Der Tempel der Liebe

Der Tempel der Liebe – Walther Kabel

“Die goldene Zeit der Krimis” war eine Ära klassischer Kriminalromane, die vor allem die 1920er und 1930er Jahre bestimmten. Die gleichnamige Serie bietet dem Fan dieser “Evergreens” eine große Auswahl von Titeln, die damals entweder bereits als eigenständige Bücher, oder aber als Fortsetzungsromane in diversen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Eines Tages erhält die Lehrerin Irma Hölsch, die eigentlich für diesen Beruf gar nicht gemacht ist, kurz hintereinander vier merkwürdige und geheimnisvolle Briefe, in denen von einem “Tempel der Liebe” die Rede ist. Aber was es damit auf sich hat, muss sie erst herausfinden ….

Der Tempel der Liebe

Der Tempel der Liebe.

Format: Taschenbuch

Der Tempel der Liebe.

ISBN Taschenbuch: 9783849666606.

 

Auszug aus dem Text:

Irma Hölsch hatte nach der letzten Unterrichtsstunde und nach all dem Ärger sehr schnell bei Frau Mikla, die angeblich einen ‚guten, billigen Mittagstisch‘ unterhielt, das mehr als mäßige Essen hinuntergeschlungen, hatte den schlanken Herrn Larisch, der wieder in seiner höflich bescheidenen Art eine Anknüpfung bei Tisch gesucht hatte, kühl mit ein paar fast unliebenswürdigen Worten abgeblitzt und war dann nach Hause geeilt in ihr bescheidenes möbliertes Zimmer, um endlich wieder allein zu sein mit ihren Gedanken, die ihr wie ein Bienenschwarm im Kopfe summten.

Sie warf jetzt das Paket Hefte, in die heute die fünfte Klasse den Aufsatz über ‚Mein liebstes Buch‘ hineingeschrieben hatte, mit einer Gebärde des Ekels auf den Mitteltisch und ließ sich selbst, ohne erst den einfachen Filzhut abzulegen, aufatmend in den Korbsessel am Fenster fallen, schloß die Augen und dachte nur immer dasselbe: ‚Ich begreife das alles nicht – ich begreife es nicht …!‘

Wie qualvoll war ihr nur heute das Unterrichten geworden! Noch schwerer als sonst! Sie eignete sich nicht zur Lehrerin. Das wußte sie längst, das hatte sie schon auf dem Seminar gemerkt. Sie konnte sich keinen Respekt bei diesem jungen, übermütigen Völkchen verschaffen, – vielleicht, weil sie Kinder zu gern mochte und daher nicht streng sein konnte. Heute hatte sie sich wie schon so oft über ihre eigene Milde und Nachgiebigkeit bis zu einer gelinden Wut gegen sich selbst aufgestachelt. –

Oder – war daran vielleicht doch nur das andere schuld gewesen, – das andere, das sie nicht ergründen konnte und daß ihr Denken seit Tagen völlig beherrschte …?! War es nicht lediglich die Enttäuschung darüber, daß ihr Verstand nicht hinreichte, diese Dinge aufzuklären, die da wie seltsame Rätselwesen aus dem Dunkel auf sie zu krochen und ihr höhnend zuflüsterten: ‚Rate, wer wir sind, was wir wollen …!‘ –

Ja, das war wohl nur das Außergewöhnliche, das sie so nervös, so zerfahren gemacht hatte, und als dessen nächste Folge dann all die kleinen Widerwärtigkeiten in ihren Schülerinnen hingekommenen waren.

‚Armes Völkchen!‘ dachte Irma. ‚Ich bin heute sicher sehr ungerecht gewesen … Es tut mir jetzt leid. Aber – ich fürchte, morgen werde ich nicht anders sein … Es muß etwas geschehen – muß! So darf es nicht weitergehen! Ich fühle, wie meine Nerven förmlich vibrieren …‘

Sie erhob sich langsam, nahm den Hut ab, hängte ihn über den Eckknopf des Kleiderschrankes, trat vor den hohen Spiegel und zupfte sich das zerdrückte, aschblonde Haar zurecht, stellte dabei fest, daß sie heute recht blaß aussah, gar nicht vorteilhaft. Und sie war bisher mit ihrem Äußeren doch stets leidlich zufrieden gewesen, konnte es auch wohl sein … Das bewiesen ihr ja auch die vielen Frechdachse von Herren, die auf diese oder jene Weise ihre Bekanntschaft zu machen suchten und ihr auf der Straße geduldig folgten …

Irma lächelte. Und in diesem Lächeln war so ein ganz klein wenig Eitelkeit und Freude. – Sie war jung, war Weib … Und es waren doch schließlich alles Huldigungen, die man ihrer eigenartigen Schönheit darbrachte.

Dann trat sie ans Fenster. Der Mittagssonnenschein des warmen Apriltages lag grell auf der nüchternen Front der Mietskaserne gegenüber. Auf dem kleinen Balkon begoß der alte Herr gerade wieder seine Blumenkästen. Und ein Stockwerk höher lagen wieder die Betten zum Lüften über dem Balkongitter.

Irma riß das Fenster auf. Frische Luft brauchte sie, Licht, Sonne … – Da, – wie gräßlich! – von drüben aus der Kneipe wieder die kratzenden Töne des Grammophons, – ein Gassenhauer …: ‚Paulinchen kann tanzen, habt ihr so was schon gesehn …‘ – Scheußlich … aber heute munterte es sie doch auf. Wie ein leiser Strom Berliner Leichtsinns drang’s mit den Tönen in das möblierte Zimmer – dreißig Mark mit Morgenkaffee! – hinein …

Irma ertappte sich darüber, daß sie die Melodien mitsummte. Sie merkte aber auch, wie sich die unerträgliche Spannung in ihrem Innern immer mehr löste. Sie wurde ruhiger. Und als sie jetzt leise vor sich hin sprach „Es muß etwas geschehen!“, da war schon wieder ein Überschuß von Kraft und Unternehmungslust in ihr. Sie würde doch dahinter kommen, was der Schreiber der Briefe eigentlich bezweckte! Eigentlich – war’s nicht lächerlich, sich über solchen Unsinn überhaupt aufzuregen …?! Hatte sie nicht schon genug Briefe ohne Unterschrift empfangen mit allen möglichen Ansinnen darin …?! – Freilich – all das hatte stets ihrer Schönheit gegolten. Diese drei Schreibmaschinenepistel dagegen, die waren so ganz anders abgefaßt, – ganz anders …

Irma mußte hier vorläufig ihren Gedanken halt gebieten.

Es hatte recht kräftig an die Zimmertür geklopft.

Ihre Wirtin, die verwitwete Frau Kanzleirat Mießtaler, trat ein, zwischen den dürren Fingern einen großen Brief haltend.

„Der Postbote wartet draußen, liebes Fräulein Hölsch,“ flötete die Mießtaler. „Hier, – die Zustellungsurkunde sollen Sie unterschreiben. Der Brief scheint vom Gericht zu sein.“

Frau Leontine Mießtalers Neugierde entsprach durchaus ihrer Gestalt – war übergroß! – Ein Gerichtsbrief – was mochte wohl dahinterstecken …?! – Zu gern hätte sie es gewußt. –

  …

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