ehemaligen, so rastlos tätigen, nimmer müden Staatsmann plötzlich abgestorben. Für wen arbeitete er noch?

Für König und Vaterland.

Er tat’s, er wollte nach wie vor sein Bestes geben und leisten, aber das Haar auf seinem Haupte ward schneeweiß, und in seinem Innern ward es ebenfalls Winter.

Wenn eine Glocke einen Sprung bekommen, tönt sie wohl noch, – aber sie klingt nicht mehr.

Und das Herz des alten Mannes glich einer solchen Glocke. Es schlug nach wie vor in pflichttreuem Mühen und Arbeiten, aber was in die Welt hinaushallte, hatte nicht mehr den guten Klang wie früher. Krieg!

Mehr denn je braucht das Vaterland frische, jugendstarke Männerhände an dem Staatsruder, der Freiherr von Floringhoven aber ist ein Greis an Leib und Seele geworden. Er fühlt es, er kann nicht mehr in dem Sturmschritt der Zeit mit fort. Er ist müde geworden. Soll er gehen?

Ja, er muß es. Vor ihm liegt die kurze, entsetzliche Depesche, die die Nachricht bringt, daß seine kleine Enkelin Benedikta eine Waise geworden. Ihr Vater ist vor Metz gefallen.

Nun sind sie beide ganz allein, das kleine, hilflose Würmchen in der Wiege und er, der alte, lebensmüde Mann.

Sie darf aber nicht ganz verlassen sein, und er darf noch nicht sterben – um des Kindes willen.

Da sagte er der Welt und ihrem Leben und Treiben Valet und siedelte über in sein schönes, einsames Schloß Floringhof. Benedikta nahm er zu sich, und gleichsam, als klammere sich das morsche, alte Lebenspflänzlein an dies jungaufblühende Reis, lebte der Minister nur noch den Interessen des Kindes, wieder jung werdend bei dem innigen Zusammenleben mit diesem frischen Blut.

Als habe der Todesengel eingesehen, daß er die Mitglieder der Familie viel zu früh und voreilig abgeholt, schien er nun doppelt lange zu zögern, den alten Herrn mit seinen Lieben zu vereinen. Der Minister sagte oft selbst mit wehmütigem Kopfschütteln: “Man hat mich vergessen droben!” Jahr um Jahr verging, immer älter, immer stumpfer und abständiger ward der alte Mann, aber er starb nicht.

Die Vergangenheit verwischte sich mehr und mehr, und Benediktas jugendschöne Lichtgestalt verklärte einzig sein Dasein, wie eine liebe, goldige Sonne, in deren Glanz sich sein kühles Herz wärmte und erquickte.

Nun dachte er nicht mehr an Sterben und Scheiden. Er lebte so still und behaglich in seinem Schlosse dahin, – der gute Jean Baptiste sorgte für alles, und Benedikta lächelte wie der junge Frühling; wenn sie sang, lauschte er mit gefalteten Händen, als sehe er den Himmel offen, und wenn sie Großväterchen liebkosend um etwas bat, dann hätte eher das ganze Weltall aus den Fugen brechen mögen, ehe er dem Liebling etwas abschlug.

Und die junge Baroneß wuchs immer schöner und imposanter heran, und Jean Baptiste erklärte eines schönen Tages: “Nun ist das Kind groß geworden, Exzellenz, – mit den Gouvernanten taugt’s nicht mehr, die letzte ist vor acht Tagen abgereist, jetzt muß eine Dame in das Schloß, die unsre junge Gnädige in die Welt führt!”

Der Minister schaute verblüfft mit seinen matten, ausdruckslosen Augen auf. “Aber Jean – dazu bin ich ja noch da!”

….

 

 

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