Der Unsterbliche

Der Unsterbliche – Alphonse Daudet.

In dem satirisch-tragischen Roman “Der Unsterbliche” stellt Daudet den lähmenden Einfluß der vierzig Unsterblichen, der Akademie, auf das geistige Leben von Paris und ganz Frankreich dar. Erzählt wird die Geschichte eines angesehenen Historikers und Mitglied dieser Akademie, dessen Demütigung ihn bis in den Tod treibt.

 

Format: eBook

Der Unsterbliche.

ISBN:  9783849652937

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Teyssèdres Beruf war, Fußböden zu bohnern. Er übte denselben regelmäßig am Mittwoch im Hause Astier und am Nachmittag dieses Mittwochs hielt Frau Astier ihren Empfangstag und zwar in dem Arbeitszimmer ihres Gatten, dem einzigen gesellschaftswürdigen Raume dieses dritten Stockwerkes in der Rue de Beaune, einer weiland glänzenden, mit äußerst großartigen Plafonds geschmückten, aber entsetzlich unbequemen Behausung. Man kann sich leicht vorstellen, in welchen Zustand dieser allwöchentlich wiederkehrende Mittwoch den in seiner fleißigen, systematischen Arbeit unterbrochenen berühmten Geschichtschreiber versetzte: er hatte allmählich einen leidenschaftlichen Haß auf diesen Bodenwichser geworfen, auf seinen ›Landsmann‹ mit dem Quittengesicht, das so hart und gelb war, wie seine Stücke Wachs, auf diesen ganzen Teyssèdre, der unter dem Vorwande, daß er von Riom sei und Herr Astier nur von »Chauvagnat«, ohne einen Anflug von Respekt den schweren mit Manuskripten, Notizen, Zettelchen und Büchern beladenen Tisch hin und her bugsierte und den armen großen Mann von einem Zimmer ins andre jagte, bis derselbe sich schließlich genötigt sah, seine Zuflucht in einem seinem Arbeitszimmer in der Höhe abgewonnenen Hängeboden zu nehmen, wo er, trotzdem er eben nicht hochgewachsen war, nur sitzend sich aufhalten konnte. Dieser mit einem verblichenen gestickten Lehnstuhle, einem alten Spiel- und einem Schreibtische ausgestattete Schlupfwinkel empfing sein Licht von den obersten Scheiben des darunter liegenden Bogenfensters, was ungefähr wie eine niedere Gewächshausthüre aussah, durch die man den Gelehrten, wenn er, wie der Kardinal Balue in seinem Käfig, mühselig zusammengekauert über die Arbeit gebeugt saß, vom Kopf bis zu den Füßen erblicken konnte. Hier saß er eines Morgens, die Augen fest auf eine alte Scharteke geheftet, als mitten in das Donnergetöse, mit welchem Teyssèdres Thätigkeit den Raum erfüllte, die Klingel der Vorthüre ertönte.

»Sind Sie es, Fage?« fragte die tiefe, metallische Stimme des Akademikers.

»Nein, Herr Astier … es ist der junge Herr,« erwiderte Teyssèdre, welcher am Mittwoch morgen Portierdienst versah, weil Corentine der gnädigen Frau beim Ankleiden half.

»Was macht der Meister?« rief Paul Astier, dabei eilig auf das Zimmer seiner Mutter zusteuernd. Der Akademiker gab keine Antwort. Die Ironie, mit der sein Sohn ihn Meister, lieber Meister nannte, nur um den Titel zu verhöhnen, der ihm sonst so wohl that, verletzte ihn immer aufs neue.

»Wenn Fage kommt, soll man ihn sogleich heraufschicken,« befahl der Hausherr, ohne sich mit einer direkten Anrede an Teyssèdre zu wenden.

»Jawohl, Herr Astier …« und wiederum erschütterte Donnergetöse das Haus. »Guten Morgen, Mama …«

»Ach, das ist ja Paul, komm doch herein. … Vorsichtig mit den Plissés, Corentine.«

Frau Astier schlüpfte eben vor dem Spiegel in einen Rock. Mit ihrer schmalen und schlanken Gestalt sah sie trotz der Müdigkeit, die sich in ihren Zügen ausprägte, und der Haut, die allzu dünn war, um zu den sehr haltbaren zu gehören, noch recht gut aus. Ohne sich vom Fleck zu rühren, bot sie dem Sohne die gepuderte Wange zum Kuß, die er mit dem spitzen, blonden Schnurrbart leicht berührte; von keiner Seite lag große Zärtlichkeit in dieser Begrüßung.

»Bleibt der Herr Paul zum Frühstück?« fragte die dienstthuende Corentine, ein kräftiges Landmädchen mit fettig glänzendem, von Pockennarben durchfurchtem Gesicht, die wie die Hirtin auf der Wiese am Boden kauerte und am Gewand ihrer Herrin, einem fadenscheinigen schwarzen Fähnchen, etwas ausbesserte. Ton und Haltung zeugten von jener Vertraulichkeit, wie sie das schlecht bezahlte »Mädchen für alles« sich gern herausnimmt.

Nein, Paul blieb nicht beim Frühstück; er wurde erwartet und hatte sein Boghey vor der Thüre. Er war nur gekommen, um ein Wort mit der Mutter zu sprechen.

»Deinen kleinen englischen Wagen … wie? Den müssen wir uns besehen.«

Frau Astier trat an das offne Fenster, schob die von der hellen Maisonne beschienene Jalousie ein wenig auseinander, nur eben weit genug, um einen Ausblick auf das flotte, höchst elegante, nagelneue kleine Gespann mit dem funkelnden Beschlag und dem frisch lackierten Holzwerk und den Diener in neuer Livree, der das Pferd am Zaume hielt, zu gewinnen.

»Oh! Ist das schön, gnädige Frau!« flüsterte Corentine, die gleichfalls hinunterblickte. »Wie muß der Herr Paul sich da drin nobel ausnehmen.« …..

 

 

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