Jung gefreit

Jung gefreit – Nataly von Eschstruth

Ein humoristischer Roman aus den Adelskreisen des 19. Jahrhunderts. Die 1939 in Schwerin verstorbene Autorin war einer der produktivsten Schriftstellerinnen der wilhelminischen Epoche. In ihren Unterhaltungsromanen, oft auch als kitschig abgetan, schildert sie meist das Leben der höfischen Gesellschaft.

Jung gefreit

Jung gefreit.

Format: eBook

Jung gefreit.

ISBN eBook: 9783849657185.

 

Auszug aus dem Text:

Hast du auch alles Handgepäck, Salome? Vier Stück zählte der Portier in die Droschke – laß sehen, ein Schirmpaket –”

“Hier – Tante Klärchen sitzt darauf!”

Ein leiser Schrei im höchsten Diskant. Tante Klärchen schnellte empor, daß sich ihr stolzer Schellenbaum von Straußfedern auf dem Hut an dem Wagendach rund wie eine Neune bog.

“Ich sitze darauf? – Gott sei Dank, es hat kein Malheur gegeben!” –

“Nein, alles in Ordnung, deine fünfundfünfzig Pfund knicken keinen Bambus!” – Die Sprecherin, eine stolze, imposant wuchtige Erscheinung mit leicht ergrautem Lockenhaar über der Stirn, sah mit einem leicht spöttischen Lächeln auf die hagere Schwester nieder, die sie ihr Leben lang als “Nestputtch” – oder “sitzengebliebenen Pudding” verhöhnte. Klärchen streckte die spitze Nase und das spitze Kinn noch spitzer vor und bemerkte anzüglich: “Nein, ebensowenig wie deine zweihundertfünfundfünfzig Pfund jemals eine Linde oder Eiche knicken konnten, liebe Erna!” –

Die liebe Erna wurde kirschrot vor Zorn, sowohl im Gedanken an ihre ehemaligen treulosen Verehrer, den Leutnant von Linde und den Assessor Eichberg, als auch über die Taktlosigkeit der Schwester, an diese schmerzlichen Punkte ihres Lebens zu rühren. Sie steckte die Hände mit strammem Ruck in die Taschen ihres Sportjacketts und warf den alten Kopf mit dem jugendlichen Jägerhütchen herausfordernd in den Nacken.

“Knicken konnte? Nicht knicken wollte, meinst du wohl, kleine Giftkröte?” – fuhr sie mit ihrer tiefen Stimme auf: “Es ist allerdings ein billiges Mittel für den Neid – – –”

Sie verstummte und schnellte nach der andern Seite herum. Ihre Nachbarin, eine tief verschleierte nonnenhaft in grau gehüllte Erscheinung, hatte sie in den Arm gekniffen. – “Menagiert euch –” klang es tonlos hinter der undurchsichtigen Gaze hervor, “wir sind nicht allein.”

Und der Kopf der Sprecherin machte eine feierliche Bewegung gegen das junge, zuerst angeredete Mädchen, das neben Tante Klärchen auf dem Vordersitz der Droschke saß.

Salome schien aber gar nicht beachtet zu haben, welch ein Kampf neben ihr zu entbrennen drohte, sie neigte das rosige Gesichtchen unter dem eleganten, sehr einfachen Reisehut dicht an das Wagenfenster, und schien in schwärmerisches Bewundern der prächtigen Magazine und Ladenfenster versunken.

“Also das Schirmpaket ist da!” fuhr Erna, die Waffen streckend fort, warf ihrem Gegenüber Klärchen noch einen vernichtenden Blick zu, und nahm sich vor, sie nachher beim Aussteigen tüchtig auf die Füße zu treten. “Nr. 2 war eine kleine Handtasche, wo ist sie?”

Salome schlug die blauen Augen sinnend auf. “Hier unten, vor meinen Füßen steht sie, liebe Tante,” sagte sie, weich und mild wie Frühlingswehen.

Bon, und die Hutschachtel?”

“Bei dem Kutscher draußen auf dem Bock.”

“Aber es waren vier Gepäckstücke!”

“Gewiß! Das Paket aus der Buchhandlung, das du für Tante Sidonie mitbringen solltest?”

“Richtig – ein kleines Buch schien es … mein Gott, wo mag es hingeraten sein?”

“Steht mal alle auf!”

“Unmöglich, Erna – jetzt, in der engen Droschke!”

“Willst du sie erst auf den Leisten schlagen lassen? Noch gibt’s die Harmonikadroschken erst in den fliegenden Blättern!”

“Au! Erna! – Tollpatsch! – Trampele mir doch nicht so mit den Elefantenhufen auf den Füßen herum!” empörte sich Klärchen, bereits jetzt schon der Rache der dicken Schwester zum Opfer fallend.

“Elefantenhufe!! – Glaubst du, die indische Kavallerie ließe die Dickhäuter beschlagen? Allerdings – wenn man es im Leben nur bis zur zweiten Klasse gebracht hat –”

“Besser als wie in Fett und Weisheit zu ersticken!”

Abermals wogte der graue Gazeschleier mahnend auf. – “Bitte, menagiert euch. – Euer Streit schafft das Buch nicht herbei. – Habt ihr es gefunden?”

“Nein!”

Salome vergaß alle ihre Schwärmerei und tastete mit nervöser Hast umher. – “O Himmel, es wäre schrecklich! Tante Sidonie verzeiht es mir ja nie, sie ist so sonderbar – hält alles für böse Absicht – und Mama ließ in ihrem Briefe durchblicken, daß Tante Sidonie das Buch gewiß zum Konfirmationsgeschenk für Rose bestimmt hat!!”

“Selbstverständlich, wieder irgendein so entsetzlich frommer Schmöker! Solchen Unsinn dreht sie jedem ihrer unglücklichen Patenkinder zur Konfirmation an!”

“Erna! – Unterlaß solche schamlose Bemerkungen!” Die graue Nonnengestalt an ihrer Seite wurde plötzlich lebendig: “Du weißt, daß du mit deinem Spott über Sidonies fromme Richtung auch mich beleidigst!”

Klärchen nickte triumphierend Beifall, Erna aber zog eine ihrer derben Grimassen und lachte hart auf: “Na ja! Ihr habt ja beide denselben Sparren, Pardon – das hatte ich vergessen! – Na, da wirst du diesmal auf dem Gebetbüchlein sitzen und es andächtig ausbrüten! – Sieh da … hahaha … da hast du es ja hübsch angewärmt – – edle Seelen finden sich! … Hahaha … Hier, Salome! Klärchen “besitzt” das “Überspannte” und Martha mit dem Tränenblick das “Fromme!” – Wenn ich als Kind etwas auswendig lernen wollte, legte ich mir das Buch unter den Kopf – Martha scheint eine andere Methode zu haben – sicherlich die, die gleich ›vor- und rückwärts‹ auswendig hersagen läßt!”

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter E, Eschstruth-Nataly von, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.